Traurige Strände. A.B. Exner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A.B. Exner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847665212
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packte meine Sachen, nahm mir, wie abgesprochen, seine Korkpinnwand aus der Küche und verließ die Wohnung.

       Als ich aus dem breiten Hausflur trat, blickte ich nach oben. Metin stand auf seinem Minibalkon und nickte mir zu. Im Haus gegenüber hatte Eugen Böttcher, der Dekolletéchecker, natürlich meinen Abschied beobachtet. War das Zufall, oder war der Typ krank?

       Egal jetzt, ab nach Hause.

       Unterwegs betrachtete ich mir meine Wohngegend. Ich musste über die Schönhauser Allee. Wollte dann in Ruhe auf der Ostseite der Schönhauser über die S-Bahn, die Greifenhagener runter, bis ich irgendwann die Knaakstraße erwischte.

       Dort schnell bei meiner Freundin deren Schlüssel in den Briefkasten werfen.

       Diese Freundin, Heidi Tech, war der Grund des abendlichen Treffens in unserer Stammkneipe. Neunundzwanzigster Geburtstag. Schön war es, ausufernd war es, laut war es. Heidi hatte ihren Autoschlüssel beim Wirt abgegeben und vergessen.

       An der Haustür mit der großen Nummer 14 standen zwei ältere Damen. Nicht mehr redend, nein, auf das Heftigste zeternd. Der Streit beschäftigte auch schon Schaulustige auf der anderen Straßenseite. Zumindest waren zwei Männer stehengeblieben. Einer mit Hund, der andere mit Schlagseite.

       Guten Morgen Prenzlauer Berg.

       An der Hauseinfahrt konnte man C+M+B lesen. Die Schriftzeichen waren eben durch die eine Frau mit Kreide erneuert worden. Da ich an den beiden vorbei musste, um an den Briefkasten zu gelangen, auf dem TECH stand, war ich in beider Augen Opfer und Schiedsrichterin zugleich.

       Dame A behauptete, ihren Gehstock schwingend, dass Dame B hier Gaunerhaken an die Tür male.

       Kompletter Blödsinn.

       Dame B wiederum fuchtelte mit Ihrem Stück weißer Kreide in der Luft und belehrte uns beide, dass sie lediglich die Namenskürzel der drei heiligen Könige an die Tür male, um das Haus durch den Herrn schützen zu lassen.

       Genauso ein Blödsinn.

       Nicht nur, dass Pisa ein wirkliches Problem für Deutschland wurde, jetzt versagte auch noch die interne Weiterbildung der Kirchen.

       Ich sah den runzligen Streithennen tief in die Augen. Bis deren Atmung ruhiger war und ich die volle Aufmerksamkeit hatte.

       Dann sagte ich nur: „Christus Mansionem Beneficat.“

       Keine der beiden reagierte.

       Ich ging in den Hauseingang, versenkte den Schlüssel für Heidi in dem mit TECH bezeichneten Briefkasten und stand Sekunden später den - vermutlich katholischen Laiengelehrten - zum zweiten Mal gegenüber.

       Sie schwiegen.

       Meine Stimme hob an und sprach im Pfarrerstonfall: „Christus Mansionem Beneficat. Gott Segne dieses Haus. Latein erstes Jahr.“

       Die Blicke meiner Gegenüber waren unbezahlbar. Sollte aus diesem Tag doch noch ein Sonntag werden?

       Da ich glücklicherweise keine Reaktion bekam, ging ich weiter durch die Kulturbrauerei in die Sredzki.

       Da wohne ich.

       In der Sredzkistraße. Unten im Haus ist ein geniales afrikanisches Restaurant. Ich wohne ganz oben.

       Zwei Zimmer und ´ne Abstellkammer. Siebenundfünfzig Quadratmeter für achthundert Euro.

       Kalt.

       Kapitalismus in Reinkultur.

       Ich war fast eine Stunde gelaufen. Das ginge auch schneller, aber ich wollte diesem Sonntagmorgen eine Chance geben.

       Nein, dieser Tag war nicht wiederzubeleben.

       Tot.

       Also Rotwein und Badewanne.

       Morgen musste ich wieder arbeiten.

       Einfluss der Armut auf die Sozialepidemiologie eines Staates.

       Das war die Überschrift. In Worte gefasst, die auch Metin verstanden hätte.

       Ich kann das noch viel besser. Wissenschaftlicher, nervender, verletzender, fremdwörterischer.

       Meine Doktorarbeit.

       Vor vier Wochen verteidigt.

       Seit gestern war ich Frau Doktor Liska Wollke. Einen Meter und einundsechzig Zentimeter hoch.

       Jung, knackig, drahtig und ein wenig angesoffen.

       Zwei Stunden später war mein Dachschrägenfenster vom Badewasser beschlagen.

       Kondenswasser.

       Da ich diesen Sonntag schon mehrfach für tot erklärt hatte, machte ich nicht den Versuch der Neuorientierung. Das Fensterglas wischte ich nicht ab.

       Ich ging, meine Bude volltropfend, ins Wohnzimmer und legte mich nackt auf die Ledercouch.

       Die unglücklichere, kleinere der Schamlippen war wohl in der Nacht bei Metin zu kurz gekommen und verlangte nach Streicheleinheiten. Zu Recht.

       Dort wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich verletzt. Seelisch und körperlich.

       Ich befeuchtete meinen linken Zeigefinger an der Quelle, also nicht mit Speichel, und verwöhnte die schrumpelige, wohldurchblutete Haut in meinem Schritt durch langsames Streicheln. Ohne Druck. Die dankbaren Reaktionen strahlten in den gesamten Körper aus.

       Wohlig fühlte ich mich. Wohlig fühlte sich meine kleinere Schamlippe.

       Sie gab sich zufrieden – nach etwa zwanzig Minuten.

       Ich zog die Flanelldecke zu mir rüber, kuschelte mich ein und ignorierte stoisch die Türklingel und mein Handy. Erstaunlicherweise gaben beide Geräte gleichzeitig auf.

       Mit meinem linken Fuß die Fernbedienung zu angeln, war nicht leicht. Dennoch gelang es.

       Zappen um abzuschalten – welch schönes Wortspiel.

       Gestern Abend hatte Gottschalks Nachfolger also zum dritten Mal wettend die Nation vergnügt. Einer seiner Gäste war der göttliche Wunderknabe aus Mannheim mit dessen Brüdern. Dass man Berufsverbote nicht auf diese singende Berufsgruppe ausweiten konnte! Dieser Mannheimer Barde war irgendwo ganz weit hinter meinem musikalischen Horizont angesiedelt.

       Umschalten als Rettung.

       Nächster Kanal: Märchen.

       Weiter: Doku über angeblich strenge Eltern.

       Danach: Werbung für einen Gemüsehäcksler…

       Hunger.

       Ich war eingeschlafen. Frau Doktor beliebte zu ruhen.

       Ich prostete mir selbst mit Rotwein zu und bestellte mir einen deftigen Salat bei dem Afrikaner fünf beschwerliche Etagen unter mir. Sameena, die kleinste Kellnerin Berlins wusste was ich wollte. Deshalb ging es auch schnell.

       Sie ließ mich wie immer eine Quittung unterschreiben. Wenn ich bei jeder Bestellung Trinkgeld gegeben hätte, dann wäre das zu teuer, hatte sie mir mal erklärt. Ich solle ihr doch lieber einmal in der Woche die Rechnungen begleichen und dann einmal zwanzig Euro als Trinkgeld geben.

       Zielstrebig und hübsch. Frech und genial.

       Außer montags.

       Da war das Restaurant geschlossen.

       Vorhin wollte irgendwer mich telefonisch erreichen.

       Ich hörte den Anrufbeantworter ab. Welch bescheuertes Wort, als wenn die Maschine das könnte.

       Metin war aufgeregt zu hören. Ob ich die Korkpinnwand mitgenommen hätte? Ich solle ihn doch bitte dringend anrufen.

       Ich wählte seine Nummer aus dem Speicher und wartete.

       Kein Metin ging ran, ergo keine Antwort.

       Wenn der Bengel mich angerufen hatte, wer war dann der Mensch an meiner Wohnungstür?

       Das Leben ist voller Fragen.

       Arsch lecken Leben!

       Salat essen, Rotwein genießen, Montag vorbereiten.

       Die „Guten Morgens“ der Kollegen konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass Hertha BSC und Union Berlin