Nur keine Blöße geben, keine Schwäche zeigen!
Er wusste, dass er ebenfalls eine sehr starke Ausstrahlung aufbauen konnte und ließ sich leichtsinnigerweise in einem kritischen Moment auf ein Kräftemessen ein. Stumme, gefährliche Blicke kreuzten sich, drohend, abwägend, mit eigenartig irrem Glanz. Spielerisch schnell tauchte in den Händen des Kleineren eine Pistole auf.
‚Was für eine dumme Drohgebärde‘, fand Michael und grinste mit spöttisch zynischem Lächeln, nach kurzem Blick in das mit Gästen besetzte Lokal, als Antwort zurück. Er war sich sicher in diesem Moment, weiter würde, zumindest hier in dieser Bar, keiner der beiden gehen.
Ein verlegenes, heiseres Lachen des Kleineren, während er seine Waffe verschwinden ließ, löste die Spannung endlich etwas.
„Komm, trink mit uns, ich geb’ einen aus!“
Und Michael musste wohl oder übel, vorsichtig wie er nun wieder geworden war, mit den Typen trinken.
Sehr wachsam hatte Jo die Szene, ohne einzugreifen, verfolgt, brachte dann schnell den Nachschub an Getränken und bemühte sich die Runde aufzulockern. Auch Laura hatte offensichtlich reichlich Erfahrung mit einschlägigen Typen. Sie riss Witze mit ihnen, in einem Berliner Idiom, das Michael nicht mehr verstehen konnte.
Zwischendurch flüsterte Jo Michael schnell zu:
„Pass auf den Großen auf, er ist der Gefährlichere!“
Er konnte nicht wissen, dass Freunde ihres ehemaligen Partners hier so angaben. Jo hoffte ängstlich, diese wüssten noch nichts von ihrer neuen Liebe, ihr kam Lauras Anwesenheit sehr gelegen. „Bitte lass die zwei nichts merken, sie sollten nichts über unser Verhältnis erfahren. Ich erklär es dir später!“
„Keine Angst, ich komm schon zurecht!“, hatte Michael gespielt selbstsicher, fast ahnungslos geantwortet.
Er kannte den Ehrenkodex dieser Kreise noch nicht gut genug. Laura dagegen war alles andere als ahnungslos. Sie wusste auch von der Verbindung zu Jos Ehemaligem, obwohl sie ihm nie begegnet war.
Nicht umsonst war sie hier in dem Laden fast zuhause.
Die beiden drahtigen durchtrainierten Typen in elegant geschnittenen Lederjacken machten sich bekannt: Pit und Ronny. Pit’s scharfgeschnittenes Gesicht ließ, im Gegensatz zu dem des etwas kleineren Ronny, eine sicher gefährliche Intelligenz ahnen, sein Humor war bösartig scharf. Ronnys Boxernase verriet den Schläger.
Michael wurde immer wacher, spürte Jos vorsichtige Distanz hinter ihrer Vertraulichkeit, die sie den beiden gegenüber an den Tag legte.
Als es an der Zeit war, den Laden zu schließen, waren Pit und Ronny nicht abzuschütteln.
„Wir machen noch einen Zug durch die Gemeinde, ihr kommt doch mit! Come on, come on!“ Ronny tänzelte um Michael und setzte überraschend ein paar gezielte, markierte Boxhiebe.
Solche Spielchen nicht gewohnt, reagierte Michael zu langsam und wirkte daher fast gelassen, obwohl er zunächst heftig erschrak.
„Gut trainiert, was? - Aber Vorsicht, mach keinen Quatsch!“ Schnell gefasst, überspielte er seine Unsicherheit.
Pit, der größere, ließ betont lässig Autoschlüssel um den Finger kreisen und setzte sehr ironisch nach:
„Achtung Ronny, pass auf! Er könnte gefährlich werden, unser neuer Freund!“
Beruhigend nahmen die beiden Frauen Michael in ihre Mitte und beförderten ihn auf die roten Ledersitze eines chromblitzenden weißen Ami-Schlittens aus den späten Fünfziger Jahren. Reifenquietschend setzte sich das Schiff in Bewegung.
In den verschiedenen Lokalen, die das eigenartige Quintett beehrte, wurde kräftig weitergetrunken. Laura hielt sich recht anschmiegsam an Michaels Seite. Jo unterhielt sich meist mit Pit und Ronny. Dabei entwickelte sich zwischen den drei so unterschiedlichen Männern mehr und mehr ein schlimmes Wettsaufen. Pit und Ronny täuschten sich jedoch in Michael, er hatte Routine und konnte den Grad der Wirkung des Alkohols sehr gut überspielen. Er war ihnen zumindest auf diesem Gebiet überlegen.
Beide Frauen hielten schon lang nicht mehr mit und Laura war an Michaels Schulter eingeschlafen, als Jo sich über den Tisch beugte: „Achtung, Kripo!“
Michael hatte dafür keinen Blick, hatte nicht einmal die Veränderung bemerkt.
Pit und Ronny reagierten dagegen außergewöhnlich schnell. Verhältnismäßig ernüchtert, so unauffällig elegant und rasch, wie’s für ihren Zustand in dieser Situation gerade eben möglich war, verabschiedeten sie sich.
„Endlich!“, Erleichterung sprach aus Michaels Haltung, obwohl ihn eine undeutliche Ahnung davon beschlich, was Jo von ihm denken könnte.
Verschlafen blinzelte Laura:
„Endlich was? - Polizei?“
Michael zog Jo lachend an seine Seite und zu dritt rückten sie enger zusammen. Sie redeten nur wenig, tranken aber noch mehr, und ihre Spannung ließ erst langsam nach, als sich keiner weiter um sie kümmerte. Michael blieb es, die Gesamtrechnung zu bezahlen. Sie gingen dann ein Stück zu Fuß, bevor sie ein Taxi nahmen, und landeten schließlich in Jos Wohnung.
Jo hatte nicht viele Umstände gemacht und alle drei waren, einigermaßen rasch entkleidet, zusammen in das große Bett gefallen, um ihren unfreiwilligen Rausch auszuschlafen.
‚Jo wird sicher annehmen, ja sie muss geradezu annehmen, ich wäre ein Krimineller, ein Gangster!’, mit dickem verkaterten Kopf stand Michael über die Toilette gebeugt und kämpfte mal wieder mit seiner Übelkeit.
‚Ich arbeite nicht, hab immer viel zu viel Zeit. Sie fragt nie danach, woher das Geld kommt. Überhaupt fragt sie nie etwas, und mein Verhalten trägt dazu bei, sie annehmen zu lassen ...’
Eine neue Welle riss ihn aus seinen Gedanken und unter scheußlichem Würgen spuckte er nur noch Galle.
‚Ich muss es schaffen zu schreiben, so geht’s nicht weiter!’, Kälte ließ ihn zittern, und schlotternd hangelte er sich zum Waschbecken. Fließendes Wasser half ein wenig. ‚Die grauenhafte Sauferei muss ich in den Griff bekommen, sonst wird das nie was.’
Morgen würde er eine Schreibmaschine kaufen, er nahm es sich fest vor, bevor er mit weichen Knien und Schüttelfrost durch die Wohnung schlich und in die Bettwärme seiner Frauen zurück kroch.
Katerkopf und Übelkeit ließen ihn nicht schlafen, schmerzende Helligkeit suchte sich ihren Weg, drang in das abgedunkelte Zimmer. Laura schnarchte leise vor sich hin und Jo zuckte nervös auf, warf sich unter der Bettdecke hin und her, stöhnte und redete im Schlaf Unverständliches.
Michael betrachtete die eingerollte Laura. Einzelne schmale Sonnenstrahlen, die sich durch einen Spalt der dicken Vorhänge zwängten, beschienen ihre helle, eigenartig schöne Haut.
Das friedlich entspannte Gesichtchen mit sinnlichen vollen Lippen, schlafend, kindlich, von Make-up verunstaltet, war ihm zugewandt. Haarsprayverklebte Haare hatten skurrile Formen angenommen und rochen aufdringlich unangenehm nach süßlichem Parfüm und kaltem, abgestandenem Rauch.
Eine nervöse Bewegung Jos, als sie im Schlaf die Decke an sich riss, nahm brutal die schützende Hülle weg, bis Michael sie vorsichtig zurückzog, um Laura zu bedecken.
Laura blinzelte kurz und kuschelte sich wärmesuchend dicht an ihn. Übelkeit und pochender Schmerz im Kopf konnten nicht verhindern, dass Michael die intensive Berührung ihrer nahezu nackten Körper erregte, das Pochen in seinem Kopf verstärkte.
Versteinert lag er so einen Moment und wagte sich nicht mehr zu rühren.
Er konnte seinen Pulsschlag nicht beruhigen, mit hämmerndem Kopf und der Pumpe auf Hochtouren, lag er da, eine rauschende Brandung in den Ohren.
Jo