„Wenn mich und meine Arbeit keiner will ...“
Aber, würde er schreiben können? Ein Stück oder einen Roman, mit eigenen Erlebnissen? Und wenn - würden es die Leute lesen wollen?
Voller Verzweiflung quälte sich Michael. Er konnte sich nicht entscheiden zwischen Vergessen und bewusstem Verarbeiten. Doch eines wurde ihm langsam klarer, er wollte nicht zurück.
Jo schlich sich fast unmerklich in seine Gedanken. Diese Jo war eine Frau, wie er noch keine vorher gekannt hatte. Ihre körperliche Präsenz, ihre Anziehungskraft weckte sämtliche Lebensgeister wieder auf.
Seine persönlichen Enttäuschungen und der AIDS-Schock, durch den Tod seines ehemaligen Direktors und zweier Tänzer hervorgerufen, vielleicht auch die beruflichen Rückschläge der letzten Jahre, hatten bei ihm zu einem totalen Rückzug geführt. Eine Art innerer Emigration ließ ihn obendrein auf sexuelle Kontakte gänzlich verzichten.
‚Und jetzt diese Explosion - und was für eine Explosion! ... Oh Mann, oh Mann!‘ - Er war wohl wahnsinnig geworden! Ausgerechnet mit einer Bardame auf diese leidenschaftliche Weise zu schlafen, ohne jegliche Vorsicht.
Angst vor der Ansteckung?
Michael hatte Angst. Er konnte nicht vergessen. Auch die Toten konnte er nicht vergessen.
„Hallo grüß dich!“ Jo begrüßte ihn wie einen alten Stammgast, freundlich, aber nicht ein bisschen herzlicher als andere Gäste. Michael wurde einen Moment sauer. Enttäuscht dachte er zunächst daran zu gehen, beruhigte sich jedoch schnell wieder und blieb.
Sie bekämpfte ihren inneren Aufruhr. Das Herz drohte ihr zu zerspringen und pochte ihr bis zum Hals, als wär es was Verbotenes, als hätte sie ein Tabu gebrochen, ihre Schamgrenze überschritten. Sie befürchtete, rot zu werden, wie ein Schulmädchen vor ihrer ersten Liebe.
Das gedämpfte Licht der Bar half, ihre Erregung zu verbergen. Er setzte sich wie gestern auf die Wandbank in die hinterste Ecke an der Theke, und Jo brachte ihm, einfach auf Verdacht, einen Scotch mit Wasser.
Schnell zog sie sich dann zurück, kümmerte sich um andere Gäste, froh ihre Gefühle nicht verraten zu müssen.
Die Bar war heute gut besucht und ein paar Mädchen an einem der wenigen Tische, schienen wild dazu entschlossen, einige abenteuerlustige Herren auszunehmen.
Gezwungenermaßen wurde Michael zum Beobachter, denn Jo hatte kaum Zeit, und ihn störte es wenig, dass sie sich um ihre Gäste kümmerte.
Solange ihn seine Depressionen nicht überrollten, beobachtete Michael gerne.
Es löste bei ihm eine gewisse Faszination aus, das Spiel der Mädchen zu verfolgen, die Finten und Täuschungen, den unverschämten Einsatz ihrer Reize. Wie sie erotische Spannung aufbauten und die Sinne der Spießer vernebelten, sich hinter ihrem Rücken mit dem Kellner verständigten oder einer Kollegin zuwinkten, und damit in Gegensatz zu ihrer verführerischen Weiblichkeit Signale von sich gaben, die klar zu erkennende Aussagen hatten.
Etliche betrunkene und spießige Managertypen, welche sicher auf Geschäftskosten unterwegs waren, ließen sich dankbar ausnehmen. Aufschneidende Schaumschläger warfen mit Geld um sich und verspritzten, offenbar ersatzweise, sündhaft überzahlten Champagner.
Für die Mädchen war es ein Geschäft, ein knallhartes Geschäft, anschaffen mit animieren, wie sie es gewohnt waren. Vermutlich machten die Herren ihre Geschäfte mit anderen, aber auch nicht immer seriösen Mitteln. Michael bereitete es ein gewisses Vergnügen zu sehen, wie die Herren Manager ausgenommen wurden.
Zuhause biedere Ehemänner, suchten sie auf den Geschäftsreisen ihre kleinen schäbigen Abenteuer. Warum sollten sie ihm leid tun?
Eines der Mädchen wurde sukzessiv provozierend und ordinär. Während die anderen ihre Gläser meistens unauffällig in die Champagnerkübel leerten, trank sie zu viel und wurde nach und nach betrunken. Sie hatte eine unterschwellig aggressive Ausstrahlung und machte die Kerle heiß mit allen Mitteln. Kaum ließ sie sich bereitwillig betatschen, entwand sie sich auch schon, ließ ihr Oberteil verrutschen und zeigte frech ihre Brüste, spielte mit der Zunge; verbarg ihn wieder, den hübschen vollen Busen, um sich an den Schritt zu fassen. Pralle Oberschenkel wurden frei. Mund und Zunge arbeiteten dann erneut in eindeutiger Gestik. Dazwischen trank sie große Mengen.
In einer Mischung aus Faszination und Ekel beobachtete Michael dieses Schauspiel.
Lasziv hob das Animiermädchen ihren Rock, sich lustvoll langsam drehend, und zeigte ihren knackigen Hintern, die unbedeckte Scham. Nackt, provozierend nackt, ohne Haare, glatt rasiert bot sie sich dar. Sie genoss die Blicke der Männer, ließ sich mit geöffneten Beinen zurückfallen und machte Anstalten zu masturbieren.
Für Michael blieb die Zeit scheinbar stehen, als sie langsam die Finger zum Mund führte, sie ausgiebig befeuchtete und ebenso langsam in ihre Scheide einführte. Ihre Augen glänzten wild, als ihr Gegenüber die volle Champagnerflasche griff und diese über sie ausgoss. Angewidert und doch auch fasziniert leerte Michael sein Glas.
Im selben Moment entstand ein Tumult. Unter Kreischen und wüsten Beschimpfungen
„Fick dich in’n Arsch, du Sau!“ - „Zieh Leine, hau ab!“
„Der Scheißkerl, pisst mich hier voll an!“ - „Motherfucker!“ „Perverses Schwein!“ stürzte sich die Besudelte auf ihr Gegenüber und malträtierte ihn mit Fingernägeln, dass er blutende Schrammen davontrug.
Erst jetzt wurden andere Gäste aufmerksam.
Ein Kellner warf sich zwischen die Kontrahenten, wollte noch schnell und rechtzeitig Kasse machen. Während der lautstarken Auseinandersetzung um die Bezahlung und weiterer, immer aggressiver werdender Beschimpfungen, verdrückten sich rasch ein paar Spitzbuben.
„Verzieh dich mal lieber ‘ne Weile, s’kann Stunk geben!“ kam Jo verärgert zu Michael.
Polizei könnte in der Gegend recht schnell da sein und wäre dann keineswegs zimperlich.
Michael war dies bewusst, trotzdem blieb er.
Inzwischen tauchte ein Brocken von Rausschmeißer auf und griff ein. Einige gezielte kräftige Schläge beruhigten die Szene und die offene Rechnung wurde nun schnell beglichen.
Noch schwach protestierend, geschlagene und begossene Pudel, wohl aber um ein kleines teures Abenteuer reicher, verließen die betrunkenen Managertypen den Laden.
In die entstehende Stille hinein klang das Schluchzen des Mädchens. Eingespielte Musik verdrängte schnell ihr betrunkenes Weinen und ein gänzlich verquollenes Gesicht tauchte neben Michael an der Bar auf.
Aufgelöst, trostlos, inmitten einer Wolke von Alkoholdunst, der nicht nur aus dem nassen an ihrem Körper klebenden Kleid drang, hing sie jetzt an der Theke. Jo stellte der Schluchzenden wortlos Taschentücher und ein Glas Wasser vor die Nase, und Michael verdrängte aufkommenden Ekel. Das Mädchen tat ihm leid. Wie es sich auswirkt, wenn sich Aggressivität nach innen wendet, kannte er zu gut.
So ganz ohne Grund wird sie ja in diesem Scheißjob nicht gelandet sein. Im Licht an der Bartheke zeigte sich unter dem zerstörten Make-up des Mädchens ein eigentlich nettes Gesicht. Das Nachtleben hatte noch keine bleibenden Spuren hinterlassen. Unauffällig mit seinem Glas spielend beobachtete er sie. Am besten, er ließ sie in Ruhe. Das heulende Elend könnte allzu leicht wieder in Aggression umschlagen.
Sehr hellhäutig saß sie neben ihm, ihre naturblonden Haare leicht antoupiert und mit viel Haarspray festgeklebt, der Hals ein bisschen dunkler mit Rändern von Make-up wo kein Übergang geschminkt war, an den Händen aufgeklebte knallrote Fingernägel, von denen zwei bei der Auseinandersetzung abgebrochen waren, wodurch jetzt abgekaute schmutzige Fingernägel zum Vorschein kamen. Aus geschwollenen, rotumrandet wässrig-blauen Augen kullerten immer neue Tränen, die hässliche Furchen in dick aufgetragene Farbe gruben. Ein junger fraulicher Körper mit den Babyspeckresten eines Schulmädchens, wenig verhüllt durch ein fliederfarbenes kleidähnliches Gebilde, zuckte krampfhaft, champagnerklebrig nass, hochhackige