Der Aufpasser. Reiner W. Netthöfel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reiner W. Netthöfel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737524216
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darf nämlich niemand wissen, wie er heißt. Zumindest ich nicht.“, erklärte er der tapfer lächelnden Frau. Als sie draußen in der Nachtluft standen, kündigte er an:

      „Morgen frage ich sie, ich glaube, ich bekomme sie rum.“ MW schüttelte den Kopf, hakte sich bei dem größeren Mann unter und dann marschierten sie, einer nicht unbedingt geraden Linie folgend, los.

      „Ist es noch weit? Wieso sind Sie nicht mit dem Auto gefahren, wenn es eine solche Strecke ist?“, fragte Browne nach einer Viertelstunde. Natürlich hätten sie in ein paar Minuten bei MW sein können, doch dieser wollte es seinem ungebetenen Gast nicht gar zu leicht machen.

      „Ich pflege nicht zu trinken, wenn ich fahre. Beziehungsweise umgekehrt.“ Hierüber hatte Browne eine Weile zu grübeln.

      Dann standen sie endlich vor ihrem Ziel.

      „Haben Sie irgendwelche Untiere auf dem Grundstück?“, wollte Browne wissen und zeigte auf den mannshohen Zaun, der das verklinkerte Einfamilienhaus umgab.

      „Sie werden gleich das einzige sein.“, antwortete MW und öffnete das Tor. Browne kicherte wieder. „Was ist das denn für ein ulkiges Auto?“ Er zeigte auf den hohen, schwarzen Kompaktwagen.

      „Es tut seine Dienste.“

      „James Bond fuhr, glaube ich, Maserati.“

      „Aston Martin. Außerdem bin ich nicht James Bond.“

      „Ich dachte.“, kicherte Browne.

      Mit den Worten „Ich bin besser“, schob MW seinen Gast ins Haus und geleitete ihn dann die Treppe hinauf. „Das ist das Gästezimmer. Schlafen Sie gut.“ Browne ließ sich auf das Bett fallen und war sofort eingeschlafen. MW ging noch einmal hinunter, nahm sich ein Bier und steckte sich eine Zigarette an, dann ging er wieder hoch in sein Arbeitszimmer, checkte sein Postfach, rief ein Programm auf, in dem er einige Einstellungen vornahm und begab sich ins Bett.

      Mit dem Schlafen wollte es bei ihm trotz des genossenen Alkohols jedoch nicht sofort klappen, und das lag an der potenziellen Mandantin.

      Normalerweise ließ er eine Nähe zu seinen Klienten nicht zu, und das fiel ihm, gerade wenn es sich um Politiker oder Leute aus der Wirtschaft handelte, nicht schwer. Eine persönliche Beziehung aufzubauen oder gar Gefühle zu entwickeln, hatte er bisher immer vermeiden können, und das hatte ihn keine Mühe gekostet. Nie.

      Das aber schien nun anders werden zu wollen, denn er hatte die Bilder gesehen. Bilder von dieser Frau. Und die hatten wie ein Eisbrecher gewirkt. Einen Eisbrecher aber konnte er überhaupt nicht gebrauchen, schon wegen seines Berufsethos‘ nicht. Er würde hart bleiben müssen. Hart wie das härteste Eis.

      Als der Morgen graute, musste MW sich erleichtern und stand deshalb auf. Im Erdgeschoss hörte er Geräusche. Leise schlich er die Treppe hinab und lugte ins Wohnzimmer, wo er Browne entdeckte, der sich an einer Schublade zu schaffen machte. Die Lade fuhr mit Macht zu, gerade, als der Amerikaner eine Hand hineinsteckte.

      „Aaaahh.“ Browne zog seine Finger aus der Lade, hielt sie hoch und sah sie sich mit schmerzverzerrtem Gesicht kopfschüttelnd an.

      „Ich habe Ihnen doch gesagt, sie sollen nicht schnüffeln, oder brauchten Sie noch ein verspätetes Betthupferl?“, ertönte MW hinter ihm und machte Licht. Browne sah MW entsetzt an.

      „Ich habe Kopfschmerztabletten gesucht. Wieso ist die Lade plötzlich zugegangen?“ So, wie Browne aussah, glaubte MW ihm die Geschichte mit den Tabletten sofort.

      „Kopfschmerztabletten alleine werden wohl nicht helfen.“, meinte er mit einem Blick auf die gequetschten Finger.

      Gegen Mittag erschien Browne im Esszimmer, als MW sich noch einmal die Akte ansah. Der Amerikaner sah ziemlich derangiert aus.

      „Wieso glaubten Sie im Wohnzimmer Tabletten zu finden?“, fragte MW statt einer Begrüßung.

      „Weiß nicht, ich habe die bei mir überall herumliegen.“

      „Wie geht es Ihren Fingerchen?“ Browne hielt ihm die geschwollenen Finger entgegen.

      „Was war das für ein Mechanismus?“ MW zuckte die Schultern.

      „Erzählen Sie mir von Blunt.“, forderte er den Amerikaner statt einer Antwort auf. Der überlegte kurz und meinte dann:

      „Ist ja auch egal. Ich will ehrlich sein, sie würden es ja ohnehin schnell merken. Sie ist ein Ekel. Sie ist laut, sie ist schrill, sie ist extravagant, sie redet zu viel, sie ist hyperaktiv, sie hat Vorurteile, sie ist beleidigend, sie ist launisch. Es ist schlimmer geworden, seit sie diesen Job nicht mehr ausübt.“ MW ließ die Akte sinken.

      „Also eine ganz liebenswerte Person.“, ironisierte er.

      „Sie hat auch ihre liebenswerten Seiten, ja.“ Überzeugt klang Browne nicht.

      „Sicher?“

      „Nein. Aber jeder Mensch hat doch liebenswerte Seiten, ist sensibel, nachdenklich, nett?“ MW zog die Augenbrauen hoch.

      „Okay, bei Blunt müssen wir das mal unterstellen.“, setzte Browne hinzu.

      „Ihre Ehrlichkeit ehrt Sie. Steht dieses letzte Opfer in einer Beziehung zu ihr? Ich meine, diese Misty Stone ist zwar in Texas umgebracht worden, ist aber auch in dieser Branche gewesen.“ Browne setzte sich.

      „Sie waren befreundet, ungefähr gleich alt. Die Nachricht von ihrem … Tod hat Blunt umgehauen. Über die Einbrüche ist sie scheinbar gelassen hinweggegangen, sie hat Witzchen gemacht, wissen Sie. Aber diese Geschichte … Sie hat ernsthaft in Erwägung gezogen, Hilfe anzunehmen.“ Was sollte das denn heißen? Die Dame schien etwas gaga.

      „Würde sie Hilfe überhaupt akzeptieren?“

      „Ich weiß es nicht. Sie liebt ihre Unabhängigkeit, wenn Sie verstehen.“ MW grinste.

      „Tot ist man natürlich am unabhängigsten. - Weiß sie von Ihren Plänen, ihr jemanden an die Seite zu stellen? Oder gar, bei ihr einziehen zu lassen?“ Browne wurde unruhig und sah zu Boden. „Bleiben Sie bei Ehrlichkeit.“, ermahnte MW.

      „Nein.“

      „Was, nein?“

      „Sie weiß es nicht.“ MW hob drohend den Zeigefinger.

      „Dann sorgen Sie dafür, dass sie es erfährt. Bereiten Sie sie vor. Ich habe keine Lust auf endlose Debatten mit der Dame, es wird ohnehin schwierig genug.“ Brownes Miene hellte sich auf.

      „Heißt das, Sie sagen zu?“

      „Wenn sie es akzeptiert, vielleicht. Reden Sie mit ihr. Und ich will es von ihr selbst erfahren. Sie soll mich anrufen.“ Browne sah nun so aus, als sollte er auf einem Alligator surfen.

      „Mal was anderes, Browne. Haben Sie das Kommunikationsverhalten der Dame untersucht?“

      „Wie meinen Sie das?“

      „Twitter, Facebook und so. Mit wem kommuniziert sie über was? Das gleiche gilt für diese Stone. Kann doch sein, dass der Täter sich vorher mit ihr in Verbindung gesetzt hat.“

      „Gute Idee; ich werde das mal veranlassen.“ MW lächelte überlegen.

      „Lassen Sie mal, ist schon erledigt.“ Diesmal zog Browne die Augenbrauen hoch.

      „Sie haben …?“ MW nickte.

      „Ich habe das mal analysieren lassen.“ Die Augenbrauen blieben oben.

      „Sie haben … lassen?“

      „Ich bin kein Einzelkämpfer. Außerdem kenne ich mich mit dieser elektronischen Kommunikation nicht aus.“

      „Sie haben einen Partner?“

      „Partnerin.“

      „Kann man die kennenlernen?“, fragte Browne interessiert. MW lachte.

      „Ich kenne sie selbst nicht.“