Der Andere. Reiner W. Netthöfel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reiner W. Netthöfel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737524094
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„Hm.“, brummte er verärgert. Tom fing an zu zittern, was nicht an den Temperaturen lag, sondern daran, dass er mit dieser Situation nicht umzugehen wusste. Er hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht. Was jetzt folgen würde, dürfte ihr unmittelbarer Tod sein. Dann löste der Master einen Packen vom Rücken des Packpferdes und verschnürte ihn hinter dem Sattel des Reitpferdes.

      „Schon mal auf einem Pferd gesessen?“, fragte er, ohne jemanden anzuschauen, mit sonorer Stimme.

      „Ja, Master.“, antworteten die beiden schüchtern und verständnislos. Der Master löste eine Trinkflasche vom Reitpferd und hielt sie Sarah hin.

      „Durst?“ Sarah stand wie versteinert vor ihm, die Hände immer noch auf dem Rücken verschränkt, als wären sie noch gefesselt, und sah ihn mit großen Augen an. Er hob die Flasche leicht an und schüttelte sie. „Was ist? Ihr müsst doch Durst haben.“, meinte er sanft. Sarah konnte immer noch nicht reden.

      „Das ist Masters Flasche, Master.“, wandte Tom leise ein und rieb sich verlegen die Handgelenke.

      „Das ist mir bekannt.“ Er sah Tom in Erwartung weiterer Aufklärung über Sarahs Verhalten an.

      „Nigger dürfen nicht aus den Flaschen der Weißen trinken.“, flüsterte Tom. Der Master ließ die Flasche sinken und holte tief Atem.

      „Ach so.“, meinte der Master. „Ihr habt Durst und hier ist Wasser drin. Um an das Wasser zu kommen, müsst ihr die Flasche nehmen und daraus trinken. Ganz einfach.“, belehrte er sie. Tom senkte den Blick und schüttelte den Kopf.

      „Und wenn ich es euch befehle?“

      Das Mädchen wisperte: „Ja, Master.“ Sarah nahm jetzt vorsichtig die dargereichte Flasche und trank ein wenig, immer auf der Hut, sollte sie ein unvorhergesehener Schlag sie treffen. Es traf sie aber nichts. Dann wollte sie rasch dem Master die Flasche zurückgeben, wie, um damit eine mögliche Ursache für Ungemach loszuwerden.

      „Trink, Mädchen, trink. Ist noch was da.“, ermunterte sie der Weiße sanft. Sie trank und reichte die Flasche an Tom weiter, nachdem der Master ihr dies mit einer Geste angedeutet hatte.

      „Mach sie ruhig leer, Junge.“ Tom trank gierig das lauwarme Wasser und gab verlegen die leere Flasche zurück. Der Master verstaute sie, sah in den Himmel und fragte: „Geht doch. - Kennt ihr euch hier aus?“

      „Ja, Master.“, antwortete Tom mit gesenktem Blick. Der Master wies nach vorne, den Reitweg entlang und meinte: „Der Weg führt nach Norden. Es ist noch ein paar Stunden hell, dann müssen wir unser Lager richten. Gibt es einen geeigneten Platz?“

      „Es gibt einen Bach.“ Der Master nickte.

      „Gut. Sarah sitzt hinter mir, du nimmst das Packpferd.“

      „Aber …“ Der Master sah Tom belustigt an.

      „Ist das auch verboten?“, fragte der Master mit einem Schmunzeln, das die beiden nicht sahen, denn sie betrachteten intensiv den Boden, auf dem sie standen. Tom nickte und war sehr erstaunt, als der Weiße lachte, Sarah beim Aufsitzen half, sich selbst aufs Pferd setzte und langsam voranritt. Tom beeilte sich aufzusitzen.

      Das Packpferd, an dessen Mähne sich Tom festhielt, hatte die Vorausreitenden bald eingeholt. Sarah saß etwas hilflos hinter ihrem neuen Master und wusste nicht, wo sie die Hände lassen sollte; sie wollte sich zwar irgendwo festhalten, fand aber nicht die richtigen Punkte, um ausreichend Sicherheit zu bekommen.

      „Du kannst die Arme um mich schlingen.“, brummte der Master, der spürte, wie Sarah stocksteif wurde.

      „Mach schon.“

      Wäre den dreien ein Mensch begegnet, hätte sich diesem ein Bild geboten, was sicherlich einzigartig in diesem Landstrich gewesen wäre: ein gemischtrassiges Familienidyll.

      Selbst hundert Jahre später wäre ein Weißer, der mit zwei schwarzen Jugendlichen einen Ausritt unternimmt und sich von einem schwarzen Mädchen mit dürren Armen umklammern lässt, eine Zeitungsmeldung wert gewesen.

      Tom, der noch vor ein paar Stunden in einem Erdloch festgekettet war und sich ausgemalt hatte, von Sarah getrennt zu werden, saß nun ohne Handfesseln auf einem Pferd und verstand die Welt nicht mehr. Wäre er ein besserer Reiter gewesen, hätte er nur den Vorsprung des Masters größer werden lassen müssen, um sich unbemerkt davon zu machen und mitsamt dem Packpferd und dem, was es trug, zu verschwinden. Es gab aber gute Gründe, dies nicht zu tun. Der erste war Sarah, ohne die er nirgendwohin gehen würde. Der zweite war, dass er kein guter Reiter war und das Pferd nicht kannte. Der dritte war seine Neugier auf einen Mann, der es zuließ, dass ein Sklave, den er gerade gekauft hatte, alleine und ungefesselt auf seinem Packpferd reitet.

      Die drei entluden die Pferde an einer grasigen Stelle an einem munter dahinplätschernden Bach, als das noch unglaublichere geschah: der Weiße entkleidete sich vor seinen Sklaven und ließ seine Kleidung und auch seine Waffen offen in ihrer Nähe liegen. Die beiden hatten noch nie einen nackten Weißen gesehen und stellten erstaunt fest, dass zumindest dieser ähnlich gebaut war wie ein schwarzer Mann. Der gottähnliche Status weißer Männer schien dann wohl doch in der Hautfarbe begründet zu sein.

      „Wollt ihr nicht auch ein Bad nehmen?“, fragte er, doch Sarah und Tom blieben eine Antwort schuldig, sondern sahen beschämt zu Boden. Er suchte eine tiefe Stelle und tauchte genüsslich in die kühle Flut, tauchte unter, tauchte auf, prustete und sah zum Ufer, wobei er die beiden dabei ertappte, wie sie sich schnell abwendeten, weil sie ihn mit offenen Mündern beobachtet hatten. Er hockte sich ins Bachbett und schaufelte mit beiden Händen Wasser zu ihnen hinauf, was sie noch mehr verwirrte, dann ging er kopfschüttelnd an Land.

      „Ist es verboten, mit Weißen in einen Bach zu steigen?“, fragte er und sah nur große Ratlosigkeit, dann scheuchte er sie lachend ins Wasser.

      Er beobachtete sie, wie sie nackt im Bach saßen. Beobachtete ihre scheuen Blicke, ihre zaghaften Berührungen. Dann verließ er diskret seinen Platz. Als er nach ein paar Minuten wiederkam, lagen sie sich in den Armen, küssten sich und weinten. Er drehte noch eine Runde.

      Erfrischt und sauber saßen sie bald um ein flackerndes Feuerchen und aßen eine Kleinigkeit. Die Schwarzen hatten sich zunächst abseits im Dunkeln niederlassen wollen, aber das ließ der Weiße nicht zu.

      „Wir müssen reden.“, war seine Begründung, „Und ich habe keine Lust, mit der Dunkelheit zu reden. Oder ist es auch verboten, dass ein Weißer mit seinen Sklaven redet?“

      Das Reden war jedoch nicht so einfach, wie der Weiße sich das vorgestellt hatte, denn seine beiden Sklaven wagten nicht, ungefragt das Wort an ihn zu richten und auf seine Fragen gaben sie recht einsilbig Antwort. Und obwohl sie jetzt im schwachen Schein des Feuers saßen, war das Weiße ihrer Augen fast das Einzige, was er von ihnen sehen konnte. Sie hatten die Knie hochgezogen und die Arme darum gelegt, wie, um sich zu schützen; keiner traute sich, ihn offen anzusehen, nur hin und wieder trafen ihn versteckte und verschämte Blicke.

      „Warum redet ihr nicht mit mir? Bin ich ein Untier?“, fragte er ruhig. Sie schauten sich an und nickten sich gegenseitig zu. Die zarte Sarah nahm allen Mut zusammen und antwortete leise und mit gesenktem Blick: „Master ist der ungewöhnlichste Weiße, den wir jemals kennengelernt haben.“ Der Angesprochene grinste hintergründig. Wenn sie wüsste, wie recht sie hat, dachte er.

      „Das will ich gerne glauben, ich bin ja schon eine Weile im Land und habe so dies und das beobachtet. Aber ihr solltet wissen, dass es auch Leute wie mich gibt.“

      Die beiden sahen ihn mit großen Augen an und er sah die tausend Fragen, die sie hatten, und die sie sich nicht zu stellen trauten.

      „Jaja, schaut nur. Ich bin nicht der einzige auf der Welt, dem die Hautfarbe egal ist. Ein paar andere gibt es schon noch.“

      „Wir kennen keinen.“, flüsterte die kesse, scheue Sarah.

      „Glaub ich dir, wird sich aber ändern.“ Sarah schaute auf.

      „Wir werden andere kennenlernen?“

      „Will