Mondgesicht und Panne im Archenland. Hans-Walter Euhus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Walter Euhus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844257052
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Kleinkind geblieben, wenn du mal ein bisschen nachdenkst“, belehrte ihn Anne empört. ›Also, bei dir könnte man manchmal daran zweifeln‹, ergänzte sie in Gedanken, sprach es aber nicht aus. „Also soll Aslan sozusagen in Narnia darstellen, was Jesus in unserer Welt war?“ „Du bist gar nicht so dumm, wie du aussiehst, Mondgesicht“, bestätigte Anne gönnerhaft. Aber da hatte sie Philipp auf dem falschen Fuß erwischt. Beleidigt brach er das Gespräch mit den Worten ab: “Ach, zieh Leine, Panne, ich hab jetzt keinen Bock mehr auf deine oberschlauen Antworten. Außerdem dachte ich, wir wollten uns normal anreden. Kannst mir die Hausaufgaben morgen bringen. Heute mach ich sowieso nichts mehr. Und Tschüss!“

      Damit drehte er sich demonstrativ zur Wand hin und ließ sie einfach dumm da stehen. „Tut mir leid! War nicht so gemeint, Phil!“, murmelte sie noch und verließ betroffen sein Zimmer. Auf dem Nachhauseweg machte sie sich Vorwürfe, war aber auch sauer auf Philipp, weil er so empfindlich reagiert hatte. Es stimmte weder, dass er dumm war, noch dass er dumm aussah, war halt nur so eine Redensart. Immerhin hatte er ihr noch erlaubt, dass sie ihm die Hausaufgaben bringen durfte. Wie gnädig von diesem Smiley! Am Abend war ihr Ärger über sich selbst und die beleidigte Leberwurst namens Mondgesicht verflogen und sie überlegte sich, wie sie ihn etwas aufmuntern konnte. Nachdem Philipp gehört hatte, wie die Haustür zugeschlagen war und sich ihre Schritte entfernten, kam ihm nach dem ersten ›Der-hab-ich’s aber-gegeben-Gedanken‹ seine Reaktion albern vor und er wünschte sich, dass sie morgen wiederkäme. Er schnappte sich das Narnia-Buch und vertiefte sich noch einmal in die letzten Kapitel.

      ›Das Böse bekam Macht über Edmund, weil er seine Geschwister an die Hexe verraten hatte. Und Aslan konnte Edmund nur vom Fluch der Hexe befreien, indem er sich selbst von ihr auf dem Steintisch des Gesetzes ermorden ließ. Aber dadurch, dass es einen Urzauber vor dem Anfang der Weltendämmerung gab, den die Hexe nicht kannte, wurde der Leichnam Aslans wieder zum Leben erweckt. Das ist tatsächlich so ähnlich wie bei der Kreuzigung und Auferstehung von Jesus‹, dachte Philipp. Aber „Der König von Narnia“ war eindeutig ein modernes Märchen. Wieso sollte denn die Bibel, die doch noch viel älter war, nicht auch einfach ein Märchenbuch sein, eben ein ganz altes? Er würde morgen Anne danach fragen.

      Es war einmal… kein Märchen

      Nach der Schule und dem Mittagessen schnappte Anne sich das dritte Narnia-Buch, um es Philipp auszuleihen, und radelte mit den Hausaufgaben in ihrem Rucksack in den Südengraben zu seiner Wohnung. Nachdem Frau Noffke sie freundlich begrüßt hatte, meinte sie: „Anne, du kennst dich ja hier schon aus. Philipp ist im Wohnzimmer und sitzt an seinem Notebook mit so einem Computerspiel. Sag ihm bitte, dass er jetzt aufhören soll.“ Anne nickte, klopfte kurz an und öffnete nach seinem „Herein!“ „Hi Phil! Na wie geht’s?“ „Besser! Kannst dich schon mal setzen. Ich muss eben meinen ersten Level speichern.“ Dann schloss er den PC und drehte sich ganz zu Anne um.

      Beide sahen einander etwas verlegen an und dann sagten sie fast gleichzeitig: „Du, wegen…“ „…also wegen…“. Dann meinte Anne: „Bist du noch sauer wegen meinem dummen Spruch gestern? Tut mir leid! War nicht so gemeint. Ich find dich ehrlich nicht dumm.“ „Macht nichts“, lenkte Philipp ein. „Ich war auch zu schnell eingeschnappt und hab dich fast rausgeschmissen. Sorry!“ „Ist schon okay. Dann sind wir also quitt?“, lächelte sie. „Klar“, meinte Philipp. „Hier sind deine Hausaufgaben. Nur Deutsch und Mathe. Hier ist der Aufgabenzettel.“ „Danke! Mach ich später, wenn du wieder weg bist.“ Philipp legte ihn auf den Wohnzimmertisch. „Und hier hab ich dir ein Narnia-Buch mitgebracht. Von dem gibt’s noch keinen Film. Kannst ja mal lesen.“ „O prima, danke! ›Das Pferd und sein Junge‹. Komischer Titel, müsste doch eigentlich ›Der Junge und sein Pferd heißen‹, oder?“ „Du wirst schon sehen, warum. Es geht jedenfalls um ein Abenteuer von einem Ritt nach Narnia. Ich find den Roman ziemlich spannend.“ Philipp legte das Buch zur Seite und kam auf seine gestrige Frage zurück: „Nochmal zum ersten Roman: Wenn der ›König von Narnia‹ ein Märchen ist, wieso ist die Bibel dann kein Märchenbuch?“ „Du stellst vielleicht Fragen! Kann ich dir auch nicht so genau erklären. Ich glaube jedenfalls, dass die Bibel wahr ist und keine Märchen erzählt. Aber das könnte mein Papa dir besser erklären. Du kannst mich ja auch mal besuchen, wenn du wieder gesund bist.“ „Echt? Würden deine Eltern das okay finden?“ „Na klar, warum denn nicht?“ „Wenn du meinst. Ich glaub, nächste Woche muss ich leider wieder gesund sein, und vorbei ist’s mit dem Urlaub“, seufzte er.

      Eine Woche später saßen Philipp und Anne in der Wohnküche bei Mitscherlichs. Sie beendeten gerade erfolgreich komplizierte Dreisatzaufgaben, die sie gemeinsam erledigt hatten, als Annes Vater die Tür öffnete: „Hallo, Tag Philipp. Nett, dass du Anne bei den Mathe-Hausaufgaben hilfst. Anne hat mir schon von dir berichtet.“ „Tag, Herr Mitscherlich, hoffentlich nicht zu viel Schlechtes?“, grinste er etwas verlegen Annes Vater an. „Es geht so“, meinte der verschmitzt. „Papa, du bist doch Fachlehrer in Reli. Phil hat mich gefragt, wieso die Bibel nicht auch so eine Art Märchenbuch wie ein Narnia-Roman ist.“ „Gute Frage, Philipp, ist schon fast die halbe Antwort. In der Tat sind die Narnia-Bücher

      moderne Märchen, die sich der Autor C. S. Lewis für Kinder ausgedacht hat. Seine Figuren sind frei erfunden und teilweise aus der griechischen Sagenwelt entnommen. Aber sie enthalten auch biblische Wahrheiten. Die Bibel wurde zwar von über vierzig Schreibern in einem Zeitraum von mehreren tausend Jahren aufgeschrieben und später zusammengestellt. Aber sie waren eben keine Schriftsteller, denn der Autor der Heiligen Schrift war Gott, der ihnen die Gedanken eingegeben hat. So glaube ich persönlich, dass die Bibel nicht nur Wahrheiten enthält, sondern dass sie die Wahrheit ist. Aber das ist Glaubens- oder Ansichtssache. Ich hoffe, das reicht fürs erste als Gedankenanstoß. Ich muss jetzt meine Vorbereitung für morgen machen.“ Damit überließ er die Kinder wieder sich selbst.

      „Hast du eigentlich schon ›Das Pferd und sein Junge‹ angefangen?“, lenkte Anne Philipps Gedanken auf das Buch. „Hab ich schon durch. Kann ich dir morgen in der Schule wiedergeben.“ „Und, wie fandst du es?“ „Super! Ich glaub, ich wünsch mir nach und nach alle Narnia-Bücher. Da steckt immer mehr drin, als man vermutet. Zum Beispiel gibt es da das Land Narnia, in dem die guten Menschen und sprechenden Tiere leben, und das Land Kalormen, in dem die Feinde Narnias hausen. Und dazwischen liegt das Archenland. Das ist wieder so ein Name mit Widerhaken. Es liegt einem auf der Zunge aber man kommt nicht darauf. Was ist mit Archenland gemeint? Würde man das in unserer Welt vielleicht ›Greenpeace-Land‹ nennen? Also, wenn ich an Arche denke, dann fällt mir immer Tierschutz oder so was ein.“

      Anne konnte sich ein Grinsen gerade noch verkneifen, denn sie wollte Phil nicht wieder verärgern. „Du hast Recht, dass die Arche etwas mit Tieren zu tun hatte, aber in erster Linie mit der Rettung von Menschen, von Noah und seiner Familie. Im Roman waren die Kinder Shasta und Aravis gerettet, nachdem sie das Archenland erreicht hatten. In der Bibel waren einige Menschen vor der Sintflut gerettet, nachdem sie samt den Tieren in die Arche gegangen waren.“ Ungläubig starrte Phil sie an und meinte dann: „Und du glaubst wirklich, dass die ganze Tierwelt einschließlich Noah und seiner Sippschaft in diesen Äppelkahn von Arche hineingepasst haben? Also für solche Märchen bin ich eigentlich zu alt!“ „Von wegen Äppelkahn!“, entrüstete sich Anne. „Nach biblischen Angaben war dieser schwimmende Überlebenskasten ungefähr hundertfünfzig Meter lang, fünfundzwanzig Meter breit und fünfzehn Meter hoch.“ „Wer’s glaubt, wird selig“, meinte Philipp abfällig. „Dann lässt du’s eben“, gab Anne patzig zurück.

      Da sie ihre Hausaufgaben fertig hatten, gab es für Philipp keinen Grund mehr, länger zu bleiben, und so sagte er kurz angebunden: „Das war’s dann. Also bis demnächst.“ - „Tschüß, bis morgen.“ Anne hörte das Zuschlagen der Haustür: „O Mann, Jesus, warum kann dieser Kotzbrocken nicht einfach glauben, was in der Bibel steht?“ Auf eine Antwort nach diesem wenig himmlischen Gebetsseufzer wartete sie allerdings nicht, sondern verdrückte sich in ihr Zimmer und räumte mechanisch auf, um nicht mehr an den ungläubigen Philipp denken zu müssen.

      Philipp indes brütete finster vor sich hin und trat nach Steinen, die ihm vor die Füße kamen. ›Anne glaubt tatsächlich an das Sintflut-Märchen.