Auch auf Södermalm, wo sich die Felsenklippe steil aus dem See erhebt, begann man zu bauen. Dort errichtete man eine Kirche zu Ehren der Jungfrau Maria.
Aber du mußt nicht glauben, daß nur Klosterleute nach Stockholm zogen, Klement. Da waren auch viele andere. Vor allem waren da eine Menge deutscher Kaufleute und Handwerker. Sie waren tüchtiger als die schwedischen und wurden gut aufgenommen. Sie ließen sich in der Stadt innerhalb der Mauern nieder, rissen die armseligen kleinen Häuser herunter, die schon dort standen und bauten neue, prächtige, steinerne Häuser. Aber es war nur ein wenig Platz in den Häusern, sie mußten sie dicht nebeneinander legen, mit den Giebeln nach den schmalen Gassen hinaus.
Ja, du siehst, Klement, Stockholm übte eine große Anziehungskraft auf die Menschen aus.«
Jetzt ward ein anderer Herr sichtbar, der schnell den Gang hinabgegangen kam, gerade auf die beiden zu. Aber der Herr, der mit Klement sprach, winkte mit der Hand, und der andere blieb in einiger Entfernung stehen. Der vornehme alte Herr kam wieder nach der Bank und setzte sich neben den Spielmann.
»Jetzt sollst du mir einen Gefallen tun, Klement,« sagte er. »Ich habe keine Zeit, länger mit dir zu sprechen, aber ich will dafür sorgen, daß dir ein Buch über Stockholm zugeschickt wird, und das sollst du von Anfang bis zu Ende durchlesen. Nun habe ich, sozusagen, den Grund von Stockholm für dich gelegt, Klement. Studiere nun selbst weiter und mache dich bekannt damit, wie die Stadt gelebt und sich verändert hat! Lies, wie die kleine, enge, mauerumschlossene Stadt auf den Werdern sich ausbreitete und zu diesem großen Häusermeer wurde, das wir hier unter uns sehen. Lies, wie der dunkle Turm Kärnan das schöne helle Schloß hier unten geworden ist, und wie die Kirche der Grauen Mönche die Grabstätte der schwedischen Könige wurde. Lies, wie der eine Werder nach dem anderen sich mit Gebäuden füllte! Lies, wie die Kohlgärten auf Södermalm und Nörrmalm zu Parks oder zu bebauten Stadtvierteln wurden! Lies, wie die Bergrücken abgetragen und die Sunde ausgefüllt wurden! Lies, wie der abgesperrte Tierpark der Könige die liebste Zufluchtsstätte des Volkes wurde! Du mußt dich bemühen, vertraut mit Stockholm zu werden, Klement. Diese Stadt ist nicht nur die Stadt der Stockholmer. Sie gehört dir und ganz Schweden.
Und wenn du dann von Stockholm liest, Klement, so denke daran, daß ich die Wahrheit gesprochen habe, und daß die Stadt die Kraft besitzt, alle an sich zu ziehen! Zuerst zog der König hierher, dann bauten die vornehmen Herren ihre Paläste hier. Darauf ward einer nach dem anderen angezogen, so daß Stockholm jetzt, wie du siehst, nicht mehr eine Stadt für sich selbst oder für die nähere Umgegend ist. Es ist eine Stadt für das ganze Land geworden.
Du weißt ja, Klement, daß in jeder Landgemeinde ein Gemeinderat abgehalten wird, in Stockholm aber wird der Reichstag für das ganze Volk abgehalten. Du weißt, daß im ganzen Lande in jeder Harde Richter angestellt sind, in Stockholm aber ist ein Gericht, das über alle die anderen das Urteil spricht. Du weißt, daß überall im Lande Reserven und Truppen sind, in Stockholm aber sitzen die, die den Befehl über das ganze Heer haben. Überall im Lande gehen Eisenbahnen, von Stockholm aus wird aber das Ganze geleitet. Hier ist die Oberhoheit für Geistliche, für Ärzte, für Lehrer, für Hardesvögte und Ortsvorsteher. Hier ist der Mittelpunkt dieses Landes, Klement. Von hier kommt das Geld, das du in deiner Tasche hast, von hier kommen die Briefmarken, die wir auf unsere Briefe kleben. Von hier kommt für einen jeden Schweden etwas. Und hier haben alle Schweden etwas zu tun. Hier braucht sich niemand fremd zu fühlen und sich nach Hause zu sehnen. Hier sind alle Schweden zu Hause.
Und wenn du von alledem liesest, was hier in Stockholm vereint ist, Klement, so vergiß nicht das letzte, was diese Stadt an sich gezogen hat. Das sind diese alten Bauerhäuser auf der Schanze. Das sind Spielleute und Märchenerzähler. Alles, was alt und gut ist, hat Stockholm hier nach der Schanze hinaufgezogen, um es zu ehren, und damit es draußen im Volk zu Ehren kommen soll.
Vor allen Dingen aber, Klemmt, vergiß nicht, daß, wenn du von Stockholm liest, du hier an diesem Platz sitzen mußt. Du sollst das muntere, glitzernde Spiel der Wellen und die strahlenden, grünen Küsten anschauen. Du mußt dafür sorgen, daß du von dem Zauber erfaßt wirst, Klement!«
Der schöne, alte Herr hatte die Stimme erhoben, so daß sie stark und gebieterisch klang, und seine Augen blitzten. Nun erhob er sich, machte eine Bewegung mit der Hand und verließ Klement. Und im selben Augenblick wurde es Klement klar, daß es ein sehr vornehmer Herr sein müsse, der mit ihm geredet hatte, und er verbeugte sich, so tief er konnte.
*
Am nächsten Tag kam ein königlicher Lakai mit einem großen, roten Buch und einem Brief an Klement, und in dem Briefe stand, daß das Buch vom König sei.
Von diesem Augenblick an war der kleine, alte Klement Larsson viele Tage lang ganz aus dem Häuschen, und es war fast unmöglich, ein vernünftiges Wort aus ihm herauszubringen. Als eine Woche vergangen war, ging er zu Doktor Hagelius und kündigte seine Stellung. Er sei gezwungen, nach Hause zu reisen. »Was hast du da zu suchen? Plagt dich noch immer das Heimweh?« fragte der Doktor, – »Ach nein,« sagte Klement, »damit hat es jetzt nichts mehr auf sich, aber ich muß trotzdem nach Hause.«
Klement war sehr mit sich zu Rate gegangen, denn der König hatte gesagt, er solle sich mit Stockholm vertraut machen und suchen, sich dort zurecht zu finden, aber Klement konnte es nicht aushalten, ehe er denen daheim nicht erzählt hatte, daß der König ihm dies gesagt habe. Er konnte nicht anders, er mußte daheim auf dem Kirchenhügel stehen und vornehm und gering erzählen, daß der König so gut gegen ihn gewesen sei, daß er auf derselben Bank mit ihm gesessen und ihm ein Buch geschenkt und sich Zeit gelassen habe, mit ihm, einem armen, alten Spielmann, eine ganze Stunde zu reden, um ihn von seinem Heimweh zu kurieren. Es war etwas Großes, es den Lappen und den Mädchen aus Dalarna hier auf der Schanze zu erzählen, aber das war doch nichts dagegen, es daheim zu erzählen!
Wenn Klement auch im Armenhause stranden sollte, so würde das nach diesem nicht so hart sein. Er war jetzt ein ganz anderer Mann als vorher, und würde auf ganz andere Weise geachtet und geehrt werden.
Und dies neue Sehnen wurde Klement zu stark. Er mußte zum Doktor und ihm sagen, daß er gezwungen sei, zu reisen.
XXXVII. Der Adler Gorgo
Im Felsental.
Hoch oben im lappländischen Gebirge, auf einem Felsenvorsprung, der über eine schroffe Bergwand hinausragte, lag ein alter Adlerhorst. Das Nest bestand aus Tannenzweigen, die schichtenweise quer übereinandergelegt waren. Jahr für Jahr war es erweitert und erhöht worden und lag nun dort auf seinem Felsgesims mehrere Ellen breit und fast so hoch wie eine Lappenhütte.
Der Grat, auf dem das Adlernest lag, türmte sich über einem ziemlich großen Tal auf, das im Sommer von einer Schar Wildgänse bewohnt wurde. Das Tal war ein ausgezeichneter Zufluchtsort für sie. Es lag so gut versteckt zwischen den Bergen, daß nur vereinzelte Leute davon wußten, selbst von den Lappen kamen nur wenige dorthin. Mitten im Tal lag ein kleiner, runder See, der reichlich Nahrung für die jungen Gänse lieferte, und an den Ufern, die voll von Erderhöhungen waren und an denen niedriges Weidengestrüpp und verkrüppelte Birken wuchsen, gab es die besten Brutplätze, die sich die Gänse nur wünschen konnten.
Seit undenklichen Zeiten hatten Adler dort oben auf dem Felsgrat gewohnt und Wildgänse unten im Tal. Jedes Jahr raubten