Stephen Crane, Die rote Tapferkeitsauszeichnung.. Jan Moewes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Moewes
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847620457
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man in der Armee die Altgedienten daran, dass sie eher wie kleine Grüppchen wirken. Ein paar herumstreunende Veteranen, die über die langen Kolonnen staunten, als die endlich im Feld ankamen, begrüßten sie deshalb mit den Worten: „Hallo Jungs, was seid Ihr denn für´ne Brigade?“ Und als sie zur Antwort bekamen, dass es sich nicht um eine Brigade handele sondern um ein Regiment, hatten die älteren Soldaten gelacht und ausgerufen: „Oh Gottegott!“

      Außerdem waren sich die Kopfbedeckungen allzu ähnlich. Die Kappen eines Regiments bezeugten meist sehr genau die Entwicklung des Kopfschmucks über mehrere Jahre. Zu allem Überfluss war der Glanz der goldenen Buchstaben auf ihren Feldzeichen kein bisschen verblasst. Sie waren neu und blitzblank, und die Träger hatten die Fahnenstangen frisch poliert.

      Kurz darauf rastete die Truppe erneut und hatte Zeit zum Nachdenken. Der Duft der friedlichen Pinien stieg ihnen in die Nase. Regelmäßige Axthiebe schallten durch den Wald, und die Insekten, die im Geäst krabbelten, lärmten wie alte Frauen. Der Junge beschäftigte sich wieder mit seiner Theorie der blauen Demonstration.

      Doch eines grauen Morgens stieß ihn der lange Soldat an, und bevor er noch richtig wach war, sah er sich inmitten von Männern, die bald vor Anstrengung keuchten, einen Waldweg hinab rennen. Seine Feldflasche klapperte rhythmisch gegen sein Bein und der Brotbeutel schlingerte hin und her. Sein Gewehr hüpfte bei jedem Schritt von der Schulter und drohte, ihm die Kappe vom Kopf zu stoßen.

      Er hörte die Männer kurze Sätze keuchen. „Sachma - was soll das alles?“ „Was zum – Donnerwetter - rennen – wir hier lang?“ „Willi – tritt mir nich – aufe Füsse – du Trampeltier!“ Auch die schrille Stimme des Schreihalses war zu hören: „Wat zum Teufel – ham die et – so eilich?“

      Der Junge hatte den Eindruck, dass die rennende Menschenmenge den dichten Morgennebel aufscheuchte. In der Ferne knatterten plötzlich Schüsse.

      Er war verwirrt. Während er mit den Kameraden rannte, versuchte er nachzudenken, aber er begriff, dass die hinter ihm Kommenden über ihn hinwegtrampeln würden, falls er stürzen sollte. Er brauchte wirklich all seine Sinne, um die Hindernisse zu überspringen oder ihnen auszuweichen. Ihm war, als würde er von der Horde mitgerissen.

      Die Sonne schickte ihre enthüllenden Strahlen aus und ein Regiment nach dem anderen wurde sichtbar, als ob die bewaffneten Männer gerade aus der Erde wuchsen. Dem Jungen wurde klar, dass der Moment gekommen war. Nun musste er sich beweisen. Im Angesicht dieser großen Prüfung fühlte er sich wie ein Kleinkind, und sein Herz schien offen zu liegen. Er nahm sich die Zeit für einen abwägenden Blick rundum.

      Sofort sah er, dass es ihm nicht möglich sein würde, dem Regiment zu entkommen. Es schloss ihn ein. Nach allen Seiten war er umringt von ehernen Regeln und einer Tradition, die Gesetz war. Er war in einer beweglichen Kiste eingesperrt. Als er das erkannte, fühlte er, dass es nie sein Wunsch gewesen war, in den Krieg zu ziehen. Er hatte sich nicht aus freier Entscheidung gemeldet. Ein unbarmherziges Regime hatte ihn mitgrissen. Und nun schickten sie ihn los, um sich schlachten zu lassen.

      Das Regiment rutschte einen Abhang hinunter und watete durch ein Flüsschen. Die klägliche Strömung gluckerte langsam weiter und aus dem schwarzen Schatten des Wassers schauten weisse Luftbläschen den Männern nach. Als sie das andere Ufer bestiegen, setzte das Donnern der Artillerie ein. Da vergaß der Junge alles andere und kroch, von Neugier übermannt, den Hang so schnell hinauf, dass der Blutrünstigste ihn nicht überholt hätte. Er erwartete ein Schlachtenbild.

      Was er sah, waren ein paar kleine Felder, von Hecken begrenzt und vom Wald eingeschlossen. Über das Grün und zwischen den Baumstümpfen verstreut konnte er Grüppchen und wogende Reihen von Kämpfenden erkennen, die von hier nach dort rannten und in die Gegend feuerten. Eine dunkle Frontlinie zog sich im strahlenden Sonnenschein quer über eine Lichtung. Eine Fahne flatterte im Wind.

      Weitere Regimenter drängelten die Uferböschung hoch. Die Brigade hatte sich in Schlachtordnung formiert und rückte nach einer Pause langsam zwischen den Bäumen vor, den zurückweichenden Feinden nach, die immer wieder von der Bildfläche verschwanden, um etwas weiter hinten wieder aufzutauchen. Sie waren emsig wie die Bienen, jeder in seine eigene kleine Schlacht vertieft.

      Der Junge war bemüht, sich nichts entgehen zu lassen. Er vergaß, Bäumen und Ästen auszuweichen, und seine unachtsamen Füße stießen ständig gegen Steine oder sie verfingen sich im Gestrüpp. Das Durcheinander der Batallione sah aus wie leuchtend rotes Flechtwerk im weichen Teppich aus sanftem Grün und Braun. Als Schlachtfeld schien es ihm kein passender Ort zu sein. Die vorrückenden Kämpfer faszinierten ihn. Ihre Schüsse ins Dickicht und auf weit entfernte, große Bäume erzählten von verborgenen, unbegreiflichen und feierlichen Tragödien.

      Auf einmal stieß die Linie auf einen gefallenen Soldaten. Er lag auf dem Rücken und starrte in den Himmel. Er trug eine ungewöhnliche beigebraune Uniform. Der Junge sah, dass die Sohlen seines Schuhwerks abgetragen waren wie dünnes Pergament, und aus einem großen Loch schaute der tote Fuß trostlos hervor. Es war, als hätte sein Schicksal ihn betrogen. Im Tod zeigte es seinen Feinden die Armut, die er seinen Freunden im Leben wahrscheinlich verborgen hatte.

      Verstohlen öffnete sich die Linie, um dem Leichnam auszuweichen. Der unangreifbare Tote bahnte sich seinen Weg. Aufmerksam musterte der Junge das aschgraue Gesicht. Der Wind spielte in seinem blonden Bart. Es sah aus, als würde eine Hand ihn kraulen. Am liebsten hätte er ihn von allen Seiten betrachtet; der Versuch des Lebenden, in den toten Augen die Antwort auf seine Fragen zu lesen.

      Die Zuversicht, die der Junge gewonnen hatte, bevor er das Schlachtfeld erblickte, löste sich in nichts auf. Seine Neugier war schnell befriedigt. Hätte ihn eine überwältigende Szene gefesselt, als er auf der Höhe der Uferböschung ankam, wäre er vielleicht tollkühn vorangestürmt, aber das Vorrücken in dieser Landschaft war zu beschaulich. Er konnte nachdenken. Er hatte die Zeit, sich selbst zu befragen und seine Eindrücke zu ordnen. Verrückte Einfälle schossen ihm durch den Kopf. Ihm war, als mochte er die Landschaft nicht. Sie bedrohte ihn. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, und auf einmal hatte er das Gefühl, dass seine Hosen ganz und gar nicht an seine Beine passten.

      Ein Haus, das friedlich auf einem fernen Feld stand, schien ihm ein bedrohliches Aussehen zu haben. Die Schatten der Bäume waren unheimlich. Er war sicher, dass in seinem Blickfeld feindliche Raubtieraugen lauerten. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass die Generäle keine Ahnung hatten, was sie taten. Das alles war eine Falle. Jeden Moment konnten diese Wälder mit einer Unzahl von Gewehren gespickt sein. Unerbittliche Brigaden würden aus dem Hinterhalt auftauchen. Sie alle würden geopfert werden. Die Generäle waren Dummköpfe. Gleich würde der Feind die ganze Truppe verschlingen. Erbost schaute er sich um, sicher, seinen Tod heranschleichen zu sehen.

      Er fand, dass er aus der Linie ausbrechen und seine Kameraden warnen sollte. Sie sollten nicht alle wie Schweine geschlachtet werden, und er war sicher, dass es so kommen würde, falls er sie nicht auf die Gefahr aufmerksam machen würde. Die Generale waren Idioten, sie in einen so offensichtlichen Hinterhalt zu schicken. Im ganzen Korps gab es nicht mehr als ein einziges Paar Augen. Er musste vortreten und eine Rede halten. Klare und eindringliche Worte lagen ihm auf den Lippen.

      Die Frontlinie, durch das Gelände in kleine bewegliche Gruppen zerrissen, rückte langsam durch Wäldchen und über freie Felder vor. Der Junge betrachtete die Männer in seiner Nähe und sah vor allem gespannte Gesichter, als ob sie etwas aufklären wollten, was ihr Interesse geweckt hatte. Einer oder zwei bewegten sich, als sei der Krieg etwas alltägliches für sie. Andere gingen vorsichtig wie auf dünnem Eis. Der Großteil der unerfahrenen Männer schien ruhig und in Gedanken versunken. Sie waren im Begriff, einen Blick auf den Krieg zu werfen, das rote Tier – Krieg, der mit Blut gestillte Gott. Und sie waren völlig in ihren Vormarsch vertieft.

      Als er das sah, blieb ihm ein Aufschrei in der Kehle stecken. Er erkannte, dass die Männer, selbst wenn einige nur zögernd voran schritten, über seine Warnung nur lachen würden. Sie würden ihn verspotten und möglicherweise sogar mit Steinen nach ihm werfen. Vielleicht irrte er sich ja wirklich, und dann würde seine verzweifelte Ansprache ihn für die anderen zu einem erbärmlichen Würmchen machen.

      Deshalb verhielt er sich wie einer,