Mondgesicht und Panne im Archenland. Hans-Walter Euhus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Walter Euhus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844257052
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Meter! Und dann noch fünfundzwanzig Meter breit‹. Und nun fing er an, nachzurechnen: ›Fünfundzwanzig mal hundertfünfzig, das machen dreitausendsieben-hundertfünfzig Quadratmeter Grundfläche. Ein Reihenhaus hat ungefähr fünfmal zehn, also fünfzig Quadratmeter. Wenn ich mit Rechenvorteil drei-hundertfünfundsiebzig durch fünf dividiere, erhalte ich fünfundsiebzig Reihenhaus-Grundflächen. Wenn ein dreistöckiges Reihenhaus ohne Keller und Spitzdach ungefähr sieben Meter fünfzig hoch ist, dann würden hundertfünfzig Reihenhäuser in dieser Arche Platz haben, vorausgesetzt, sie hätte keine Zwischenböden‹.

      Inzwischen war er zu Hause angekommen und rief anstelle einer Begrüßung: „Mama, haben wir irgendwo eine Bibel?“ „Hallo Philipp! - Na, dann seid ihr ja mit den Mathematikaufgaben fertig geworden. Musst du noch etwas in Religion machen?“ „Nö, ich will nur mal was nachgucken.“ „Oben in Papas Bücherregal steht noch unsere alte Familienbibel. Aber vorsichtig damit umgehen, sie ist ein altes Erbstück in Goldschnitt und mit unserer Familiengeschichte.“

      Während der letzten Ermahnungen war Philipp schon nach oben gespurtet und hatte nach kurzem Suchen das Prachtstück gefunden und den Staub ab gepustet. „Ob die wohl auch zum Lesen gedacht ist?“, frage er sich, denn der Goldschnitt sah noch ziemlich unversehrt aus. Er vertiefte sich in die ersten Kapitel und sagte halblaut: „So haben die Leute also vor ungefähr hundert Jahren deutsch gesprochen. Komische Sprache.“ Aber als er schließlich an das sechste Kapitel des ersten Buches Mose kam, ging es um Zahlen, und da las er schwarz auf weiß: ›Dreihundert Ellen sei die Länge, fünfzig Ellen die Breite und dreißig Ellen die Höhe‹. „Aber wie lang war eine Elle damals?“, dachte er laut und blätterte im Lexikon. Vor viertausend Jahren maß eine Elle etwas über fünfzig Zentimeter. Er rechnete schnell um und pfiff durch die Zähne: Anne hatte also recht mit den hundertfünfzig Metern. Dann fiel ihm ein, dass er noch einen Prospekt von der ›Cap San Diego‹ besaß. In einer seiner Wusel-Kisten fand er ihn nach einigem Suchen und verglich die darin angegebenen Längen- und Breitenmaße des Hamburger Museumsschiffes mit den Angaben der Arche: Ungefähr hundertsechzig mal zweiundzwanzig Meter, das kam fast genau hin. Philipp erinnerte sich noch, wie er vom mehr als sporthallengroßen Maschinenraum im Bauch des Stückgutfrachters beeindruckt war, als seine Mutter mit ihm vor zwei Jahren eine Fahrt in den Hamburger Hafen unternommen hatte. Wenn es kein Märchen ist, dann gab es im Altertum ein Schiff von einer Größe, wie es erst wieder im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert gebaut wurde. Nur, dass die ›Cap San Diego‹ eher wie eine übergroße Hochseeyacht und die Arche wie ein schwimmfähiger Riesensarg gebaut war. Angenommen,

      es war nicht gesponnen, dann war diese Arche eigentlich das erste und größte Weltwunder, noch vor den sieben anderen. Nur, dass in dieser Story die Lebenden im Sarg und die Toten draußen waren, gruselte ihm. ›Ach was‹, wischte er diesen Gedanken beiseite, ›das kann es nicht gegeben haben. Aber immerhin hat Anne darin recht, dass die biblische Arche hundertmal größer war, als sie in sämtlichen modernen Mal- und Tierbüchern für die lieben Kleinen geschildert wird‹.

      „Mama, ich dreh jetzt ´ne Runde mit meinem Bike, okay?“, unterbrach er seine Gedankengänge. Ein bisschen frische Luft um die Ohren und Abstrampeln nach den zwei Wochen Pause würden ihm gut tun.

      Begegnung der nassen Art

      Am letzten Dienstag vor den Osterferien gab der Winter noch einmal eine Abschiedsgala mit Hagel, Schnee und Sturm. Philipp gönnte seinem Drahtesel Ruhe und holte stattdessen seine Schwimmsachen heraus, um mal wieder Langstrecke zu trainieren. Dummerweise ist es oft so, dass die unterschiedlichsten Leute am selben Tag die gleiche gute Idee haben. So merkte er erst an der Hallen-Eingangstür den Spiele- und Spaß-Tag und das Gedrängel vieler Kinder mit ihren Eltern vor dem Drehkreuz. Das würde reichen, um stehend Badewasser zu verschlucken, nicht aber, um zu trainieren, dachte er enttäuscht.

      Als er aber die Duschen verließ und das Schreien und Plantschen mit Gummitieren überblickte, entdeckte er zwei abgetrennte Schwimmbahnen. Nur ein DLRG-Mann übte sich im Klamottenschwimmen, die andere Bahn war frei, so dass er doch seine vierzig Bahnen angehen konnte. Er überlegte nicht lange, riss die Schwimmbrille über die Augen und schoss mit einem flachen Startsprung in das aufspritzende Wasser.

      Mit gleichmäßigen ruhigen Kraulbewegungen schob er sich durch das unruhige Element, atmete hinten in rhythmischen Abständen ein und drückte die Luft gegen den Wasserwiderstand nach unten aus. Er lag flach wie ein leicht hin und her schaukelndes Bügelbrett im Wasser, ließ sich die letzten zwei Meter ruhig treiben und

      stieß sich nach einer eleganten Salto-Wende wieder in die Gegenrichtung ab. Bahn um Bahn spulte er die Strecke ab, dachte an die Namen seiner Klassenkameraden und nahm unter sich die schimmernden Lichtreflexe auf den Kacheln des Hallenbodens wahr. Nachdem er die letzte Bahn schwer atmend abgeschwommen hatte, Kopf im Wasser, die Hände nach vorn gestreckt, um gleitend den Beckenrand zu berühren, spürte er plötzlich statt des Beckenrands zwei Hände, die sich gleichzeitig auf seine linke Schulter und den Kopf legten und ihn sanft aber kräftig unter die Oberfläche drückten, so dass er überrascht Wasser schluckte und spuckend und prustend wie ein Walross mit rotem Kopf aus den Wellen auftauchte.

      Wütend Wasser tretend und hustend blickte er um sich, den Übeltäter zu erwischen. Aber da war im Wasser niemand zu entdecken, der infrage käme. Er hob sich mit Schwung aus der Bahn auf den Beckenrand und musterte die Kinder in seiner Nähe. Plötzlich entdeckte er einen weißen Bademantel, aus dem ein auffallend unbeteiligtes und harmlos aussehendes blasses Gesicht hervorschaute:

      „Panne! - Das wirst du mir büßen!“, rief er halb ärgerlich, halb lachend. Aber Anne, kaum dass sie sich entlarvt fühlte, schlüpfte aus ihrem Bademantel und stürzte sich mit einem gehechteten Bauchklatscher in die von Mondgesicht soeben verlassene Bahn. Nun begann eine wilde Verfolgungsjagd. Anne, die ausgeruht und sehr gut im Brustschwimmen war, eilte mit kräftigen Stößen voran. Aber gegen Philipps Kraulstil hatte sie keine Chance. Nach fünfzehn Metern holte er sie ein, schrie fairerweise kurz: „Luft anhalten!“, tauchte ab, erwischte den linken herabhängenden Fuß von Anne, umfasste ihn mit beiden Händen und zog ihn in zwei Meter Tiefe, so dass Annes Kopf trotz Strampelns unter Wasser geriet. Als er hochblickte und sah, dass es ihm gelungen war, ließ er los und schwamm nach oben. Ungefähr gleichzeitig durchstießen beide die Oberfläche. Diesmal war es Anne, die hustete, aber sofort zum Gegenangriff überging, indem sie Philipp eine volle Ladung Wasser ins Gesicht spritzte. Beide hielten ihre Oberkörper durch Treten über Wasser und bespritzten sich gegenseitig, bis der Schwimmmeister sie zur Ordnung rief: „Hey, ihr Beiden da! Gespielt wird drüben und nicht hier in der Schwimmbahn.“

      Sogleich tauchten sie unter der Abgrenzung durch und setzten ihren nassen Kleinkrieg, der sich inzwischen zu einem neckischen Krieg-mich-doch entwickelt hatte, über Gummimatten, Schlauchboot und Gummirutsche fort, bis Anne schließlich keuchte: „Aufhören, ich kann nicht mehr. Friede, ja…? Ich hol eben mein Handtuch.“ „Aber das nächste Mal, wenn du jemanden untertauchen willst, warnst du ihn gefälligst. Das war echt fies von dir.“ „Ich wusste gar nicht, dass du so gut im Freistil bist“, lenkte Anne ab. „Wie viele Bahnen hast du geschafft?“ „Vierzig, also tausend Meter.“ „Verzählst du dich nicht?“ „Fast nie. Ich schwimm alle Namen unserer Klasse ab.“ – Dickes Fragezeichen bei Anne. „Wir sind zwanzig Schüler. Ich denke je zwei Bahnen an einen Namen und brauche nicht stumpfsinnig bis vierzig zu zählen.“ „Und bei welcher Runde bin ich dein Zahlenersatz?“, fragte Anne herausfordernd. „Bei der letzten“, grinste Philipp. „War ja klar. Dann hab ich den richtigen Riecher gehabt, den hochnäsigen Mond untergehen zu lassen“, war ihre bissige Reaktion.

      Und fast hätte es wieder einen handfesten Streit gegeben, wenn nicht Annes kleiner Bruder Pitt spöttisch schon von weitem rief: „Was sich liebt, das neckt sich!“ Wütend sprang Anne auf, um das kleine Lästermaul ins Wasser zu stoßen. Aber der war schneller und Anne ging mit rotem Kopf zurück, indem sie verärgert zischte: „Kleine Brüder können eine richtige Plage sein.“ „Ach mach dir nichts draus, so sind kleine Brüder eben“, sagte Philipp onkelhaft. „Ich wäre jedenfalls froh, wenn ich noch einen kleinen Bruder oder eine große Schwester hätte.

      Sind deine Eltern