Stephen Crane, Die rote Tapferkeitsauszeichnung.. Jan Moewes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Moewes
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847620457
Скачать книгу
er geneigt, sie sich alle als Helden vorzustellen. Tatsächlich gestand er im Stillen normalerweise allen anderen die besseren Charaktereigenschaften zu. Er konnte sich Männer vorstellen, die völlig unauffällig durch die Gegend liefen und dabei einen enormen Sack ungeahnter Tugenden mit sich schleppten; und selbst wenn er viele seiner Kameraden seit der Kindheit kannte, fürchtete er nun, dass er sich vielleicht in ihnen getäuscht hatte. In anderen Momenten fand er diese Gedanken albern und war sich sicher, dass auch all die anderen Jungs im Stillen zweifelten und zitterten.

      Derart widersprüchliche Empfindungen sorgten dafür, dass er sich in der Gesellschaft von Männern unbehaglich fühlte, die so angeregt über die bevorstehende Schlacht sprachen, als seien sie im Begriff, ins Theater zu gehen, wobei sich in ihren Gesichtern nur Neugier und Vorfreude spiegelte. Nicht selten hatte er den Verdacht, dass sie alle Lügner waren.

      Doch dann verurteilte er sich selbst entschieden für diese Art von Gedanken. Bisweilen quälte er sich mit heftigen Selbstvorwürfen. Dann betrachtete er sich selbst als großen Sünder vor den Göttern des Althergebrachten.

      Sein banges Herz, das sich in Erwartung verzehrte, verzweifelte zusehends, was er der unerträglichen Langsamkeit der Generäle zuschrieb. Ihnen schien das Ausruhen am Flussufer zu gefallen und dabei ließen sie ihn unter der Bürde seiner großen Not zusammenbrechen. Er wollte es jetzt wissen. Diese Last konnte er nicht länger schleppen, fand er. Ein paar mal erreichte seine Wut auf die Kommandierenden einen solchen Grad, dass er im Lager herumlief und wie ein Altgedienter schimpfte.

      Eines Morgens jedoch fand er sich in den Reihen des angetretenen Regiments wieder. Flüsternd sprachen die Männer über ihre Vermutungen und die alten Gerüchte kamen neu auf. Im Dunkel der ersten Morgendämmerung schimmerten ihre Uniformen in dunklem Rot. Vom anderen Ufer blinzelten noch die glühenden Augen über den Fluss. Im Osten erschien ein gelber Fetzen am Himmel wie eine vor den Füßen der aufgehenden Sonne ausgelegte Fußmatte; und davor, wie ein schwarzer Schattenriss, die riesige Figur des Obersten auf seinem riesigen Pferd.

      Aus dem Dunkel klang das das Getrampel vieler Füße herüber. Manchmal konnte der Junge flüchtig schwarze Schatten wie Gespenster vorbeihuschen sehen. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, während das Regiment wartend dastand. Der Junge wurde ungeduldig. Es war nicht auszuhalten, wie das hier organisiert war. Er fragte sich, wie lange sie noch warten sollten.

      Während er sich umschaute und über das seltsame Licht nachdachte, beschlich ihn das Gefühl, dass die unheilvolle Ferne jeden Moment auflodern könnte und das Getöse der Schlacht über ihn hereinbrechen würde. Einmal, als er auf die roten Augen am anderen Ufer starrte, hatte er den Eindruck, dass sie größer wurden wie die feurigen Augen angreifender Drachen. Er drehte sich zum Oberst um, aber der hob seinen riesigen Arm und strich ruhig seinen Schnurrbart glatt.

      Endlich hörte er von der Strasse unterhalb des Hügels den Hufschlag eines galoppierenden Pferdes. Das musste die Ankunft der Befehle sein. Er beugte sich vor und vergaß fast das Atmen. Das erregende Hufgetrappel verschmolz mit seinem Herzschlag, als es lauter und lauter wurde. Schon zügelte ein Reiter, dessen Ausrüstung wild schepperte, sein Pferd direkt vor dem Befehlshaber des Regiments. Die beiden wechselten ein paar kurze, heftige Worte. Die Männer in den vorderen Reihen reckten die Hälse.

      Als der Reiter das Pferd wendete und davon galoppierte, blickte er über die Schulter zurück und rief: „Vergessen Sie die Kiste Zigarren nicht!“. Der Oberst grummelte eine Antwort. Der Junge fragte sich, was eine Kiste Zigarren mit dem Krieg zu tun hatte.

      Kurz darauf verschwand das Regiment nach und nach in der Dunkelheit.

      Es glich nun einem jener schlängelnden Monster, die sich auf zahllosen Füßen fortbewegen. Die Luft war dick und voll von kaltem Dunst. Das dichte, nasse Gras raschelte unter den marschierenden Siefeln wie Seide.

      Auf dem Rücken all dieser enormen Kriechtiere blitzte dann und wann das Gleißen und Glimmern von Stahl auf. Von der Straße hörte man Quietschen und Knarren, als ein paar sperrige Kanonen weggeschleppt wurden.

      Die Männer stolperten vorwärts. Immer noch murmelten sie miteinander über ihre Vermutungen. Es gab eine gedämpft geführte Diskussion. Einmal stürzte ein Mann, und als er nach seinem Gewehr greifen wollte, trat ihm ein Kamerad, der ihn nicht gesehen hatte, unglücklich auf die Hand. Der mit den verletzten Fingern verfluchte ihn laut und bitter. Ein kurzes, unterdrücktes Lachen ging durch die Reihen seiner Kameraden.

      Plötzlich erreichten sie einen breiten Weg und kamen nun mit lockeren Schritten voran. Vor ihnen bewegte sich der Schatten eines anderen Regiments und auch von hinten kam das Klappern der Ausrüstung auf dem Rücken marschierender Männer.

      Dort hinter ihnen wurde auch das Gelb des beginnenden Tages immer heller. Als die Sonnenstrahlen schließlich die Erde in ihr sanftes Licht hüllten, sah der Junge, dass zwei lange dünne schwarze Streifen die Landschaft durchzogen, die vor ihm auf dem Rücken eines Hügels verschwanden und sich hinter ihm im Wald verloren. Sie sahen aus wie zwei riesige Schlangen, die aus der nächtlichen Höhle krochen.

      Der Fluss war nicht zu sehen. Der lange Soldat konnte einen Lobgesang auf seinen vermeintlichen Durchblick nicht zurückhalten. Einige seiner Kameraden schrien laut, dass auch sie zu diesem Schluss gekommen waren, und sie waren genau so stolz. Aber es gab auch welche, die steif und fest behaupteten, dass der Plan des Langen gar nicht der Wahrheit entspräche und beharrten auf anderen Überlegungen. Diesmal war die Diskussion weniger zurückhaltend.

      Der Junge nahm nicht an ihr teil. Er war in seine ewige eigene Debatte vertieft, während er mühelos im Glied marschierte. Er konnte nicht vermeiden, sich damit zu beschäftigen. Bedrückt und missmutig warf er verstohlene Blicke nach allen Seiten. Von vorne erwartete er jeden Moment das Rattern des Feuers der Vorhut. Doch die endlosen Schlangen krochen langsam und ohne jeden Pulverdampf von Hügel zu Hügel. Eine fahlgelbe Staubwolke wehte nach rechts davon. Der Himmel über ihnen strahlte ungewöhnlich blau.

      Der Junge studierte die Gesichter seiner Begleiter, immer auf der Suche nach verwandten Gefühlen. Er wurde enttäuscht. Es lag eine Begeisterung in der Luft, die von den frohgemut marschierenden Veteranentrupps auf das ganze neue Regiment übergriff. Am liebsten hätten sie gesungen. Die Männer redeten vom Sieg, als seien sie nichts anderes gewöhnt. Sogar der lange Gefreite bekam seine Anerkennung. Offensichtlich waren sie dabei, einen Bogen zu schlagen, um dem Feind in den Rücken zu fallen. Lauthals wurde der Teil der Truppe bedauert, den sie am Flussufer zurückgelassen hatten; sich selbst dagegen, die sie Teil dieses explosiven Ereignisses sein durften, priesen sie glücklich.

      Den Jungen, der sich ausgeschlossen sah, machten die unbekümmerten und frohen Worte, die von Mund zu Mund eilten, nur immer trauriger. Die Witzbolde der Kompanien gaben ihr Bestes und das Regiment marschierte im Takt des Gelächters.

      Immer wieder brachte der streitlustige Soldat mit seinem beißenden Spott, der für den Langen bestimmt war, ganze Reihen aus dem Schritt.

      Viel fehlte nicht mehr, dass all die Männer ihr eigentliches Vorhaben vergessen zu haben schienen. Ganze Brigaden wieherten einstimmig und Regimenter schüttelten sich vor Lachen.

      Ein ziemlich fetter Soldat versuchte, ein draußen angebundenes Pferd mitgehen zu lassen. Er wollte ihm das Gepäck aufladen. Er war schon fast mit seiner Beute verschwunden, als ein junges Mädchen aus dem Haus raste und das Pferd bei seiner Mähne packte. Es gab ein Gerangel. Mit geröteten Wangen und blitzenden Augen hielt das Mädchen wie eine unbewegliche Statue stand.

      Das am Weg rastende Regiment, das alles beobachtet hatte, schrie auf wie ein Mann und war einhellig auf Seiten des Mädchens. So sehr waren die Männer mit dieser Geschichte beschäftigt, dass sie ihren eigenen langen Krieg nun vollständig vergessen hatten. Sie buhten den freibeuternden Gefreiten aus, weideten sich an all seinen Schönheitsfehlern und unterstützten mit wilder Begeisterung das Mädchen.

      Einer gab ihr von weit her den gut gemeinten Rat: „Gibs ihm mit nem Knüppel!“

      Als er sich dann ohne das Pferd zurückzog, hagelte es Schreie und Pfiffe. Das Regiment genoss seine Niederlage. Laut und überschwenglich wurden dem Mädchen gratuliert, das schnaubend dastand und die Truppe misstrauisch betrachtete.

      Am