Als sie fünfzehn Jahre alt war, sollte sie nach Hause; und als die Königin sah, wie schön sie war, wurde sie ihr gram. Gern hätte sie sie in einen wilden Schwan verwandelt, wie die Brüder; aber das wagte sie nicht gleich, weil ja der König seine Tochter sehen wollte.
Früh Morgens ging die Königin in das Bad, welches von Marmor erbaut und mit weichen Kissen und den prächtigsten Decken geschmückt war; sie nahm drei Kröten, küßte sie, und sagte zu der einen: »Setze Dich auf Elisa's Kopf, wenn sie in das Bad kommt, damit sie dumm wird, wie Du!« »Setze Dich auf ihre Stirn,« sagte sie zur andern, »damit sie häßlich wird, wie Du, sodaß ihr Vater sie nicht erkennt!« »Ruhe an ihrem Herzen!« flüsterte sie der dritten zu; »laß sie einen bösen Sinn erhalten, damit sie Schmerzen davon hat!« Dann setzte sie die Kröten in das klare Wasser, welches sogleich eine grüne Farbe erhielt, rief Elisa, zog sie aus und ließ sie in das Wasser hinabsteigen. Und indem Elisa untertauchte, setzte die eine Kröte sich ihr in das Haar, die andere auf ihre Stirn und die dritte auf die Brust. Aber sie schien es nicht zu merken; sobald sie sich emporrichtete, schwammen drei rothe Mohnblumen auf dem Wasser. Waren die Thiere nicht giftig gewesen und von der Hexe geküßt gewesen, so wären sie in rothe Rosen verwandelt. Aber Blumen wurden sie doch, weil sie auf ihrem Haupte, ihrer Stirn und an ihrem Herzen geruht hatten. Sie war zu fromm und unschuldig, als daß die Zauberei Macht über sie haben konnte!
Als die böse Königin das sah, rieb sie Elisa mit Wallnußsaft ein, sodaß sie schwarzbraun wurde, bestrich ihr das hübsche Antlitz mit einer stinkenden Salbe und ließ das herrliche Haar sich verwirren. Es war unmöglich, die schöne Elisa wiederzuerkennen.
Als der Vater sie sah, erschrak er sehr und sagte, es sei nicht seine Tochter. Niemand, außer dem Kettenhunde und den Schwalben, wollte sie erkennen; aber das waren arme Thiere, die nichts zu sagen hatten.
Da weinte die arme Elisa und dachte an ihre eilf Brüder, die alle fort waren. Betrübt stahl sie sich aus dem Schlosse und ging den ganzen Tag über Feld und Moor bis in den großen Wald hinein. Sie wußte gar nicht, wohin sie wollte, aber sie fühlte sich unendlich betrübt und sehnte sich nach ihren Brüdern; die waren sicher auch, gleich ihr, in die Welt hinausgejagt; die wollte sie suchen und finden.
Nur kurze Zeit war sie im Walde gewesen, da brach die Nacht an; sie kam ganz von Weg und Steg ab; darum legte sie sich auf das weiche Moos nieder, betete ihr Abendgebet und lehnte ihr Haupt an einen Baumstumpf. Es herrschte tiefe Stille, die Luft war mild, und ringsumher im Grase und im Moose leuchteten, einem grünen Feuer gleich, Hunderte von Johanniswürmchen; als sie einen der Zweige leise mit der Hand berührte, fielen die leuchtenden Insecten wie Sternschnuppen zu ihr nieder.
Die ganze Nacht träumte sie von ihren Brüdern; sie spielten wieder als Kinder, schrieben mit den Diamantengriffeln auf die Goldtafeln und betrachteten das herrliche Bilderbuch, welches das halbe Königreich gekostet hatte. Aber auf die Tafel schrieben sie nicht, wie früher, Nullen und Striche, sondern die muthigen Thaten, die sie vollführt, Alles, was sie erlebt und gesehen hatten; und im Bilderbuche war Alles lebendig; die Vögel sangen und die Menschen gingen aus dem Buche heraus und sprachen mit Elisa und ihren Brüdern. Aber wenn diese das Blatt umwendeten, sprangen sie gleich wieder hinein, damit keine Unordnung hineinkomme.
Als sie erwachte, stand die Sonne schon hoch, Sie konnte diese freilich nicht sehen: die hohen Bäume breiteten ihre Zweige dicht und fest über ihr aus. Aber die Strahlen spielten dort oben wie ein webender Goldflor, da war ein Duft von dem Grünen, und die Vögel setzten sich fast auf ihre Schultern! Sie hörte Wasser plätschern: das waren viele große Quellen, die alle in einen See flössen, in dem der herrlichste Sandboden war. Freilich wuchsen dort dichte Büsche ringsumher, aber an einer Stelle hatten die Hirsche eine große Oeffnung gemacht, und hier ging Elisa zum Wasser hin. Dies war so klar, daß man, wenn der Wind nicht die Zweige und Büsche berührte, sodaß sie sich bewegten, hatte glauben müssen, sie wären auf dem Wassergrunde abgemalt gewesen; so deutlich spiegelte sich dort jedes Blatt, sowohl das, welches von der Sonne beschienen, als das, welches im Schatten war.
Sobald Elisa ihr eigenes Gesicht erblickte, erschrak sie, so braun und häßlich war es; doch als sie ihre kleine Hand benetzte und Augen und Stirne rieb, glänzte die weiße Haut wieder vor. Da entkleidete sie sich und ging in das frische Wasser hinein! ein schöneres Königskind als sie war, wurde in dieser Welt nicht gefunden!
Als sie sich wieder angekleidet und ihr langes Haar geflochten hatte, ging sie zur sprudelnden Quelle, trank aus der hohlen Hand und wanderte tief in den Wald hinein, ohne selbst zu wissen wohin. Sie dachte an ihre Brüder, dachte an den lieben Gott, der sie sicher nicht verlassen würde. Gott ließ die wilden Waldäpfel wachsen, um den Hungrigen zu sättigen: er zeigte ihr einen« solchen Baum; die Zweige bogen sich unter der Last der Früchte. Hier hielt sie ihre Mittagsmahlzeit, setzte Stützen unter die Zweige und ging dann in den dunkelsten Theil des Waldes hinein. Da war es so still, daß sie ihre eigenen Fußtritte hörte, sowie das Rascheln jedes dürren Blattes, welches sich unter ihrem Fuße bog. Nicht ein Vogel war da zu sehen, nicht ein Sonnenstrahl konnte durch die großen, dunklen Baumzweige dringen; die hohen Stämme standen so nahe beisammen, daß es, wenn sie vor sich hin sah, so schien, als ob ein Balkengitter dicht beim andern sie umschlösse. O, hier war eine Einsamkeit, wie sie solche früher nie gekannt!
Die Nacht wurde sehr dunkel! nicht ein einziger kleiner Johanniswurm leuchtete mehr im Moose, Betrübt legte sie sich nieder, um zu schlafen. Da schien es ihr, als ob die Baumzweige über ihr sich zur Seite bewegten und der liebe Gott mit milden Augen auf sie niederblickte; und kleine Engel sahen über seinem Kopfe und unter seinen Armen hervor.
Als sie am Morgen erwachte, wußte sie nicht, ob sie es geträumt habe, oder ob es wirklich so gewesen.
Sie ging einige Schritte vorwärts, da begegnete sie einer alten Frau mit Beeren in ihrem Korbe; die Alte gab ihr einige davon. Elisa fragte, ob sie nicht eilf Prinzen durch den Wald habe reiten sehen.
»Nein!« sagte die Alte; »aber ich sah gestern eilf Schwäne mit Goldkronen auf den Köpfen den Fluß hier nahebei hinschwimmen!«
Und sie führte Elisa ein Stück weiter vor zu einem Abhange; am Fuße desselben schlängelte sich ein Flüßchen; die Bäume an seinen Ufern streckten ihre langen, blattreichen Zweige einander entgegen, und wo sie, ihrem natürlichen Wüchse nach, nicht zusammenreichen konnten, da waren die Wurzeln aus der Erde losgerissen und hingen, mit den Zweigen ineinander verschlungen, über das Wasser hinaus.
Elisa sagte der Alten Lebewohl und ging längst dem Flüßchen bis dahin, wo dieses nach dem großen, offenen Strande hinausfloß.
Das ganze herrliche Meer lag vor dem jungen Mädchen, aber nicht ein Segel zeigte sich darauf, nicht ein Boot war da zu sehen. Wie sollte sie nun dort weiter fortkommen? Sie betrachtete die unzähligen kleinen Steine am Ufer; das Wasser hatte sie alle rund geschliffen. Glas, Eisen, Steine, Alles, was da zusammengespült lag, hatte seine Form durch das Wasser, welches doch viel weicher als ihre seine Hand, bekommen. »Das rollet unermüdlich fort, und so ebnet sich das Harte; ich will ebenso unermüdlich sein. Dank für Eure Lehre, Ihr klaren, rollenden Wogen: einst, das sagt mir mein Herz, werdet Ihr mich zu meinen Brüdern tragen!«
Auf dem angespülten Seegrase lagen eilf weiße Schwanenfedern; sie sammelte sie in einen Strauß. Es lagen Wassertropfen darauf: ob es Thautropfen oder Thränen waren, konnte Niemand sehen. Einsam war es dort am Strande, aber sie fühlte es nicht; denn das Meer bot eine ewige Abwechselung dar, ja mehr in nur wenigen Stunden, als die süßen Landseen in einem Jahre aufweisen können. Kam eine große, schwarze Wolke, so war das, als ob der See sagen wollte: »Ich kann auch finster aussehen,« und dann blies der Wind und die Wogen kehrten das Weiße nach außen. Schienen aber die Wolken roth, und schliefen die Winde, so war das Meer einem Rosenblatte gleich; bald wurde es grün, bald weiß. Aber wie still es auch ruhte, am Ufer war doch eine leise Bewegung; das Wasser hob sich schwach, wie die Brust eines schlafenden Kindes.
Als die Sonne untergehen wollte, sah Elisa eilf wilde Schwäne mit Goldkronen auf den Köpfen dem Lande zufliegen; sie schwebten einer hinter dem andern; es sah aus, wie ein langes weißes Band. Da stieg Elisa den Abhang hinauf und verbarg