Traurige Strände. A.B. Exner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A.B. Exner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847665212
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Dass ich dann damit prahlen wollte, dass der BFC Dynamo, dessen Stadion gleich bei mir um die Ecke war, sein Heimspiel gewonnen hatte, konnte die Situation nicht wirklich retten.

       Ehrlich, bis auf Boxen hatte ich von Sport keine Ahnung.

       Auch nicht von Lotto.

       Oder Sportwetten.

       Was sich ändern sollte.

       Auf meinem Handy war nochmals Metins Nummer. Ich konnte jetzt nicht anrufen. Mein Chef erwartete mich. Vor meinem Spätherbsturlaub sollte ich unbedingt die neuen Studienprojekte mit ihm klären. Simple Abstimmungsfragen.

       „Guten Morgen Doktor Richard.“

       Ein grauer Schopf. Tolle Augen. Fantastischer Körper. Ledig.

       Die verkehrten Ohren.

       „Frau Wollke, unter den Besitzern des Titels wird der Titel nicht erwähnt. Die Absentierung zum Pöbel, Sie verstehen.“

       Er grinste.

       Ich grinste.

       Natürlich war das ein Machospruch der ersten Güte. Niemals hätte er einen solchen Mist vor Publikum gebracht. Es war ja auch mein Fehler.

       Er hatte recht. Ich hatte den Doktortitel. Jetzt durfte ich Herr Richard zu ihm sagen.

       Geil.

       Wir waren bis zum Mittagessen fertig mit allem, was er als meine Urlaubsvertretung wissen musste.

      Natürlich hatten wir uns wieder gestritten wo gegessen werden sollte. Immer wieder dieser kindische Zank um Kleinigkeiten, i-Phone oder Blackberry, Straßenbahn oder Taxi, Kindl oder Pils.

       Das war etwas an ihm, was meine Wertschätzung ihm gegenüber nicht trübte, aber nervte.

       Wir verabschiedeten uns. Ich wollte mein Büro noch übergeben.

       Vor meinem Büro wartete ein Mann auf mich. Größer als einen Meter und neunzig. Freundlicher, südländischer Teint. Schöne, aber nicht perfekte Ohren.

       Wir waren noch nicht einmal in meinem Dienstzimmer, als er mich stieß und fragte, wo Metins Pinnwand sei.

       Instinktiv sagte ich ihm, dass ich nicht wüsste was er von mir wolle.

       Er trat gegen den Bildschirm meines Computers.

       Sein linkes Bein war gerade so schön weit oben, um den PC-Bildschirm zu treffen, ich konnte nicht an mich halten.

       Ich trat ihm in die Eier.

       Die von mir sehr verehrte Hella von Sinnen würde mich jetzt darauf hinweisen, dass die penisfreie Spezies diejenige sei, welche die Eier trage und die „Dreibeine“ lediglich Hoden hätten.

       Danke Hella.

       Die rasche Entwicklung von Schmerzfalten auf seiner Stirn zeugte, in Harmonie mit der Veränderung seiner Gesichtsfarbe, von meiner Treffsicherheit. Ich beugte mich kurz in seine Richtung und setzte eine, in Form und Ausführung an michelangeloische Vollkommenheit erinnernde, Schlagdoublette.

       Mit der linken Faust auf sein rechtes Auge und mit der Rechten auf sein linkes Auge.

       Meine kleinen, zarten Fäuste passten prima in seine Augenhöhlen.

       Gerade als der Mann in sich zusammensank, kamen die ersten aufgeregten Besucher in das Büro.

       Zwei Studenten schleppten den Mann in den Flur.

       Der Sicherheitsdienst, ein Mann deutlich oberhalb der Sechzig, rief der Einfachheit halber die Bullen. Ehe der Alte in unserem vierten Stock angekommen wäre, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen und dann zu entscheiden…

       Der Anruf war die bessere Variante gewesen.

       Die beiden Studenten hielten den Wimmernden in Schach. Was nicht nötig war, denn sehen konnte der bis morgen nichts.

       Die Bullen nahmen meine Anzeige auf.

       Ich hätte den Mann so in meinem Büro vorgefunden. Das war meine Aussage. Wer den Bildschirm meines Rechners geerdet hatte, könnte ich nicht sagen. Tut mir leid, der arme Kerl, das wird schon wieder… Und nein, ich kenne den Mann nicht.

       Das immerhin war die Wahrheit.

       Naja, wie sollte auch so eine kleine Frau wie ich einen solchen Hünen fällen.

       Kaum dass ich die Tür meines Büros von innen schloss, fiel mir der eigentliche Besuchsgrund des gefallenen Gastes ein. Vor mir, auf der Innenseite meiner Bürotür hing die Pinnwand aus Metins Küche. Die war unscheinbar und leer.

       Selbst die Pins müsste ich mir noch selbst kaufen. Ich nahm die Korkwand von der Tür.

       Sollte die leichter oder schwerer sein? Ich hatte keine Ahnung. Siebzig Mal einhundertzwanzig Zentimeter. Weil das doofe Ding genau an meine Bürotür passte, hatte ich doch Metin darum gebeten. Er überließ mir die Tafel, nachdem er sie leer gemacht hatte. Metin hatte sich einen jungen Mann als Untermieter genommen, als unsere Beziehung beendet war. Dieser ehemalige Mitbewohner, ein Mini-Spediteur hatte die Tafel mitgebracht und in der Küche aufgehängt. Vor etwa einem dreiviertel Jahr. Der war ebenfalls Türke. Fiel mir dann wieder ein.

       Nach dem Vorfall war es ein Leichtes, meinem Vorgesetzten zu erklären, wie aufgewühlt ich sei und dass ich mich beruhigen müsse. Die Arbeit sei sowieso erledigt und da ich ja eh übermorgen in den Urlaub wolle, solle ich mir mal heute und morgen frei nehmen. Er werde das schon regeln. Telefonisch sei ich ja wohl erreichbar. Nach einer mit zitternder Stimme erfolgten Bestätigung war ich frei.

       Metins Telefon schwieg.

       Der Teilnehmer sei nicht erreichbar, sagte mir eine magentafarbene Stimme.

       Das Taxi quälte sich von der Kolonnenstraße in den Prenzlauer Berg.

       Der Fahrer, wen wundert es, war Türke.

       Metins Wohnungstür war aufgebrochen worden. Die Altbautür mit den kleinen Milchglasscheiben lag am Schloss an, aber die Holzsplitter am Boden zeugten von der angewandten Gewalt. Es war nichts zu hören. Kein Licht in einem der Räume. Ich lugte sorglos um die von mir geöffnete Tür herum.

       Angst hatte ich keine. Meine positive Geisteshaltung würde mich sicher einmal dazu verleiten, in kompletter Fahrlässigkeit zu enden.

       Mein maximales Quantum an Schmerz und Demütigung war mir vor sechszehn Jahren zuteil geworden. Mehr konnte man einem Menschen nicht antun, davon war ich fest überzeugt.

       Naiv wie ich war.

       Ich sah, was ich erwartete. Das Schuhregal, den Teppich, die Türen zu den drei Zimmern, den großen Spiegel, die Klotür und den alten Spind in dem Metin seine Reinigungsutensilien aufbewahrte. Ich nahm einen Schuh und warf ihn in Richtung der offenen Schlafzimmertür. Das Geräusch des sich überschlagenden und dann endgültig landenden Slippers war allein. Ein Mensch hätte reagiert, mit einem Erschrecken oder einem Rascheln.

       Zumindest bildete ich mir das ein.

       Im Flur war nur zu erkennen, dass eine Korkpinnwand komplett mit brachialer Gewalt zerlegt worden war. Ansonsten herrschte Metins filigrane Ordnung.

       Zwanzig Minuten später wusste ich Folgendes.

       Zum Ersten: Metin lag mit eingeschlagenem Schädel auf dem kleinen Balkon unter einer grünen Plastikplane.

       Zum Zweiten: Ja, ich hatte in der vorletzten Nacht geblutet.

       Zum Dritten: Metin, in seiner germanischen Manie, hatte das Laken gewechselt. Er, der die Ordnung so Verehrende, hatte immer noch Zeit gehabt, seiner größten Macke zu frönen. Direkt über seiner beplanten Lagerstatt wedelte das noch feuchte Laken an einer Wäscheleine. In freudig winkender Eintracht mit anderer Weißwäsche und den Zipfeln der grünen Plane die Metin bedeckte.

       Nachdem ich diese meine Blutspur vernichtet wusste, sammelte ich seine Haarbürste ein, von der ich nicht sicher war, ob ich sie benutzt hatte. Seine Zahnbürste wanderte, da ich genau wusste, dass ich sie benutzt hatte, ebenfalls in meine Tasche.

       Die größere der Bürsten landete im Gleisbett der S-Bahn, die kleinere in einem Papierkorb in der Gleimstraße Ecke Schönhauser, genau vor dem Kino Colosseum.