Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
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auf dem frommen Gesichte, als ob es sich in dem irdischen Staube abpräge, daß es letzt vor seinem Gotte stehe!

      Aber draußen im Walde blühte die wunderbare Pflanze; sie war fast wie ein Baum anzusehen, und alle Zugvögel beugten sich vor ihr. »Das ist nun wieder so eine Ausländischthuerei,« sagten die Disteln und die Kletten, »so können wir uns hier zu Lande doch nie betragen.«

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Die schwarzen Waldschnecken spuckten vor der Blume aus.

      Dann kam der Schweinehirt. Er sammelte Disteln und Gesträuche, um Asche daraus zu brennen. Die ganze wunderbare Pflanze sammt allen Wurzeln kam mit in sein Bündel: »Sie soll auch nutzbar werden,« sagte er, und gesagt, gethan!

      Doch seit Jahr und Tag litt der König des Landes an der tiefsten Schwermuth, er war fleißig und arbeitsam, es half ihm nichts; man las ihm sinnige gelehrte Schriften vor, man las die oberflächlichsten, die leichtesten, die man finden konnte, – es half nichts! Da sandte einer der Weisesten der Welt, an die man sich gewendet hatte, einen Boten ab und ließ sagen, daß es doch ein Mittel gebe, ihm Linderung zu verschaffen und ihn zu heilen: »In dem eigenen Reiche des Königs wüchse im Walde eine Pflanze himmlischen Ursprungs; so und so sähe sie aus, man könne sich nicht irren.«

      »Sie ist wohl mit in mein Bündel gekommen,« sagte der Schweinehirt, »und ist schon lange zu Asche geworden, aber ich wußte es nicht besser.«

      »Wußtest es nicht besser? Unwissenheit über Unwissenheit!« Und diese Worte konnte sich der Schweinehirt zu Herzen nehmen; ihm und keinem Andern galten sie.

      Kein Blatt war mehr zu finden, das einzige lag in dem Sarge der Todten, und davon wußte Niemand etwas.

      Und der König selbst wanderte in seinem Mismuthe in den Wald nach dem Orte hinaus.

      »Hier hat die Pflanze gestanden!« sagte er, »es ist eine heilige Stätte!«

      Und der Platz wurde mit einem goldenen Gitter eingezäunt, und eine Schildwache dort aufgestellt!

      Der botanische Professor schrieb eine große Abhandlung über die himmlische Pflanze; für diese wurde er vergoldet, und diese Vergoldung stand ihm und seiner Familie sehr gut; und das ist das Erfreulichste bei der ganzen Geschichte; denn die Pflanze war verschwunden und der König blieb mismuthig und betrübt – aber das war er auch vorher, sagte die Schildwache.

      In dem deutschen Lande Württemberg, wo die Akazien an der Landstraße blühen, wo die Aepfel und Birnbäume sich im Herbste zur Erde neigen unter dem Segen gereifter Früchte, liegt das Städtchen Marbach; gehört dieses nun auch in die Zahl der kleinen Städte, so liegt es dafür reizend am Neckarflusse, der dahin eilt an Dörfern, an alten Ritterburgen und grünenden Weinbergen vorüber, um seine Gewässer mit dem stolzen Rheine zu mischen.

      Es war Spätherbst, das Weinlaub hing zwar noch an der Rebe, aber die Blätter hatten sich schon röthlich gefärbt; Regengüsse zogen über die Gegend dahin, die kalten Herbstwinde nahmen an Kraft und Schärfe zu – es war eben keine angenehme Zeit für arme Leute.

      Die Tage wurden immer kürzer und trüber, und war es finster selbst draußen unter freiem Himmel, so war es noch finsterer drinnen in den alten, kleinen Häusern. – Eins dieser Häuser kehrte seinen Giebel der Straße zu und stand da mit seinen kleinen, niedrigen Fenstern, ärmlich und gering; arm war auch die Familie, die in dem Häuschen wohnte, aber sie war brav und fleißig und trug einen Schatz von Gottesfurcht im tiefinnersten Herzen. Noch ein Kind würde der liebe Gott ihr bald schenken; es war die Stunde da, die Mutter lag in Schmerzen und Nöthen. Da schallte vom Kirchthurme zu ihr herüber das tiefe, festliche Glockengeläute, es war eine feierliche Stunde, und der Sang der Glocke erfüllte die Betende mit Andacht und Glauben; aus ihrem innersten Herzen schwangen sich die Gedanken zu Gott hinan, und zur selben Stunde gebar sie ein Söhnchen. Erfüllt war sie von unendlicher Freude, und die Glocke drüben im Thurme läutete gleichsam ihre Freude über Stadt und Land hinaus. Zwei klare Kindesaugen blickten sie an, und das Haar des Kleinen glänzte wie golden. Das Kind wurde auf Erden mit Glockenklang an dem finstern Novembertage empfangen; Mutter und Vater küßten es, und in ihre Bibel schrieben sie: »Am zehnten November 1759 schenkte Gott uns einen Sohn«; später wurde noch hinzugefügt, daß er in der Taufe die Namen: Johann Christoph Friedrich erhalten habe.

      Und was wurde nun aus dem Bürschchen, dem armen Knaben aus dem geringen Marbach? Ja, damals wußte das noch Niemand, selbst die alte Thurmglocke nicht, wie hoch sie auch hing und zuerst über ihn gesungen und geklungen hatte, – über ihn, der einst das schönste Lied von der »Glocke« singen sollte.

      Nun, der Knabe wuchs heran, und die Welt wuchs mit ihm; die Eltern siedelten freilich später nach einer andern Stadt über, aber liebe Freunde blieben ihnen in dem kleinen Marbach, und deshalb machten sich auch Mutter und Söhnchen eines schönen Tages auf, und fuhren nach Marbach zum Besuche hinüber. Der Knabe war erst sechs Jahre alt, allein er wußte schon Manches aus der Bibel und den frommen Psalmen, hatte schon manchen Abend, wenn er auf seinem kleinen Rohrstuhle dasaß, dem Vater zugehört, wenn dieser aus Gellert's Fabeln, oder aus Klopstock's hohem Liede »Messias« laut vorlas; er und seine zwei Jahre ältere Schwester hatten heiße Thränen geweint über Denjenigen, der für uns Alle den Tod am Kreuze litt.

      Bei diesem ersten Besuche in Marbach hatte das Städtchen sich nicht viel verändert; es war ja auch nicht lange her, daß sie es verlassen hatten; die Häuser standen dort, jetzt wie ehemals, mit ihren spitzen Gipfeln, hervorspringenden Mauern, das eine Stockwerk über das andre hinaus, und ihren niedrigen Fenstern; nur auf dem Kirchhofe waren neue Gräber hinzugekommen, und dort, unten im Grase, hart an der Mauer, stand jetzt die alte Glocke; sie war von ihrer Höhe herabgestürzt, hatte einen Sprung erhalten und konnte nicht mehr läuten; auch war eine neue Glocke an ihre Stelle gekommen.

      Mutter und Sohn waren in den Kirchhof eingetreten. Sie blieben vor der alten Glocke stehen, und die Mutter erzählte ihrem Knaben, wie grade diese Glocke Jahrhunderte eine sehr nützliche Glocke gewesen sei, wie sie zur Kindtaufe, zur Hochzeit und zum Begräbniß geläutet habe; sie habe von Festen und Freuden und von den Schrecknissen des Feuers gesprochen, ja ganze Menschenleben habe die Glocke ausgesungen. Und nimmer vergaß der Knabe, was die Mutter erzählte, es klang und sang und hallte wieder in seiner Brust, bis er als Mann es heraussingen mußte. Auch das erzählte die Mutter ihm, daß die alte Thurmglocke ihr Trost und Freude in ihren Nöthen gesungen, daß sie gesungen und geklungen als er, das Knäblein, ihr gegeben worden; und fast mit Andacht betrachtete der Knabe die große, alte Glocke, er neigte sich über sie und küßte sie, so alt, zersprungen und hingeworfen sie auch da stand zwischen Gras und Nesseln.

      In gutem Andenken blieb die alte Glocke bei dem Knaben, der in Armuth heranwuchs, lang und hager mit röthlichem Haare und einem Gesichte voll Sommersprossen; ja, so sah er aus, aber dabei hatte er ein paar Augen, so klar und tief wie das tiefste Wasser. Und wie erging es ihm wohl? – Gut erging es ihm, beneidenswerth gut! Wir finden ihn in höchsten Gnaden in die Militairschule aufgenommen, in die Abtheilung sogar, wo die Söhne der feinen Welt, saßen, und das war ja Ehre, hieß ja Glück! Gamaschen trug er, steife Halsbinde und gepuderte Perrücke; und Kenntnisse brachte man ihm bei, und zwar unter dem Commando von »Marsch! Halt! Front!« Da konnte schon was dabei herauskommen.

      Die alte Thurmglocke hatte man unterdeß fast vergessen; daß sie noch einmal in den Schmelzofen wandern müsse, war vorauszusehen, und was würde dann wohl aus ihr werden? – Ja, das könne man unmöglich vorhersagen, und gleich unmöglich war es denn auch zu sagen, was von der Glocke klingen würde, die in der jungen Brust des Knaben von Marbach wiederhallte; aber ein tönendes Erz war sie, und klingen that sie, daß es in die weite Welt hinaus schallen müsse, und je enger es hinter den Schulwänden wurde, und je betäubender das »Marsch! Halt! Front!« erscholl, – um so lauter klang es in der Brust des Jünglings, und er sang es aus im Kreise der Kameraden, und der Klang tönte über die Grenzen des Landes hinaus. Doch, darum habe man ihm nicht seinen Freiplatz in der Militairschule, und nicht Kleider und Nahrung gegeben; hatte er doch hier schon die