In grauen Zonen. Christian Toepffer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Toepffer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738031447
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auch Bestechung im Ausland in Deutschland strafbar wurde, hätte er mit beträchtlicher krimineller Energie weitere Verfeinerungen vorgeschlagen, um die Spuren des Flusses von Geldern zu verwischen. Dazu lägen auch von ihm verfasste Papiere vor. Seine Machenschaften seien so raffiniert angelegt gewesen, dass die ElteX-Spitze sie gar nicht hätte durchschauen können, daher der Vorwurf der Untreue. Jedenfalls hätten seine kriminellen Handlungen zu einer zügigen Beförderung geführt.

      Er sei im Dezember 2002 in Südafrika gewesen, um mit dem südafrikanischen Forschungszentrum iThemba über Beschleuniger zur Behandlung von Krebs mit Protonen zu verhandeln. In Wirklichkeit hätte er aber mit seinem alten Freund Malandela Gumede, bis vor kurzem Direktor der südafrikanischen Forschungsgemeinschaft SARF, verabredet, wertlose Patente für ElteX zu erwerben. Das hätten die jüngsten Ermittlungen gegen Gumede, über deren Ergebnisse die Staatsanwaltschaft von der National Prosecution Agency NPA in Südafrika unterrichtet worden sei, zweifelsfrei bewiesen.

       Ja, auf mein Drängen hatte sich ElteX entschieden, nach längerer Pause wieder Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet Beschleuniger für die Medizin zu betreiben. Trotz aller Spannungen zwischen uns hatte der für den Bereich Medizintechnik zuständige Vorstand zugestimmt. „Vielleicht sieht unser Beobachter des wissenschaftlichen Fortschritts Mallwitz mal keine Fata Morgana“, soll er im engeren Vorstand gesagt haben. Da gab es noch aus der Zeit der Apartheid einen Protonenbeschleuniger am Kap, es konnte sich lohnen, sich deren Erfahrungen zunutze zu machen. Außerdem waren wir, Olga und ich, gern in Afrika, besonders in der Savanne, da stammt der homo sapiens letztlich her. Und wir konnten Bekannte wiedersehen, wie eben Gumede, der nach der Wende eine steile Karriere gemacht hatte. Ich verabredete ein Treffen und erwähnte dabei die Sonnenfinsternis vom 4. Dezember 2002. Gumede lud uns ein, die zusammen mit ihm von einem Lager der Grenzpolizei am Limpopo aus zu beobachten. Im Vorfeld beschlichen mich dann zunehmend Zweifel. Zwar war am Kap und anderswo der klinische Erfolg der Protonentherapie von Tumoren im Kopf unzweifelhaft gezeigt worden, aber die dafür benutzten konventionellen Beschleuniger waren viel zu teuer. Ein massenhafter Einsatz, und nur an einem solchen konnte ElteX Interesse haben, hätte die öffentlichen Gesundheitssysteme hoffnungslos überfordert. Es gab aber neue Ideen, Teilchen zu beschleunigen, indem man Materie mit intensiven Lasern bestrahlt. Die Physiker sprachen von „table top“-Apparaten, preiswert, wartungsfrei, das war aussichtsreich, würde aber noch etwas dauern. Jedenfalls länger als bis zum nächsten Quartalsbericht, was den Kollegen Kallsen zu sarkastischen Ausführungen über die Beschleunigung des Technologie-Transfers, über China, Indien einerseits und unsere Nischenforschung andererseits, veranlasste. Selbst ein Techniker müsse soviel von Betriebwirtschaft verstehen, dass er nicht dauernd nur Kosten verursachen könne, denen ungedeckte Schecks auf Gewinne in einer fernen Zukunft gegenüber ständen. Nun gut, uns saß der Vorsitzende und dem die Investoren im Nacken, man übte Shareholder-Value-Management. Unter solchen Umständen hätte eine Reise zu iThemba provoziert. Auf die Sonnenfinsternis und das damit verbundene Treffen mit Gumede wollte ich aber nicht verzichten.

      Eine Dienstreise war es natürlich nicht mehr. Vor der Buchung überlegte Mallwitz noch kurz, ob er seine Vielfliegermeilen einsetzen sollte. Die waren ihm aber hauptsächlich für Dienstreisen gutgeschrieben worden. Aus solchen Anlässen hatten Politiker Schwierigkeiten bekommen. Es gab die winzige, aber doch nicht vernachlässigbare Gefahr, dass er, etwa auf Grund einer Denunziation, seinen Feinden bei ElteX ins Messer liefe. Das lohnte sich nicht, so bezahlte er die Flüge in der Touristenklasse selber und fühlte sich nicht nur umsichtig, sondern auch befriedigend rechtschaffen.

      Wenigstens war das Flugzeug ein Airbus, da gab es einige Reihen mit nur zwei Plätze zwischen dem Fenster, bevorzugt von Olga, weil sie den Kopf zum Schlafen in die Nische legen konnte, und dem Gang. Da hatte er keinen fremden Nachbarn und konnte überdies leichter aufstehen. Beim Abflug abends in Deutschland schneite es, in Erwartung des Südsommers hatten sie schon unter den Mänteln leichtere Kleidung an. Zum Essen konnte man zwischen je zwei weißen und roten Weinen wählen. Olga nahm wie immer einen leichten weißen, Mallwitz nahm für sich einen 1997 Haut Laborie Pinot Noir, weil er sich erinnerte, dass sie den Winzer v. Bonin und seine Familie vor Jahren während eines Urlaubs an der Wild Coast in einem einsamen Hotel an der Coffee Bay getroffen hatten. Bonin hatte in Geisenheim Weinbau studiert und strahlte standesgemäßes Selbstvertrauen aus: „Wein wird nicht gemacht, er wächst.“ Umso enttäuschender, dass im Abgang eher Sägespäne als Tannin zu schmecken war. Also machte Bonin inzwischen auch in Barrique. Die Mallwitzens beließen es dann auch bei einem Fläschchen, dösten dem Morgengrauen entgegen vor sich hin.

      Nach der Landung in Johannesburg durfte zuerst die erste, dann die Businessklasse und zuletzt die Touristenklasse aussteigen. Es waren gleichzeitig mehrere Flugzeuge angekommen, sodass sich schon lange Schlangen gebildet hatten, als sie zur Passkontrolle kamen. Der Flugplatz war offensichtlich überlastet, sein Ausbau hatte mit der Zunahme des internationalen Verkehrs nach dem Ende der Apartheid nicht Schritt gehalten. Gumede hatte versprochen, dass sie ein SARF-Wagen abholen würde, Mallwitz konnte nur auf die Geduld des Fahrers hoffen. Endlich kamen sie durch die Kontrolle, das Gepäck war schon auf dem Band, sie gingen durch den Zoll und eine undurchsichtige Tür in eine Ankunftshalle. In der Menge konnte Mallwitz zunächst niemanden erkennen, den er für einen SARF-Fahrer hätte halten können. Schließlich entdeckte er seitwärts vor einer gesonderten Tür eine Gruppe livrierter Schwarzer. Gerade öffnete sich die Tür für einen Mann in einer afrikanischen Tracht und seinen Aktentaschenträger, sie wurden von einem der Livrierten empfangen. Womöglich ist da der Ausgang einer Expressabfertigung für VIPs und wir werden dort erwartet. Die Mallwitzens steuerten mit ihren Gepäckwagen auf die Gruppe zu, fragten nach Gumede und SARF, und einer der Fahrer gab sich zu erkennen. Es tue ihm leid, aber Gumede habe ihm befohlen, auf den ElteX-Boss und seine Frau zu warten. Am VIP-Ausgang. Ein „selbstverständlich“ schenkte sich der Fahrer. Er will mich nicht noch mehr Gesicht verlieren lassen, überdies schämt er sich vielleicht vor seinen Kollegen, ein Paar aus der Touristenklasse fahren zu müssen.

      Gumede hatte angeboten, dass sie sich bei ihm vom Flug ausruhen und übernachten könnten. Er hatte inzwischen ein Haus im vornehmen Houghton. Auf der Fahrt vom Flugplatz in die Stadt sah man eine lebhafte Bautätigkeit, Fabriken, Bürogebäude, trotz oder gerade wegen der politischen Wende gab es offensichtlich Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft. Näher an der Stadt kamen sie an dem alten Slum Alexandria vorbei, da wurden Wellblechhütten abgerissen. An der Straße verkauften kleine Jungen gesammelte Ziegelsteine, Rohrleitungen und Wellblech. Mallwitz sprach den Fahrer darauf an, der lachte: „Jeden Tag ziehen Tausende vom flachen Land an den Witwatersrand. Wenn ein Slum saniert wird, kommt nichts weg, was noch halbwegs zum Aufbau neuer Hütten irgendwo anders brauchbar erscheint.“ An den Ampeln versuchten Männer, Zeitungen bei wartenden Autos abzusetzen, an den Kreuzungen hingen, wie gewohnt, Eckensteher herum. Aber neu war: Da gab es auch kleine Gruppen abgerissener Weißer, sogar Frauen waren dabei. Für das weiße Lumpenproletariat ist das soziale Netz mit der Apartheid zerrissen. Aber ich möchte das nicht mit dem Fahrer diskutieren. Olga hatte da keine Hemmungen, bekam aber „Es lohnt nicht, sich um diesen weißen Abschaum zu kümmern“ als Antwort. Dem Fahrer fehlte die Empathie zu einem sozio-politologischen Gespräch.

      In den besseren Vierteln waren die Mauern um die Grundstücke noch höher, als sie es in Erinnerung gehabt hatten. Und darauf waren noch Elektrozäune. In Houghton waren ganze Straßenblöcke abgesperrt, der Fahrer wies sie auf Mandelas Haus hin. Unweit davon bogen sie in eine Seitenstraße ein, ein uniformierter Angestellter eines privaten Sicherheitsdienstes kam aus einem Wachhäuschen, sprach mit dem Fahrer einige Worte über das schwüle Wetter, öffnete die Absperrung und winkte sie durch. „Auf die Ausländer müssen Sie aufpassen“, sagte der Fahrer, „besonders die Nigerianer in Hillbrow sind alle kriminell.“ „Wie erkenne ich einen Nigerianer unter den Südafrikanern?“ fragte Olga. Der Fahrer lachte, drückte eine Taste, ein Tor öffnete sich, sie fuhren durch einen prächtigen Garten zum überdachten Eingang einer Villa.

      Es erschien eine etwa dreißigjährige Frau, schlank mit Po und Busen. Sie trug einen Hosenanzug in kräftigen Farben, die gut zu ihrer schwarzen Haut passten. Sie stellte sich als Cindy, die (neue) Frau Gumedes, vor und entschuldigte sich, weil sie an diesem Sonntag noch Dienst als Sprecherin im Fernsehen hatte. Malandela sei auf einer wichtigen Besprechung, sie würden sich alle beim Abendessen treffen,