Als er ihrem Tanz unter den Bäumen eine Weile zugesehen hatte, ging er an den Strand hinab, nahm eines der Seehundkleider, die dort lagen, und versteckte es unter einem Stein. Dann kehrte er nach seinem Boot zurück, legte sich daneben und stellte sich schlafend.
Bald darauf sah er die Meerjungfrauen an den Strand hinab kommen, um die Seehundkleider anzuziehen. Anfangs war alles Spiel und Fröhlichkeit, bald aber verwandelte es sich in Jammer und Klagen, weil eine von ihnen ihr Gewand nicht finden konnte. Sie liefen alle am Ufer hin und her und halfen ihr suchen, keine aber fand es. Während sie so liefen und suchten, sahen sie, daß der Himmel hell wurde und daß der Tag nahe war. Da schien es, als könnten sie nicht länger bleiben, sie schwammen alle davon bis auf diejenige, die kein Seehundkleid hatte. Die blieb am Strande sitzen und weinte.
Der Fischer hatte ja freilich großes Mitleid mit ihr, aber er zwang sich, ruhig liegen zu bleiben, bis es heller Tag geworden war. Da stand er auf und schob das Boot in die See hinaus, und als er die Ruder schon erhoben hatte, tat er so, als erblicke er sie ganz zufällig. ›Was für eine bist denn du?‹ rief er. ›Bist du eine Schiffbrüchige?‹
Sie stürzte auf ihn zu und fragte, ob er nicht ihr Seehundkleid gesehen habe, der Fischer aber tat so, als verstehe er nicht einmal, wonach sie ihn fragte. Da setzte sie sich wieder hin und weinte, aber nun schlug er ihr vor, zu ihm in sein Boot zu kommen. ›Komm mit nach Hause in meine Hütte,‹ sagte er. ›Dann kann meine Mutter sich deiner annehmen. Du kannst doch nicht hier auf dem Werder sitzen bleiben, wo du weder ein Bett noch einen Bissen Essen bekommen kannst!‹ Und er sprach so gut, daß sie sich überreden ließ, zu ihm in das Boot zu kommen.
Der Fischer wie auch seine Mutter waren unbeschreiblich gut gegen die arme Meerjungfrau, und sie schien sich sehr wohl bei ihnen zu befinden. Mit jedem Tage wurde sie fröhlicher, sie half der Alten bei der Arbeit und war ganz so wie ein Fischermädchen, nur daß sie viel schöner war als alle die anderen. Eines Tages fragte der Fischer sie, ob sie seine Frau werden wolle, und dagegen hatte sie nichts einzuwenden; sie sagte sogleich ja.
Da rüstete man zur Hochzeit, und als die Meerjungfrau als Braut geschmückt werden sollte, zog sie ihr grünes, seidenes Kleid an und flocht den schimmernden Perlenkranz in ihr Haar, so wie sie gekleidet gewesen war, als der Fischer sie zum erstenmal gesehen hatte. In jenen Zeiten gab es in den Schären weder Pfarrer noch Kirche. Die Brautleute setzten sich in ein Boot und ruderten auf den Mälar und ließen sich in der ersten Kirche trauen, zu der sie kamen.
Der Fischer hatte seine Braut und seine Mutter im Boot und er segelte so gut, daß er allen anderen voraus war. Als er so weit gekommen war, daß er den Werder im Strom sehen konnte, wo er seine Braut gewonnen hatte, die nun so stolz und geschmückt an seiner Seite saß, konnte er sich eines Lachens nicht erwehren. ›Worüber lachst du?‹ fragte sie. – ›Ach, ich denke an die Nacht, als ich dein Seehundkleid versteckte,‹ antwortete der Fischer, denn nun fühlte er sich ihrer so sicher, daß er meinte, er brauche ihr nichts mehr zu verbergen. – ›Was sagst du da?‹ fragte die Braut. ›Ich habe doch nie ein Seehundkleid besessen.‹ Es war, als habe sie alles vergessen. ›Weißt du denn nicht mehr, wie du mit den Meerjungfrauen getanzt hast?‹ fragte er. – ›Ich weiß nicht, was du meinst,‹ sagte die Braut. ›Ich glaube, du hast über Nacht einen wunderlichen Traum gehabt.‹
›Wenn ich dir nun dein Seehundkleid zeige, wirst du mir dann glauben?‹ fragte der Fischer und steuerte im selben Augenblick auf die Insel zu. Sie gingen an Land und sie fanden das Gewand unter dem Stein, wo er es versteckt hatte.
Kaum aber sah die Braut das Seehundkleid, als sie es ihm entriß und sich über den Kopf warf. Es umschloß sie, als sei es lebend, und sie stürzte sich sofort in den Strom.
Der Bräutigam sah sie davon schwimmen; er sprang ihr nach ins Wasser, konnte sie aber nicht erreichen. Als er sah, daß er sie auf keine andere Weise zurückhalten konnte, griff er in seiner Verzweiflung nach dem Spieß und warf ihn nach ihr. Er traf besser, als er gewollt hatte, denn die arme Seejungfrau stieß einen klagenden Schrei aus und verschwand in der Tiefe.
Der Fischer blieb am Strande stehen und wartete darauf, daß sie wieder zum Vorschein kommen würde. Da aber sah er, daß sich ein milder Schein ringsumher über das Wasser verbreitete. Es strahlte in einer Schönheit, wie er nie zuvor etwas Ähnliches gesehen hatte. Es schimmerte und glitzerte rosenrot und weiß, so wie die Farben im Innern einer Muschel schillern.
Als die glitzernden Wellen gegen das Ufer schlugen, war es dem Fischer, als wenn auch die sich veränderten. Sie waren voller Blumen und Duft, ein milder Glanz lag über ihnen, so daß sie eine Schönheit erhielten, wie sie sie nie zuvor besessen hatten.
Und er verstand, woher dies alles kam. Denn mit den Seejungfrauen verhält es sich so, daß, wer sie sieht, sie schöner finden muß als alle anderen, und als sich nun das Blut der Meerjungfrauen mit dem Wasser vermischte und an den Ufern hinaufschlug, ging ihre Schönheit auch auf die Ufer über, und fortan mußten alle, die sie sahen, sie lieben und sich von Sehnsucht zu ihnen hingezogen fühlen.«
Als der vornehme alte Herr in seiner Erzählung so weit gekommen war, wandte er sich nach Klement um und sah ihn an, und Klement nickte ihm ernsthaft zu, sagte aber nichts, um die Erzählung nicht zu unterbrechen.
»Nun mußt du achtgeben, Klement,« fuhr der alte Herr fort, und es kam auf einmal ein schelmisches Aufblitzen in seine Augen, »daß seit jener Zeit die Leute anfingen, sich auf den Werdern niederzulassen. Zuerst waren es nur Fischer und Bauern, die sich da draußen ansiedelten, aber eines schönen Tages kamen der König und sein Jarl den Strom hinaufgefahren. Sie sprachen sogleich von den drei Werdern, und sie machten einander darauf aufmerksam, daß jedes Schiff, das in den Mälarsee hineinsegeln wollte, an ihnen vorüberfahren müsse. Und der Jarl sagte, hier müsse man ein Schloß vor das Fahrwasser legen, das man nach Belieben öffnen und schließen könne: die Handelsschiffe müßten hineingelassen und die Seeräuberflotten ausgeschlossen werden.
»Und siehst du, daraus wurde Ernst,« sagte der alte Herr und erhob sich und begann wieder mit seinem Stock im Sand zu zeichnen. »Auf der größten von den Inseln hier baute der Jarl eine Burg mit einem großen Wachtturm, der Kärnan genannt wurde. Und rings um den Werder baute er Mauern, wie du es hier siehst. Und hier nach Süden zu setzte er ein Tor in die Mauer und einen starken Turm darüber. Er baute Brücken zu den anderen Werdern hinüber und versah auch die mit hohen Türmen. Und draußen im Wasser, rings um das alles herum, errichtete er einen Kreis von Pfählen mit Schlagbäumen, die geöffnet und geschlossen werden konnten, so daß keine Schiffe ohne seine Erlaubnis vorübersegeln konnten.
Du siehst also, Klement, daß die drei Werder, die hier so lange unbeachtet gelegen haben, sehr bald eine starke Festung wurden. Aber nicht genug damit. Diese Küsten und Sunde ziehen Menschen an, und bald kamen von allen Seiten Leute herbei und siedelten sich auf den Werdern an. Um dieser Menschen willen erbaute der Jarl eine Kirche, die bald den Namen Storkyrka erhielt. Sie lag hier, dicht neben der Burg, und hier innerhalb der Mauern lagen die kleinen Hütten, die sich die Ansiedler zimmerten. Viel Staat war nicht damit zu machen, aber mehr war zu jener Zeit nicht erforderlich, um als Stadt zu gelten. Und die Stadt wurde Stockholm genannt, und so heißt sie noch heutigen Tages.
Und dann kam die Zeit, Klement, wo der Jarl nach seiner großen Arbeit zur Ruhe gehen mußte, und doch sollte es Stockholm nicht an Baumeistern fehlen. Es kamen Mönche ins Land – Schwarze Brüder nannten sie sich – und Stockholm zog sie an sich, so daß sie um Erlaubnis baten, sich dort ein Kloster bauen zu dürfen. Es wurde auch auf dem Stadtholm, auf der anderen Seite der Storkyrka gebaut. Und es kamen andere Mönche, die sich die Grauen Brüder nannten. Auch sie baten um Erlaubnis, in Stockholm zu bauen, aber es war wohl kein Platz zu ihrem Kloster auf dem großen Werder. Deswegen wurde es auf einem der kleineren errichtet, auf dem, der nach dem Mälar hinaus liegt, und der seit jener Zeit Graamunkeholmen heißt. Der dritte Werder wurde von frommen Brüdern bebaut, die sich Heiligegeistbrüder nannten