»Ding-dang! Ding-dang!« klang die Glocke, als der Thurm noch dastand, und eines Abends, während die Sonne sank und die Glocke im stärksten Schwunge sich befand, riß sie sich los und flog dahin durch die Luft; das blanke Metall blitzte glühend in den rothen Strahlen.
»Ding-dang! Ding-dang! Jetzt will ich mich zur Ruhe betten!« sang die Glocke und flog hinaus in die Odense-Au, wo sie am tiefsten ist, und deshalb heißt diese Stelle die Glockentiefe. Allein ihr ward keine Ruhe und kein Schlaf. Unten bei dem Aumann singt und klingt sie, daß es zuweilen herauftönt durch die Gewässer, und viele Leute sagen, solches Klingen bedeute, daß Jemand sterben solle, aber es ist nichts an Dem, nein, sie singt und unterhält sich mit dem Aumann, der jetzt nicht mehr allein ist.
Was erzählt wohl die Glocke? – Sie ist alt, sehr alt, wie wir schon bemerkten, sie war schon lange da, bevor die Großmutter der Großmutter geboren wurde, und doch ist sie an Alter nur ein Kind gegen den Aumann, der ein alter, stiller Mann, ein Sonderling ist, mit seinen Hosen von Aalfell und seiner schuppigen Jacke mit den gelben Auknöpfen, mit einem Schilfkranze in dem Haar und Meerlinsen im Barte – aber er sieht so doch hübsch aus.
Was die Glocke erzählt – das wiederzugeben würde Jahre und Tage erfordern; sie erzählt Jahr ein Jahr aus gar oft die alten Geschichten wieder auf's Neue, bald kurz, bald lang, wie es ihr die Stimmung giebt; sie erzählt von alten Zeiten, den harten, finsteren Zeiten.
»In der St. Albani-Kirche stieg der Mönch hinauf in den Thurm; er war jung und schön, aber sinnend wie kein Anderer. Er schaute aus der Luke dort oben über die Odense-An hinaus, als noch ihr Bett ein breites und die Mönchswiese ein See war; er schaute über sie und über den grünen Wall, und den »Nonnenhügel« drüben, wo das Kloster lag, wo das Licht von der Zelle der Nonne herausstrahlte; er hatte die Nonne sehr gut gekannt, er erinnerte sich ihrer, und sein Herz klopfte stärker dabei – »ding-dang! ding-dang!« –
Ja, so erzählte die Glocke.
»In den Thurm stieg auch der dämliche Diener des Bischofs, und wenn ich, die Glocke, die aus Metall gegossen, hart und gewichtig sang und mich schwang, hätte ich ihm das Gehirn zerschmettern können; er setzte sich dicht unter mich und spielte mit zwei Stöckchen, als wenn dieselben gar ein Saitenspiel gewesen, und er sang dazu: »»Jetzt darf ich es laut heraussingen, was ich sonst nicht flüstern darf, von Allem singen, was hinter Schloß und Riegel versteckt gehalten wird. Dort ist es kalt und naß! Die Ratten fressen sie bei lebendigem Leibe! Niemand weiß darum! Niemand hört davon! Auch jetzt nicht, denn die Glocke klingt und singt ihr lautes Ding-dang! Ding-dang!««
»Ein König war damals, sie nannten ihn Kanut, er beugte sich vor Bischof und Mönch, als er aber den Wendelbauern zu nahe trat mit schweren Steuern und harten Worten, nahmen diese Waffen und Stangen zur Hand und jagten ihn in die Flucht, gleich einem wilden Thiere; er suchte Schutz in der Kirche, verschloß Thor und Thür hinter sich; die gewaltthätige Schaar lagerte draußen vor der Kirche, ich hörte davon erzählen; Krähen, Raben und Dohlen fuhren auf vor Schreck bei dem Geschrei und Gebrüll, welches ertönte; sie flogen in den Thurm hinein und wieder hinaus, sie schauten auf die Menge dort unten hinab, sie blickten auch durch die Fenster der Kirche hinein, sie schrieen es laut aus, was sie sahen. König Kanut lag betend vor dem Altare, seine Brüder, Erich und Benedict, standen dort als Wache mit gezogenen Schwertern, allein der Diener des Königs, der falsche Blake, verrieth seinen Herrn; die Menge vor der Kirche wußte, wo der König zu treffen sei, und Einer schleuderte einen Stein durch eine Fensterscheibe, und der König lag todt da! – Rufen und Schreien der wilden Schaar und der Vögel zitterte durch die Luft, und auch ich stimmte mit ein, ich sang und klang: Ding-dang! Ding-dang!«
»Die Kirchglocke hängt hoch, schaut weit umher, sieht die Vögel um sich und versteht ihre Sprache, der Wind braust zu ihr hinein durch Luken und Schalllöcher, durch jede Ritze, und der Wind weiß Alles, er hat es von der Luft, und diese umschließt Alles, was Leben hat, dringt in die Lungen der Menschen hinein, weiß Alles, was sich in Laut und Ton kundgiebt, jedes Wort, jeden Seufzer –! Die Luft weiß es, der Wind erzählt es, die Kirchglocke versteht dessen Zunge und läutet es hinaus in die Welt: Ding-dang! Ding-dang!«
»Allein es wurde mir zu viel zu hören und zu wissen, ich vermochte nicht mehr, es hinaus zu läuten. Ich wurde so müde, so schwer, daß der Balkon zerbrach und ich in die leuchtende Luft hinausflog, hinab, wo hier die Au am tiefsten ist und der Aumann wohnt, einsam und allein, und hier erzähle ich Jahr aus Jahr ein, was ich gehört und was ich weiß: Ding-dang! Ding-dang!«
So läutet und klagt es aus der Glockentiefe in der Odense-Au; das hat die Großmutter erzählt.
Aber der Schulmeister sagt: Es gebe keine Glocke, die dort unten läuten könne, denn sie kann es nicht! – auch keinen Aumann giebt es dort unten, denn es giebt gar keinen Aumann! und wenn alle andern Kirchglocken gar herrlich klingen, so sagt er, daß es nicht die Glocken sind, sondern daß es eigentlich die Luft ist, die da klingt, daß die es sei, die da Geläut gebe – und Großmutter erzählt auch, daß es die Glocke selbst so gesagt habe – darüber sind sie Beide demnach einig, und so viel ist gewiß! »Sei behutsam, behutsam, und achte auf Dich genau!« sagten sie Beide.
Die Luft weiß Alles. Sie ist um uns, sie ist in uns, sie redet von unseren Gedanken und unseren Thaten, und sie spricht länger davon, als die Glocke unten in der Tiefe der Odense-Au, wo der Aumann wohnt; sie tönt es hinaus in die große Himmelstiefe, weit, weit hinaus, ewig und immer, bis die Himmelsglocken klingen: Ding-dang! Ding-dang!
Die Schweine.
Charles Dickens hat uns vom Schweine erzählt, und seit der Zeit werden wir schon guter Laune, wenn wir es nur grunzen hören. Der heilige Antonius hat es unter seine Glorie genommen, und denkt man an den »verlorenen Sohn,« so ist man schon inmitten des Schweinestalles, und vor einem solchen hielt unser Wagen drüben in Schweden an. Nach der Landstraße heraus, dicht an seinem Hause hatte der Bauer seinen Schweinestall, und zwar einen Schweinestall sonder gleichen. Es war eine alte Staatskarosse; die Sitze waren herausgehoben, die Räder fortgeschafft, und so ohne Weiteres stand sie auf dem Bauche, und vier Schweine waren darin eingesperrt; ob diese die ersten waren? Nun, darüber konnte man allerdings nicht entscheiden; daß es aber eine geborene Staatskutsche war, davon zeugte Alles, selbst der Saffianfetzen, der von der Decke herabhing – Alles zeugte von besseren Tagen.
»Uff! – Uff!« sagte es da drinnen, und die Kutsche krachte und klagte; es war ja ein trauriges Ende, das sie genommen. »Das Schöne ist hin!« seufzte sie oder hätte sie wenigstens seufzen können.
Wir kamen im Herbste wieder, die Kutsche stand noch hier, aber die Schweine waren fort; sie spielten die Herren im Walde, die Blüthen und Blätter waren von allen Bäumen herunter, Sturm und Regen regierten und gönnten ihnen weder Ruhe noch Rast; die Zugvögel waren fort. »Das Schöne ist hin! – Hier ist der herrliche, grüne Wald, der warme Sonnenschein und der Gesang der Vögel, hin! hin!« So sprach es, so krachte es in den Stämmen der hohen Bäume, und es klang ein Seufzer so tief, ein Seufzer aus dem Herzen des wilden Rosenstrauchs und Desjenigen, der da saß – es war der Rosenkönig. Kennst Du ihn? Er ist lauter Bart, der schönste, rothgrüne Bart, er ist leicht zu kennen. Geh' an die wilden Rosenhecken, und wenn im Herbste alle Blumen ihnen entfallen und nur noch die rothen Hagebutten übrig sind, wirst Du oft unter diesen eine große, rothgrüne Moosblume erblicken, das ist der Rosenkönig; es wächst ihm ein kleines grünes Blatt aus dem Scheitel, das ist seine Feder; er ist an dem Rosenstrauche der einzige Mann seiner Art, und er war es, der da seufzte.
»Hin, hin! – Das Schöne ist hin! Die Rosen sind fort, die Blätter fallen ab! Hier ist's naß, hier ist's rauh! Die Vögel verstummen jetzt, die Schweine gehen auf die Eichelmast, sie sind Herren im Walde!«
Es waren kalte Nächte und graue Tage, aber der Rabe saß auf dem Zweige und sang trotzdem: »Brav, brav!« Rabe und Krähe saßen auf dem hohen Zweige; sie haben eine große Familie, und alle sagten sie: »Brav, brav!« die Menge