Traurige Strände. A.B. Exner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A.B. Exner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847665212
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Wir hätten eine Omegalage.

       Behauptete der Meteorologe. Das könne man ganz wunderbar auf seiner Isobarenkarte sehen. Er setzte eben an zu erklären, weshalb die Omegalage Omegalage hieß…

       Ich war schneller.

       Das war dieser Ostberliner Arschlochsender.

       Ein kurzer konzentrierter Dreh am Senderknopf des alten Radiorekorders.

       Der nächste Idiot, der mir was über das Wetter erzählen wollte.

       Nebelschwaden seien nichts weiter als Wolken am Boden.

       Das war dieser Westberliner Arschlochsender.

       Ihr Spinner sollt mir sagen, ob ich meinen Mantel oder meinen Schirm brauche, nicht was eine Omegawolke ist.

       Das war typisch Berlin. Jeder hat eine Message, die eigene Meinung musste die Welt erreichen.

       Und die Massen erweichen. Vorher gab man sich nicht zufrieden.

       Ein kurzer konzentrierter Druck auf die Playtaste des Kassettenrekorders.

       Nein, nicht auch noch türkischer Leiergesang zum Sonntagmorgen.

       Die Austaste.

       Weißwein aus der Flasche.

       Dusche.

       Ich hatte geblutet. Das war gewiss auch auf dem Laken zu sehen.

       Metin würde sicherlich sauer sein. Der Türke mit dem Ordnungssinn eines tiefdeutschen Beamten.

       Zumal der Kerl Beamter war.

       Deutscher Beamter.

       Finanzbeamter.

       Seine Wohnung lag in der vierten Etage in der Isländischen Straße im Prenzlauer Berg.

       Wenn man sich nach links aus dem Fenster lehnte, konnte man selbst auf die S-Bahn sehen und der Typ aus dem Aufgang gegenüber meine Titten.

       Was mir egal war.

       Abends in der Kneipe, schaute der gleiche Typ mir ja auch nur auf meine Dinger.

       Dekolletéchecker. Eugen hieß der Kerl. Eugen Böttcher.

       Der war nicht pervers, der war ungefährlich und ein bisschen blöd.

       Und verliebt in seine Halstücher.

       Aber pflegeleicht.

       Ich mochte ihn nicht.

       Das mit den Halstüchern, oder wahlweise einem Schal, machte Sinn, denn die Brandmale an seinem Hals waren beschissen verheilt.

       Eine Frau hatte ich bei dem noch nie gesehen.

       Also konnte ich ihm am Sonntagmorgen auch mal einen solchen Frühstücksgenuss bieten.

       Und meine Titten waren toll. Und Natur.

       Der riesige Flurspiegel neben dem klitzekleinen Schlauch von einem Klo ohne Wanne bewies meine Behauptung.

       Ich hatte ziemlich große Füße. Die knallrote Lackierung der Zehennägel bräuchte mal eine Restaurierung. Meine Fesseln könnten nach meinem Empfinden noch schmaler sein. Meine Knie waren der nächste Knackpunkt. Das Linke zierte eine Narbe aus meiner Kindheit, die ich mir damals immer wieder aufgekratzt hatte. Das rechte Knie sah dementsprechend etwas, wie soll ich sagen, schwabbeliger aus. Meine Schenkel waren frei von Einschlägen der berühmten Orangenhaut.

       Mit einunddreißig Jahren. Nicht schlecht.

       Mein Hintern war das Geilste was ich je gesehen hab. Ehrlich.

       Die Hüften bewiesen, dass ich noch keine Kinder hatte.

       Dass meine linke äußere Schamlippe größer war, hatte eine Freundin mit elf Jahren herausgefunden. Na und. Ich wusste das schon vorher.

       Die Rasur galt es zu verbessern. Oberhalb meines Suchtzentrums hatte ich eine Raute stehen lassen, in deren Haaren ich seit Jahren mit meinem rechten Zeigefinger eine linksgedrehte Locke zauberte.

       Mit meinen Brüsten, auch die beiden hatten sich nicht auf eine Einheitsgröße einigen können, konnte ich gut leben. Stramm wie eine Fußballerwade und sensibler als mancher Sozialpädagoge.

       Nicht aber wenn es los ging. Dann wollten beide raue Männerhände.

       Mit meinen Nippeln konnte man dann Diamanten schneiden.

       Die Oberarmmuskulatur ließ zu wünschen übrig. Die schmalen, zarten Handgelenke verschwiegen meinen Liebhabern und meinem Chef, dass ich ganz gut boxte.

       Zehn grazile Finger endeten in langen, schmalen Fingernägeln. Natürlich tiefstes Dunkelrot.

       Purpur. Die Farbe der Könige. Deep Purple.

       Das war meine Musik. Harter, giftiger Rock. Deep Purple, es gab sie noch die Rocker dieser Welt.

       Musiker die in der Lage waren, Noten zu lesen und zu schreiben.

       Aber zurück zu meinem Spiegelbild.

       Dezent unzufrieden war ich mit der Haut auf meinem Hals. Nicht wegen irgendwelcher Falten.

       Je reifer ich wurde - altern gibt es bei mir nicht - umso mehr Leberflecke quälten sich durch die tieferen Hautschichten an die Oberfläche. Was nervte.

       Das Gesicht begann mit schmalen Lippen, die ich jedoch in der Lage war, üppig aufzubrezeln.

       Kaum scheinbare Wangenknochen wiesen bei besonderen Lichtverhältnissen - das hatte ich trainiert - den Weg zu meiner schmalen Nase. Die Nasenflügel dagegen waren wieder etwas stärker, was mich pfiffiger aussehen ließ, als ich war.

       Zur Erklärung: ich weiß, dass ich nicht doof war oder bin, aber oft ist es eben so, dass ich nicht beim ersten Mal verstehe. Naiv vertraue.

       Dann benötigte ich einen anderen Blickwinkel, eine andere Perspektive. Oder ich brauche einfach Zeit zum Erkennen und Erfassen.

       Meine Stirn war für die Kopfgröße relativ hoch. So war ich in der Lage entweder die unscheinbare zu geben und die Haare in die Stirn zu kämmen, oder ich warf meine strohige Mähne nach hinten in einem strengen Zopf oder Pferdeschwanz.

       Nach der Haarfarbe konnte man sich bei mir nicht richten.

       Umso mehr Sonne, umso dunklere Haare. Im Winter also fast blond.

       Natürlich war das nicht naturgewollt, da mussten internationale Chemieingenieure schon nachhelfen. Auch an meiner Augenfarbe manipulierte ich herum.

       Mit modischen Kontaktlinsen.

       Es sind große Augen, sehr große, wenn ich es will. Meine Brauen brauche ich nur ganz wenig zu zupfen. So wie die beiden meine Augen von oben herab herrisch als ihr Revier markieren, gefällt es mir - und das ist das Wichtigste. Es gefällt mir.

       Die Ohren. Ich liebe meine Ohren. Ich finde Ohren ohne Läppchen scheiße.

       Ohren müssen wohlgeformt sein. Nicht das Verhältnis 2:1, sprich doppelt so hoch wie breit. Nein, höher noch als 2:1. Und mit schönem Läppchen ohne irgendwelchen Schmuck. Idealmaß ist 2,11:1. Mein Idealmaß.

       Hinter mir hörte ich ein Dielenknarren.

       Metin, mein türkischer Nachtgeselle, hatte solche Ohren. Höher als 2: …

       Abgesehen von den schönen Ohren, war bei ihm auch etwas anderes höher als sonst.

       Wie lange er da wohl schon so stand.

       Egal, wenn er seinen osmanischen Kleiderhaken noch drei Minuten in Hab-Acht-Stellung halten könnte…

       Ich bedeutete ihm, dass ich erst ins Bad wollte. Nicht nur, dass meine Blase zwickte - wieso bin ich blöde Kuh auch nicht nach der Mininummer vom gestrigen Abend noch mal pinkeln gegangen - nein ich wollte mir auch die Zähne putzen. Zum Sex gehört Knutschen und nach dem, was wir gestern Abend in der Kneipe für eine Rechnung produziert hatten, musste mein Atem unter die Haager Landkriegsordnung oder die Genfer Konvention fallen.

       Eher beides.

       Also saß ich meine Zähne putzend, pinkelnd auf dem Klo. Metins Klo.

       Dieser Sonntag starb schon am Morgen.

       Metins morgendliches Argument zum Verweilen