Stephen Crane, Die rote Tapferkeitsauszeichnung.. Jan Moewes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Moewes
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847620457
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Blüten.

      Der Junge vermied die Unterhaltung mit seinen Kameraden so gut es die Umstände erlaubten. Sobald er konnte, entfernte er sich ein paar Schritte ins Dunkel. Die vielen Feuer, vor deren rötlichem Schein die schwarzen Schatten der Männer hin und her huschten, wirkten auf diese kurze Entfernung teuflisch und bedrohlich.

      Er legte sich ins Gras. Die Halme schmiegten sich an seine Wange. Der Mond leuchtete, als sei er in den Wipfel eines Baumes gehängt. Die feuchte Kälte der Nacht, die ihn umfing, erfüllte ihn mit einem unbestimmten Selbstmitleid. Der sanfte Wind streichelte ihn, und die Stimmung in der Dunkelheit passte sehr gut zu seiner Trostlosigkeit, fand er.

      Er wünschte sich sehnlichst, wieder zu Hause zu sein, und die endlose Runde vom Haus zum Heuschober zu machen, von dort aufs Feld, vom Feld zum Schober und vom Schober wieder nach Hause. Er dachte daran, wie oft er die gescheckte Kuh und die anderen angebrüllt und manchmal sogar den Melkschemel nach ihnen geworfen hatte. Aber in seiner jetzigen Stimmung sah er einen beglückenden Heiligenschein um jeden ihrer Köpfe, und er hätte alle Messingknöpfe der Erde dafür gegeben, wieder zu ihnen zurückkehren zu können. Er sagte sich, dass er nicht zum Soldaten geboren war. Und er dachte lange über den gewaltigen Unterschied zwischen sich und den Männern nach, die wie böse Buben um die Feuer sprangen.

      Da unterbrach ihn das Rascheln von Gras, und als er hochschaute, sah er den vorlauten Soldaten. „Ach, Wilson“, sprach er ihn an.

      Der kam näher und schaute herab. „Oh, hallo Henry, du bists. Was machs dun hier?“

      „Nichts, ich denke nach“, sagte der Junge.

      Der Andere setzte sich und zündete sich bedächtig die Pfeife an. „Du siehst bedrückt aus, mein Junge. Du machs ´en verdammt traurijen Eindruck. Was zum Teufel is los mit dir?“

      „Gar nichts“, sagte der Junge.

      Da kam der Laute auf den bevorstehenden Kampf zu sprechen. „Ja, jetzt ham wir se!“ Sein Kindergesicht verzog sich zu einem fröhlichen Lachen und in seiner Stimme schwang Begeisterung mit. „Jetzt ham wir se. Endlich wern wir es ihnen richtich jeben, zum Donnerwetter.“

      „Um die Wahrheit zu sagen“, fuhr er schon etwas ernster fort, „bis jetzt ham sie et uns jedesma jegeben; aber diesma, diesma wern wir et ihn´ richtich besorgen.“

      „Ich dachte, du wärst gerade noch gegen diesen Marsch gewesen“, widersprach der Junge ungerührt.

      „Nee, so war et ooch nich“, erklärte der Andere. „Ick hab nix jegens Marschieren, wenn et darum jeht, am Ende zu kämpfen. Wat ick hasse, is det hin und her jeschickt wern, ohne dattabei wat rauskommt, soweit ick sehn kann, außer durchjelatschte Füße und verdammt knappe Rationen.“

      „Naja, Jim Conklin sagt, dass es diesmal richtig rundgehen soll.“

      „Da hat er wohl einma recht, denk icke, obwohl ick noch nich sehen kann, wiet losjehn soll. Diesma wirz ne heiße Schlacht jehm, und wir ham die besseren Karten, janz sicher. Mein lieber Mann, wern wir die fertich machen!“

      Er sprang auf und lief erregt hin und her. Seine Schritte federten kraftvoll vor Begeisterung. Er war beschwingt, entschlossen und glaubte unerschütterlich an den Erfolg. Mit leuchtenden Augen sah er stolz in die Zukunft und redete mit der Sicherheit eines erfahrenen Soldaten.

      Der Junge beobachtete ihn eine Weile schweigend. Seine Stimme klang bitter, als er schließlich sprach. „Nu, du hast wohl Großes vor, scheint mir.“

      Nachdenklich blies der laute Soldat den Rauch seiner Pfeife in die Luft. „Nee, det weeß ick nich,“ sagte er ruhig, „det weeß ick nich. Ick meen, ick werds so jut machen wie die And´ren. Ick will meen Bestet versuchen.“ Die Bescheidenheit seiner Aussage schien ihm offensichtlich zu gefallen.

      „Woher weißt du, dass du nicht abhauen wirst, wenn es soweit ist?“ fragte der Junge.

      „Abhauen?“ staunte der Laute, „Abhauen? Uf keen Fall!“ Er lachte.

      „Naja“, gab der Junge zu bedenken, „ ne Menge brauchbarer Männer haben vor dem Kampf gedacht, sie würden Heldentaten vollbringen, aber als es soweit war, sind sie flitzen gegangen.“

      „Ja, dat is wohl wahr,“ erwiderte der Andere, „aber ick werd nich flitzen jehn. Jeder, der auf mein Abhauen wettet, wird sein Jeld verlieren, mehr sach ick nich.“ Er nickte voller Zuversicht.

      „Verdammt nochmal;“ warf der Junge ein, „du bist wohl der tapferste Mann der Welt, oder was?“

      „Nee, bin ick nich,“ rief der Laute verärgert aus, „und ick hab ooch nich jesacht, det ick der mutichste Mann aufe Welt bin. Ick hab jesacht, det ick det Meene in diesem Kampf tun werde – det hab ick jesacht. Und det werd ick ooch, bestimmt. Und überhaupt, wer bist denn du. Du sprichst, als würdest du dich für Napoleon Bonaparte halten.“ Er starrte den Jungen einen Moment lang wütend an, dann verschwand er.

      Missmutig schrie der Junge seinem Kameraden nach: „Musst ja nich gleich durchdrehn deswegen!“ Aber der Andere ging wortlos weiter.

      Als sein Kamerad beleidigt verschwunden war, fühlte er sich mutterseelenallein. Seine Unfähigkeit, auch nur die geringste Gemeinsamkeit in ihren Anschauungen zu entdecken, machte ihn noch erbärmlicher als vorher. Es sah so aus, als ob niemand sonst mit einem so schrecklichen Zwiespalt zu kämpfen hatte. Er war ein psychischer Sonderfall.

      Langsam ging er zum Zelt zurück und streckte sich auf dem Laken neben dem langen Soldaten aus, der bereits schnarchte. Im Dunkeln beschlich ihn die Ahnung einer natternzüngigen Furcht, die seinen Rücken hochkroch und ihn zur Flucht trieb, während Andere ungerührt ihren Dienst fürs Vaterland taten. Er fürchtete, dass jeder einzelne seiner Nerven diesem Ungeheuer sein Ohr leihen würde, die anderen Männer dagegen taub dafür waren und unbeeindruckbar.

      Und während er unter der Bürde derartiger Gedanken schwitzte, hörte er gemurmelte, ruhige Worte: „Ich setze Fünf.“ „Tu einen drauf.“ „Sieben.“ „Sieben zum Sehn.“ Er starrte den roten, flackernden Schein des Feuers auf der hellen Plane seines Zelts an, bis er einschlief, krank und zermürbt von der Eintönigkeit seiner Grübeleien.

      III

      In der nächsten Nacht wurden die Marschkolonnen zu violetten Streifen, die sich über zwei Pontonbrücken hinzogen. Ein loderndes Feuer gab dem Wasser des Flusses die Farbe von Rotwein. Sein flackernder Schein schmückte die endlose Schnur der Soldaten mit silbernem und goldenem Gefunkel. Am gegenüberliegenden Ufer zeichnete sich dunkel und bedrohlich die Wellenform der Hügel gegen den Himmel ab. Der Chor der nächtlichen Insekten klang schwermütig herüber.

      Am anderen Ufer angekommen, war dem Junge klar, dass sie jeden Augenblick gnadenlos und ohne jede Vorwarnung aus den Höhlen des düsteren Waldes angegriffen werden konnten. Mit weit offenen Augen starrte er in das Dunkel.

      Doch sein Regiment erreichte den Lagerplatz ohne Zwischenfälle und die Soldaten fielen in den tiefen Schlaf erschöpfter Männer. Früh am Morgen wurden sie aufgescheucht und über einen schmalen Weg tief in den Wald geführt.

      Bei diesem Eilmarsch legte das Regiment einiges von dem ab, was sie sofort als Neulinge erkennen ließ.

      Die Männer hatten angefangen, die Meilen an den Fingern abzuzählen und sie wurden müde. „Wunde Füße und knappe Rationen, dat isset“, sagte der Vorlaute. Sie schwitzten und fluchten. Nach einer Weile rissen sie sich die Tornister runter. Einige warfen sie einfach weg, andre versteckten sie sorgfältig und machten Pläne, sie bei der ersten Gelegenheit zurückzuholen. Dicke Hemden wurden sich vom Leib gerissen. Bald schleppte kaum noch jemand mehr als das Nötigste an Kleidung mit, eine Decke, Brotbeutel, Feldflasche, sowie Waffen und Munition. „Wennde essen und schießen kannz“, sagte der Lange zu dem Jungen, „haste alles, wasse brauchs.“

      Der Übergang von der schweren Infanterie der Ausbildung zur leichten und schnellen Infanterie im Feld ging erstaunlich schnell vonstatten. Derart von ihrer Last befreit, gewann die Truppe neuen Schwung. Aber sie hatte auch eine Menge brauchbaren