Stephen Crane, Die rote Tapferkeitsauszeichnung.. Jan Moewes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Moewes
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847620457
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seinem Soldatengepäck auf der Schulter im Eingang zurück geschaut hatte, mit vor Erwartung und Aufregung leuchtenden Augen, die den Schatten von Trauer über den baldigen Abschied vom heimatlichen Hof nicht sehen wollten, da hatte er zwei Tränen über der Mutter blass gewordene Wangen laufen sehen.

      Trotz allem hatte sie ihn dadurch enttäuscht, dass sie nie die klassischen Worte aussprach von der „Heimkehr mit dem stolz erhobenen Schild oder aufgebahrt auf ihm“. Er hatte sich innerlich auf eine ergreifende Abschiedsszene vorbereitet und sich einige Sätze zurechtgelegt, die seiner Meinung nach einen tiefen Eindruck hinterlassen mussten. Doch ihre Worte machten seinen Plan zunichte. Unbeeindruckt hatte sie ihn beim Kartoffelschälen angesprochen: „Sei vo´sichtich, Henry, un pass gut auf dich auf bei de Kämpferei da unten, vo´sichtich un pass auf dich auf. Lauf da nich rum un denk, dasse die ganze Bande in ein Tach fettich machen kannz, kannze nehmlich nich. Du biss ein klein Keerl inne Riesenmeute annerer Keerls un muss ersma still kucken, wasse alle machen. Ich kenn dich, Henry!“

      „Ich hab dir acht paa Sockn gestrickt, Henry, un ich hab dir die ganz´n gut´n Hemd´n eingepackt, weil ich will, dass mein Jung sich genau so wohl un wahm fühlt wie alle annern inne A´mee. Wenn da´n Loch drinn iss, musse se sofo´t schickn, dass ich se stopf´n kann.“

      „Vo´alln sei vo´sichtich un such dir deine Freunde gut aus. Da gips ne Menge üble Keerls inne A´mee, Henry. Die A´mee machze wild, un nix tun se lieber als´n jung´n Keerl wie dich aufe schiefe Bahn bring´n, der no´nie von zu Hause wech wa un die Mutta wa imma dabei, un den lernse denn saufn un fluchn. Bleib wech von diese Leute, Henry. Ich will nich, dasse je was tuhs, Henry, wo de weiss, dasse dich schäm´müsstes, wenn ich et wüsste.“

      „Stell dir einfach vor, dass ich dich seh, ne. Wenne das nich vergiss, wirsse wohl ganz gut durchkomm´, denk ich.“

      „Un denk imma auch an dein Faata, Kind, un dasser in sein Leem kein Tropfen Schnaps getrunk´n hat, un fast nie mit gekreuzte Finga geschwoan.“

      „Ich weiss nich, was ich sonz noch sag´n soll, Henry, bloss, dasse dich nie drück´n sollz, Kind, bei meine Seele. Un wenns ans Stehrm geht oder du muss was Schlimmes mach´n, also dann, Henry, dann denk an nichz anneres als wasse tun muss, weil - es gib ne Menge Fraun in diese Zeit´n, die mit sowas fettich wern müss´n, un der Herr erbahmt sich unsa aller.“

      „Vergiss das mitte Sock´n unne Hemd´n nich, Kind; un ich hab dirn Glas Schwa´zbeerma´melade innet Bündel getan, weil ich weiss, dasse nichz lieba machz. Machs gut, Henry. Pass auf un sei´n guta Junge!“

      Natürlich hatte er sich nicht besonders wohl gefühlt bei dieser Moralpredigt, die ganz und gar nicht das gewesen war, was er hören wollte. Beinahe erleichtert brach er auf. Als er jedoch vom Tor aus zurück geschaut hatte, hatte er die Mutter in den Kartoffelschalen knien sehn. Ihr zum Himmel gerichtetes Gesicht war tränenüberströmt und ihr dürrer Schattenriss zitterte. Gesenkten Kopfes ging er weiter, plötzlich mit so etwas wie einem schlechten Gewissen.

      Zuerst war er zur Schule gegangen, um sich von seinen Mitschülern zu verabschieden. Staunend und bewundernd hatten sie sich um ihn geschart. Er hatte die Kluft zwischen ihnen gefühlt und war von Stolz und Ruhe erfüllt. Mit ein paar Kameraden, die auch Blau trugen, war er den ganzen Nachmittag der Mittelpunkt allgemeiner Bewunderung gewesen, und das hatte er sehr genossen. Sie hatten gezeigt, wer sie waren.

      Zwar hatte sich ein blondes Mädchen über seine kriegerisches Auftreten lustig gemacht, aber da war eine Andere, die seinen Blick immer wieder auf sich zog, und es kam ihm vor, als hätte sein Anblick in Blau-Gold sie traurig und bedrückt gemacht. Als er den von Eichen gesäumten Pfad hinuntergegangen war, hatte er zurück geschaut und sie in einem Fenster entdeckt, wie sie seinen Aufbruch verfolgte. Schnell hatte sie sich abgewandt, als sie seinen Blick bemerkte, und nach oben in die Baumkronen geschaut. Diese plötzliche Änderung der Haltung schien ihm ein Zeichen von Verwirrung. Lange dachte er darüber nach.

      Auf der Fahrt ins Ausbildungslager stieg seine Stimmung unentwegt. Bei jedem Halt wurde das Regiment bewirtet und verwöhnt, so dass der Junge am Ende selbst glaubte, er müsse wohl ein Held sein. Es gab eine üppige Auswahl an Brot, kaltem Fleisch, Kaffee, Eingelegtem und Käse. Als er sich in den Blicken der Mädchen gesonnt hatte, während die Alten ihn liebkosten und beglückwünschten, fühlte er den Wunsch in sich wachsen, unvergessliche Taten mit der Waffe in der Hand zu vollbringen.

      Nach mühsamen Tagen einer Reise voller Unterbrechungen hatten dann die Monate eintönigen Lagerlebens begonnen. Er hatte geglaubt, dass der Krieg eine Abfolge tödlicher Kämpfe mit kurzen Unterbrechungen zum Essen und Schlafen sei; aber seit sein Regiment das umkämpfte Gebiet erreicht hatte, hatte die Mannschaft kaum etwas anderes gemacht als Rumsitzen und Versuchen, sich warm zu halten.

      So landete er wieder bei seinen alten Gedanken. Schlachten wie bei den Griechen würde es nicht mehr geben. Die Menschen waren besser oder ängstlicher. Weltliche und religiöse Erziehung hatten den Raubtierinstinkt vernichtet, oder finanzielle Interessen hielten die Leidenschaft im Zaum.

      Er hatte begreifen müssen, dass er nicht mehr war als ein Teilchen einer unbeschreiblichen blauen Demonstration. Seine Aufgabe war es, sich in Form zu halten, so gut er konnte. Zur Unterhaltung konnte er Däumchen drehen oder sich die Gedanken ausmalen, die in den Köpfen der Generäle herumschwirrten. Und sonst wurde er gedrillt und gedrillt und besichtigt, und gedrillt und gedrillt und besichtigt.

      Die einzigen Feinde, die er zu Gesicht bekommen hatte, waren ein paar Posten am anderen Flussufer. Es waren braungebrannte, ruhige Leute, die dann und wann nachdenklich auf die blauen Posten schossen. Wurden sie dafür beschimpft, drückten sie meist ihr Bedauern aus und schworen bei ihren Göttern, dass sich der Schuss ohne ihr Zutun gelöst hatte. Eines nachts, auf Wache, unterhielt sich der Junge mit einem von ihnen über den Fluss hinweg. Es war ein etwas abgerissener Typ, der sehr geschickt zwischen seine Füße spuckte und ein sanftes, kindliches Selbstbewusstsein ausstrahlte. Dem Jungen gefiel seine Art.

      „Yank,“ hatte der Andere zu ihm gesagt, „du bisch ä verdamb gude Bub.“ Diese Zuneigung, die über den Fluß herüberwehte, hatte ihn vorübergehend den Krieg bereuen lassen.

      Ein paar Veteranen hatten ihm Geschichten erzählt. Einige erzählten von grauen, mit Whiskey abgefüllten Horden, die, gnadenlos fluchend und Tabak spuckend, mit unbegreiflichem Mut vorrückten; gewaltige Körper voller Kampfgeist, die wie Hunnen über das Land fegten. Andere sprachen von zerlumpten und ewig hungrigen Kerlen, die verzweifelt herumballerten. „Die schlepp´n dir die Glut innet Höllenfeuer, wenndese dafür´n Sack Futter gips, un sonne Mägen mach´n das nich lange“, wurde er belehrt. Bei diesen Geschichten sah der Junge nackte, rote Rippen zwischen den Rissen der verschlissenen Uniformen herausragen.

      Doch so richtig konnte er diesen Veteranengeschichten nicht glauben, denn den Rekruten konnten sie ja alles erzählen. Sie sprachen meist von Blut, Feuer und Qualm, aber er konnte nie sagen, wieviel davon erfunden war. Ständig riefen sie ihm „Frischfleisch“ hinterher, also gab es keinen Grund, Ihnen zu vertrauen.

      Dennoch wurde ihm nun langsam klar, dass es nicht so entscheidend war, gegen welche Art von Soldaten er kämpfen musste, sofern sie kämpften, und diese Tatsache bestritt niemand. Es gab ein viel ernsteres Problem. Darüber dachte er nach, während er auf seiner Pritsche ruhte. Er versuchte, sich davon zu überzeugen, dass er im Kampf auf keinen Fall die Flucht ergreifen würde.

      Bis dahin hatte er sich mit dieser Frage nie ernsthaft auseinandersetzen müssen. Sein Leben lang hatte er einige Dinge für selbstverständlich gehalten, noch nie hatte er seine Fähigkeiten in Frage gestellt und selten über Mittel und Wege nachdenken müssen. Aber nun stand er vor einer entscheidenden Frage. Unerwartet war ihm der Gedanke durch den Kopf geschossen, dass er vielleicht vor der Schlacht abhauen würde. Er musste sich eingestehen, dass er, was den Krieg betraf, gar nichts über sich wusste.

      Noch vor kurzem hätte er dem Problem erlaubt, draußen vor der Pforte seines Gewissens Luft zu schnappen, aber diesmal hatte er das Gefühl, dass er ihm seine ganze Aufmerksamkeit schenken sollte.

      Fast panische Furcht beschlich ihn. Wenn er sich einen Kampf vorzustellen versuchte, tauchten viele bedrohliche Möglichkeiten auf. Überall lauerten zukünftige