Und sie berührte gleichzeitig ihre Hand mit der Nessel; es war einem brennenden Feuer gleich; Elisa erwachte dadurch. Es war heller Tag, und dicht daneben, wo sie geschlafen, lag eine Nessel, wie die, welche sie im Traume gesehen. Da fiel sie auf ihre Kniee, dankte dem lieben Gotte und ging aus der Höhle hinaus, um ihre Arbeit zu beginnen.
Mit den feinen Händen griff sie hinunter in die häßlichen Nesseln; diese waren wie Feuer; sie brannten große Blasen in ihre Hände und Arme; aber gern wollte sie es leiden, konnte sie nur die lieben Brüder erlösen. Sie brach jede Nessel mit ihren bloßen Füßen und flocht den grünen Flachs.
Als die Sonne untergegangen war, kamen die Brüder und erschraken, sie so stumm zu finden; sie glaubten, es wäre ein neuer Zauber der bösen Stiefmutter. Aber als sie ihre Hände erblickten, begriffen sie, was sie ihrethalben thue. Der jüngste Bruder weinte; und wohin seine Thränen fielen, da fühlte sie keine Schmerzen, da verschwanden die brennenden Blasen.
Die Nacht brachte sie bei ihrer Arbeit zu, denn sie hatte keine Ruhe, bevor sie die lieben Brüder erlöst hätte. Den folgenden Tag, während die Schwäne fort waren, saß sie in ihrer Einsamkeit; aber noch nie war die Zeit ihr so schnell entflohen als jetzt. Ein Panzerhemd war schon fertig, nun fing sie das zweite an.
Da ertönte ein Jagdhorn zwischen den Bergen: sie wurde von Furcht ergriffen. Der Ton kam immer näher; sie hörte Hunde bellen; erschrocken floh sie in die Höhle, band die Nesseln, die sie gesammelt und gehechelt hatte, in ein Bund zusammen und setzte sich darauf.
Sogleich kam ein großer Hund aus der Schlucht hervorgesprungen, und gleich darauf wieder einer, und noch einer; sie bellten laut, liefen zurück und kamen abermals wieder. Es wahrte nur wenige Minuten, so standen alle Jäger vor der Höhle, und der schönste unter ihnen war der König des Landes, Er trat auf Elisa zu: nie hatte er ein schöneres Mädchen gesehen.
»Wie bist Du hierher gekommen, Du herrliches Kind?« fragte er. Elisa schüttelte den Kopf: sie durfte ja nicht sprechen; es galt ihrer Brüder Erlösung und Leben. Und sie verbarg ihre Hände unter der Schürze, damit der König nicht sehen möge, was sie leiden müsse.
»Komm mit mir!« sagte er; »hier darfst Du nicht bleiben. Bist Du so gut, wie Du schön bist, so will ich Dich in Seide und Sammet kleiden, die Goldkrone auf das Haupt setzen, und Du sollst in meinem reichsten Schlosse wohnen und herrschen!« – Dann hob er sie auf sein Pferd. Sie weinte und rang die Hände, aber der König sagte: »Ich will nur Dein Glück! Einst wirst Du mir dafür danken.« Mit diesen Worten jagte er fort durch die Berge, und setzte sie vor sich auf das Pferd, und die Jäger jagten hinterher.
Als die Sonne unterging, lag die schöne Königsstadt mit Kirchen und Kuppeln vor ihnen. Und der König führte sie in das Schloß, wo große Springbrunnen in den Marmorsälen plätscherten, wo Wände und Decken mit Gemälden prangten. Aber sie hatte keine Augen dafür, sie weinte und trauerte. Willig ließ sie sich von den Frauen königliche Kleider anlegen, Perlen in ihre Haare flechten und feine Handschuhe über die verbrannten Finger ziehen.
Als sie in ihrer Pracht dastand, war sie blendend schön, so daß der Hof sich tief verneigte. Und der König erkor sie zu seiner Braut, obgleich der Erzbischof mit dem Kopfe schüttelte und flüsterte, daß das schöne Waldmädchen sicher eine Hexe sei: sie blende die Augen und bethöre das Herz des Königs.
Aber der König hörte nicht darauf, ließ die Musik ertönen, die köstlichsten Gerichte auftragen und die lieblichsten Mädchen um sie herum tanzen. Und sie wurde durch duftende Garten in prächtige Säle geführt, aber nicht ein Lächeln kam auf ihre Lippen oder aus ihren Augen: ein Bild der Trauer stand sie da. Dann öffnete der König eine kleine Kammer dicht daneben, wo sie schlafen sollte; die war mit köstlichen grünen Teppichen geschmückt und glich der Höhle, in der sie gewesen war; auf dem Fußboden lag das Bund Flachs, welches sie aus den Nesseln gesponnen hatte, und unter der Decke hing das Panzerhemd, welches fertig gestrickt war. Alles dieses hatte einer der Jäger als Kuriosität mitgenommen.
»Hier kannst Du Dich in Deine frühere Heimath zurückträumen!« sagte der König. »Hier ist die Arbeit, die Dich dort beschäftigte; jetzt, mitten in all' Deiner Pracht, wird es Dich belustigen, an jene Zeit zurückzudenken.«
Als Elisa dies sah, was ihrem Herzen so nahe lag, spielte ein Lächeln um ihren Mund und das Blut kehrte in die Wangen zurück. Sie dachte an die Erlösung ihrer Brüder, küßte des Königs Hand und er drückte sie an sein Herz und ließ durch alle Kirchenglocken das Hochzeitsfest verkünden. Das schöne, stumme Mädchen aus dem Walde ward des Landes Königin.
Da flüsterte der Erzbischof böse Worte in des Königs Ohren, aber sie drangen nicht bis zu seinem Herzen. Die Hochzeit sollte stattfinden; der Erzbischof selbst mußte ihr die Krone auf das Haupt setzen, und er drückte mit bösem Sinn den engen Reif fest auf ihre Stirne nieder, so daß es schmerzte. Doch ein schwererer Reif lag um ihr Herz: die Trauer um ihre Brüder. Sie fühlte nicht die körperlichen Leiden. Ihr Mund war stumm; ein einziges Wort würde ja ihren Brüdern das Leben kosten; aber in ihren Augen sprach sich innige Liebe zu dem guten, schönen Könige aus, der Alles that, um sie zu erfreuen. Von ganzem Herzen gewann sie ihn von Tage zu Tage lieber; o, daß sie sich ihm nur anvertrauen und ihre Leiden klagen dürfte! Doch stumm mußte sie sein, stumm mußte sie ihr Werk vollbringen. Deshalb schlich sie sich des Nachts von seiner Seite, ging in die kleine Kammer, welche wie die Höhle geschmückt war und strickte ein Panzerhemde nach dem andern fertig. Aber als sie das siebente begann, hatte sie keinen Flachs mehr.
Auf dem Kirchhofe, das wußte sie, wuchsen die Nesseln, die sie gebrauchen konnte; aber die mußte sie selbst pflücken; wie sollte sie da hinaus gelangen! –
»O, was ist der Schmerz in meinen Fingern gegen die Qual, die mein Herz erduldet!« dachte sie. »Ich muß es wagen! Der Herr wird seine Hand nicht von mir abziehen!« Mit einer Herzensangst, als sei es eine böse That, die sie vorhabe, schlich sie sich in der mondhellen Nacht in den Garten hinunter und ging durch die Alleen und durch die einsamen Straßen nach dem Kirchhofe hinaus. Da sah sie auf einem der breitesten Leichensteine einen Kreis Lamien sitzen. Diese häßlichen Hexen zogen ihre Lumpen aus, als ob sie sich baden wollten, und dann gruben sie mit den langen, magern Fingern die frischen Gräber auf und holten mit teuflischer Gier die Leichen heraus und aßen deren Fleisch. Elisa mußte an ihnen nahe vorbei, und sie hefteten ihre bösen Blicke auf sie; aber sie betete still, sammelte die brennenden Nesseln und trug sie nach dem Schlosse heim.
Nur ein einziger Mensch hatte sie gesehen: der Erzbischof; er war munter, wenn die Andern schliefen. Nun hatte er doch Recht, mit seiner Meinung, daß es mit der Königin nicht sei, wie es sein solle; sie sei eine Hexe, deshalb habe sie den König und das Volk bethört.
Im Beichtstuhle sagte er dem Könige, was er gesehen hatte und was er befürchte. Und als die harten Worte seiner Zunge entströmten, schüttelten die Heiligenbilder die Köpfe, als wenn sie sagen wollten: »Es ist nicht so! Elisa ist unschuldig!« Aber der Erzbischof legte es anders aus; er meinte, daß sie gegen sie zeugten, daß sie über ihre Sünde die Köpfe schüttelten. Da rollten zwei schwere Thränen über des Königs Wangen herab; er ging nach Hause mit Zweifel in seinem Herzen und stellte sich, als ob er in der Nacht schlafe. Aber es kam kein ruhiger Schlaf in seine Augen, er merkte, wie Elisa aufstand. Jede Nacht wiederholte sie dieses, und jedes Mal folgte er ihr leise nach und sah, wie sie in ihre Kammer verschwand.
Von Tag zu Tag wurden seine Mienen finsterer; Elisa sah es, begriff aber nicht, weshalb; allein es ängstigte sie, und was litt sie nicht im Herzen für die Brüder! Auf