6. Kapitel
Inzwischen hatte es sich auch in Jerusalem herumgesprochen, dass Saul sich bekehrt und von der Verfolgung der Anhänger des neuen Glaubens abgesehen hatte. Doch Saul vermutete, dass die Apostel das noch nicht so recht glauben würden. Er suchte deshalb zuerst eine Gemeinde auf. Dort trafen wir Barnabas. Er stammte aus Zypern und hatte, nachdem er sich taufen ließ, seinen Acker verkauft und das Geld den Aposteln gebracht. Er war ein überzeugter Anhänger Christi. Sein Name war eigentlich Joseph, doch die Apostel nannten ihn Barnabas, was Sohn des Trostes heißt.
Saul sprach lange mit Barnabas und erzählte ihm von dem, was ihm vor drei Jahren vor Damaskus widerfahren war. Barnabas glaubte ihm.
»Ich werde dich zu Jakobus, dem Bruder unseres Herrn, begleiten«, versprach Barnabas. »Doch es ist besser, wenn ich zuerst einmal allein zu ihm gehen werde. Komm morgen früh wieder zu mir.«
Wir gingen zurück in unsere Herberge. Saul ging sofort in sein Zimmer und schloss sich ein. Ich ließ mir in der Gaststube ein Essen auftischen und sprach noch eine Weile mit den andern Gästen.
Am nächsten Morgen sagte Barnabas: »Jakobus möchte dich sehen. Petrus wird bei ihm sein.«
Die beiden begrüßten uns mit einem Segensspruch.
Wir freuten uns, von diesen beiden Männern empfangen zu werden, die zu Lebzeiten Jesu mit ihm zusammengelebt hatten. Nachdem Saul von seinem Damaskus-Erlebnis berichtet hatte, bat er Jakobus und Petrus von Jesus zu erzählen. Wir verbrachten den ganzen Tag bei ihnen.
Saul sagte auch, dass er in Petra und Damaskus gepredigt und die Botschaft von Jesus verkündigt habe.
»Hast du auch getauft?«, fragte Petrus. »Ich frage dich deshalb, weil der Herr den Heiligen Geist auf uns herabgesandt hat. Durch ihn haben wir die Vollmacht, in seinem Namen zu taufen.«
»Nein«, sagte Saul. »Das habe ich bisher noch nicht getan. Aber mir ist Christus selber erschienen und hat mich bevollmächtigt, das Evangelium überall zu verkünden. Ich glaube, dass dies auch mir die Vollmacht gibt und es sein Wille ist, dass ich jene taufe, denen ich seine Botschaft bringe und die an sein Wort glauben.«
»Du darfst mich nicht falsch verstehen«, erwiderte Petrus, »aber als Jesus unter uns weilte, da hast du ihn nicht gekannt, und es ist noch nicht lange her, da hast du uns verfolgt. Wir waren von Anfang an bei ihm und haben jedes Wort aufmerksam gehört, das Jesus gesprochen hat. Und nachdem er auferstanden ist, hat er uns noch gelehrt. Du aber ...«
»Du vergisst, dass ich Pharisäer war«, fiel ihm Saul ins Wort. »Ich kenne die alten Schriften und ich habe lange Zeit das Leben Jesu und was er gelehrt hat, aus der Ferne beobachtet. Gerade weil ich dies intensiv getan habe und ihn und seine Lehre für das Judentum für gefährlich erachtete, habe ich euch verfolgt. Christus hat euch den Heiligen Geist gesandt. Auch mir ist er erschienen in einem hellen Licht, das mich, nicht meine Augen, die blind wurden, meine ich, sondern meinen Geist, erleuchtet hat. Alles, was ich von ihm wusste, sah ich auf einmal in einem anderen Licht. Er selbst hat auch mich gelehrt und mir aufgetragen, sein Wort zu verkünden.«
»Dann weißt du ja«, sagte Petrus, »dass es der Wille des Herrn ist, dass alle Juden sein Wort hören und es annehmen.«
Und dann erzählte er uns diese Geschichte:
»Einer von uns, Philippus, ist nach Samaria gegangen und hat dort eine Gemeinde aufgebaut. Johannes und ich gingen, da wir so viel von den Wundertaten des Philippus hörten, hinab nach Samaria, um ihm zu helfen. Da war aber auch ein Grieche, kein Jude, der ein Zauberer war und das Volk verführte. Sie liefen ihm nach und bewunderten ihn. Als er von Philippus hörte, ließ er sich taufen. Er war ganz hingerissen von den Wundertaten, die Philippus vollbrachte. Das überstieg alles, was er selber getan hatte. Er sah, dass dies nur durch den Heiligen Geist geschehen konnte. Deshalb ging er zu Philippus und wollte ihm Geld geben, damit er, Philippus, seine Hand auf ihn lege und den Heiligen Geist auch über ihn ausgieße. Ich schrie diesen Simon an und rief: ›Zur Hölle mit dir samt deinem Geld, weil du denkst, du könntest Gottes Gabe mit Geld kaufen.‹ Ich berichte davon, damit du siehst, wie übel es ist, einen Griechen zu taufen. Denke daran, wenn du das Wort verkündigst. Jesus selber hat einmal gesagt, man soll die Perlen nicht vor die Säue werfen.«
Saul musste lächeln.
»Du glaubst, das Evangelium unseres Herrn sei also nur für die Juden bestimmt? Auch ich verkündige das Heil immer zuerst den Juden, weil sie die Schriften kennen und darum die Botschaft besser verstehen sollten. Mir hat Jesus aber ausdrücklich befohlen, sein Wort den Völkern zu verkünden, den Juden und den Heiden. Und das werde ich auch tun.«
Sie redeten noch eine Weile hin und her. Petrus schien skeptisch.
»Den Juden, den Juden«, sagte er noch einmal, leise, aber eindringlich, fast wie zu sich selbst.
Wir verließen nun Jakobus. Petrus kam mit uns. Unterwegs lud er Saul ein, bei ihm zu wohnen. Wir verabschiedeten uns von den beiden. Barnabas lud mich in sein Haus ein. Ich holte meine Sachen in der Herberge und zog zu Barnabas.
Saul blieb fünfzehn Tage bei Petrus. Wir trafen uns aber fast jeden Tag. Dann predigte Saul in Jerusalem. Er wollte vor allem den griechischsprechenden Juden das Evangelium verkünden. Da erfuhren jedoch die getauften Juden, dass die Griechen Saul nach dem Leben trachteten und warnten uns. Deshalb nahmen wir Abschied von Petrus und Barnabas und verließen Jerusalem und gingen hinunter an die Küste des großen Meeres. Über Joppe und Apollonia erreichten wir Cäsarea, wo wir vorläufig blieben.
Auch Petrus verließ Jerusalem, während Saul und Jonas noch in Cäsarea weilten. In Lydda, wo Petrus eine Gemeinde vorfand, heilte er den Äneas, einen Mann, der seit acht Jahren lahm war. In Joppe erweckte er eine Jüngerin mit Namen Tabitha, die in jenen Tagen gestorben war, zum Leben, was großes Aufsehen erregte und viele zum Glauben brachte.
In Joppe wohnte Petrus in einem Haus am Meer, das einem Gerber namens Simon gehörte. Hier wollte er einige Tage bleiben. Als Petrus auf das Dach stieg, um dort zu beten, verspürte er einen großen Hunger. Auf einmal hatte er eine Vision. Vom Himmel herab sah er ein Tuch herabschweben, auf dem eine Schale voller Kriechtiere war. Und neben der Schale lagen lebende Vögel, die an den Beinen zusammengebunden waren und noch mit den Flügeln um sich schlugen. Eine Stimme sprach zu ihm: »Petrus, schlachte diese Tiere und iss sie!«
»Nie und nimmer, mein Herr«, rief Petrus. »Noch nie habe ich etwas so Unreines und Gemeines gegessen.«
Doch die Stimme sprach weiter: »Was Gott rein gemacht hat, das behandle du nicht als unrein.«
Danach wurde das Tuch mit der Schale und den Vögeln wie von unsichtbaren Händen wieder zum Himmel hochgezogen.
Als Petrus wieder zu sich selbst kam und darüber nachdachte, was das zu bedeuten habe, rief die Frau des Gerbers zu ihm hinauf, er solle herunterkommen, es seien zwei Männer da, die zu ihm wollten.
Als Petrus zu ihnen hinuntergestiegen war, sagte der eine zu ihm: »Cornelius, ein römischer Hauptmann in Cäsarea, hat uns geschickt. Er ist ein frommer, gottesfürchtiger Mann und hochangesehen bei der jüdischen Bevölkerung. Er hat von einem Engel die Aufforderung erhalten, dich in sein Haus kommen zu lassen und zu hören, was du ihm von Jesus, den ihr Christus nennt, zu sagen hast.«
Petrus und einige Brüder aus Joppe gingen mit den Boten des Cornelius. Ihm war auf einmal aufgegangen, warum er diese Vision hatte. Kein Mensch, ob Grieche oder Römer, ob ungetaufter Jude oder Heide, durfte als unrein angesehen werden.
Als Petrus in Cäsarea in das Haus des Hauptmanns kam, hatte der seine ganze Sippschaft und seine besten Freunde dort versammelt. Cornelius ging auf Petrus zu und sank vor ihm auf die Knie.
Petrus hob ihn auf und sagte zu ihm: »Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch wie du. Du weißt, dass es einem Juden streng verboten ist, mit einem