Stephen Crane, Die rote Tapferkeitsauszeichnung.. Jan Moewes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Moewes
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847620457
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Tumults ließen ihn diese als Traumvorstellungen erkennen.

      Er sprang von der Liege auf und schritt unruhig auf und ab. „Mein Gott“, sagte er laut, „was´n los mit mir?“

      Er sah ein, dass all seine alten Grundsätze in dieser Auseinandersetzung nutzlos waren. Alles, was er gelernt hatte, war hier nichts mehr wert. Er war eine unbekannte Größe. Also würde er wieder zusehen müssen, wo er blieb, wie in seinen Kindertagen. Er musste sich selbst erst noch besser kennenlernen, und solange er es schaffte, sich selbst treu zu bleiben, konnten ihn diese neuen Gedanken, die er so gar nicht kannte, wohl auch nicht für immer und ewig unglücklich machen. „Mein Gott!“ wiederholte er bedrückt.

      Kurz darauf schlüpfte der lange Soldat geschickt durch das Loch herein.

      Der laute Gefreite folgte ihm. Sie stritten sich heftig.

      „Schon gut“, sagte der lange Soldat beim Eintritt und schüttelte vielsagend den Kopf, „kannz mir glaum oder nich, wie de willz. Muss dich nur hinsetzen und so ruhich abwahten wie de kannz. Dann wirsse schon schnell rausfinden, oppich recht gehabt hab.“

      Sein Kamerad grunzte unwillig. Einen Moment lang schien er nach der richtigen Antwort zu suchen, dann sagte er:“Naja, wirs au nich alles wissen vonne Welt, oder?“

      „Hab nich gesagt, dass ich alles aufe Welt weiß“ erwiderte der Andere spitz. Sorgfältig verstaute er ein paar Sachen in seinem Tornister.

      Der Junge unterbrach sein unruhiges Herumlaufen und blickte auf den eifrig Packenden. „Die Schlacht kommt auf jeden Fall, stimmts, Jim?“ fragte er.

      „Natürlich kommt se“, antwortete der lange Soldat, „natürlich kommt se. Brauchs nur bis mohgen waaten, und dann wirsse eine der grössten Schlachten sehn, dies je gab. Brauchs nur zu waaten.“

      „Donnerwetter!“ sagte der Junge nur.

      „Oh, du wirss Kämpfe sehn, mein Jung, richtig gewaltige Kämpfe wirsse sehen“, fuhr der lange Soldat fort, wobei er tat, als veranstalte er diese Schlacht zur Erbauung seiner Kameraden.

      „Oho!“ kam von dem Lauten aus seiner Ecke.

      „Naja,“ warf der Junge ein, „wenn das ma nich genau sone Geschichte wird wie die andern warn.“

      „Wirze nich sein,“ beharrte der lange Soldat verärgert, „wirze nich sein. Is nich heute morgen die ganze Kavallerie losgezog´n?“ Durchdringend starrte er sie an. Niemand widersprach ihm. „Et heißt, dass kaum nochen Kavallerist im Lager iss. Die gehn nach Richmond oder sonstwo hin, während wir gegen die Heinis kämpfen. Dat iss der ganze Trick. Dat Regiment hat auch schon seine Befehle. Ein Kumpel hat sie zum Hauptquartier gehn sehn unz mir gerade erzählt. Unz wird im ganzen Lager rumposaunt – kann doch jeder sehn.“

      „Blödsinn!“ meinte das Großmaul.

      Der Junge sagte eine ganze Weile gar nichts. Dann sprach er den langen Soldaten an: „Jim!“

      „Was?“

      „Was glaubst du, wies Regiment sich schlagen wird?“

      „Oh, sie wern tapfer kämpfen, denk ich, wennse einma dabei sind.“ urteilte der Andere nachdenklich. Er benutzte die dritte Person sehr geschickt. „Als Neulinge ham sie natürlich jede Menge Scherze und so aushalten müssen, aber se wern sich schon gut schlag´n, denk ich.“

      „Glaubsu, einer von den Jungs wird stiften gehn?“

      „Nu, vielleicht en paar von ihn´, aber von der Sorte gibs welche in jehm Regiment, vorallm wennset erste ma Feuer kriegen“, befand der Andere auf seine ruhige Art. „Et is sogar gut möglich, dass der ganze verlotterte Haufen zu rennen anfängt, wenns ma richtig losgeht, aber genausogut könnse auch standhalten und begeistert draufhaun. Da kannze auf nix wetten. Sicher waanse bis jetz noch nie unter Feuer, und sie wern auch nich gleich die ganze Rebellen-A´mee aufn ersten Schlach niedermachen. Ich denk, sie wern et besser machen wie viele andere, aber nich so gut wie manche. So stell ichs mir vor. Dat Regiment nenntse Frischfleisch, aber die Jungs sind aus gutem Holz, und die meisten wern wie die Teufel kämpfen, wenn die Ballerei ersma losgeht.“ Die letzten Worte klangen fast beschwörend.

      „Nee, wat hälz du dich für schlau,“ warf der laute Soldat verächtlich ein.

      Der Andere fuhr wütend herum. Ein kurzer Streit entbrannte, bei dem beide sich mit den wüstesten Schimpfwörtern überschütteten.

      Schließlich unterbrach sie der Junge. „Hast du jemals ans Abhauen gedacht, Jim?“ fragte er. Er lachte, als er den Satz beendet hatte, als habe er einen Scherz machen wollen. Der Streithammel kicherte auch.

      Der lange Gefreite winkte ab. „Also“, sagte er ernst,“ich hab bei der einen oder anderen Keilerei schon ma gedacht, dattat zu heiß wern könnte für Jim Conklin, und wenn ne ganze Menge von den Jungs zu rennen anfangen würde, also dann, denk ich, dann würd ich wohl auch rennen. Und wenn ich einma losgerannt wär, würd ich wie der Teufel rennen und nicht aufhörn. Aber wennse alle stehn bleim würn und kämpfen, ja dann würd ich auch bleim un kämpfen. Bei meiner Seele, das würd ich. Da wett´ich drauf.“

      „Juhuu!“ sagte der Stänkerer.

      Der junge Held dieser Geschichte war dem Kameraden dankbar für seine Worte. Er hatte gefürchtet, dass all die anderen unerfahrenen Männer voller festem und unerschütterlichem Selbstvertrauen wären. Jetzt fühlte er sich wieder viel sicherer.

      II

      Am nächsten Morgen erkannte der Junge, dass sein hochgewachsener Kamerad der reitende Kurier einer Falschmeldung gewesen war. Viele von denen, die gestern seine Ansicht entschieden verteidigt hatten, machten sich nun über ihn lustig, während jene, die dem Gerücht nie Glauben geschenkt hatte, ihn jetzt offen verspotteten. Einen Mann aus Chatfield Corners verprügelte der Lange nach Strich und Faden.

      Der Junge hingegen fühlte, dass seine Zweifel keineswegs geringer geworden waren. Ganz im Gegenteil schob er sie nur vor sich her. Die Ansprache hatte ihn dazu gebracht, sehr gründlich über sich nachzudenken. Nun, da dieser neue Zweifel an ihm nagte, fühlte er sich verdammt, wieder seinen alten Platz als Rädchen in der blauen Maschinerie einzunehmen.

      Tagelang verlor er sich in endlosen Betrachtungen, aber seltsamerweise kam er zu keinem befriedigenden Ergebnis. Er begriff, dass er zu keiner endgültigen Aussage imstande war. Letztlich kam er zu dem Schluss, dass er nur einen Weg gab, sich zu beweisen. Er musste in die Feuertaufe gehen und dann, im wahrsten Sinne des Wortes, seine Beine im Auge behalten, um ihre Stärken und Schwächen zu entdecken. Ihm wurde klar, dass er nicht dasitzen und die Antwort durch Abhaken einer Liste im Kopf finden konnte. Um die zu bekommen, benötigte er Feuer, Blut und Gefahr, genau wie ein Chemiker dies, das und jenes braucht. So bangte er nun seiner Gelegenheit entgegen.

      Bis dahin versuchte er ständig, sich an seinen Kameraden zu messen. Der lange Soldat zum Beispiel gab ihm Sicherheit. Die schlichte Unbekümmertheit dieses Mannes ließ sein Selbstvertrauen wachsen, denn er hatte ihn von Kindesbeinen an gekannt, und obwohl er ihn so gut kannte, fiel ihm nichts ein, wozu jener fähig gewesen wäre, was er, der Junge, sich selbst nicht zugetraut hätte. Dennoch dachte er auch daran, dass sein Kamerad sich vielleicht selbst überschätzte. Oder dass er möglicherweise bis dahin zu Friedfertigkeit und Zurückhaltung erzogen, in Wirklichkeit jedoch dafür bestimmt war, sich im Krieg hervorzutun.

      Gerne hätte der Junge noch jemand gefunden, der ähnliche Zweifel hatte wie er. Ein freundschaftlicher Gedankenaustausch wäre genau das Richtige für ihn gewesen.

      Manchmal bemühte er sich, einen Kameraden mit mehrdeutigen Bemerkungen aus der Reserve zu locken. Er schaute sich nach Männern in entsprechender Stimmung um. Doch schlugen all seine Versuche fehl, irgendeine Aussage zu provozieren, die auch nur ein bisschen nach einem Bekenntnis jener Zweifel geklungen hätte, mit denen er sich insgeheim herumschlug. Er wagte es nicht, offen über seine Probleme zu sprechen, weil er fürchtete, ein verantwortungsloser Mitwisser könnte eine allzu klare Information nutzen, um ihn der Lächerlichkeit preiszugeben.

      Bei