Der Aufpasser. Reiner W. Netthöfel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reiner W. Netthöfel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737524216
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stellte MW belustigt fest.

      „Ich glaube, ich sagte bereits, dass Sie sehr direkt sind.“, entgegnete Browne etwas beleidigt.

      „Sie wiederholen sich, ja. Liegt das am Alkohol?“, fragte MW irreführend.

      „So etwas kann schnell als Beleidigung aufgefasst werden.“, wurde MW genauso belehrt.

      „Wollen Sie mir Benehmen beibringen?“

      „Ich meine ja nur.“, ruderte der Schwarze zurück.

      „Behalten Sie Ihre Meinung für sich. – Also, was führt Sie zu mir?“ Browne sah sich um. Die Tische waren eher spärlich besetzt und standen weit auseinander, so dass zu dieser Art von Verhalten kein Anlass bestand, fand MW.

      „Sollen wir tatsächlich hier darüber reden?“, flüsterte der Ausländer verschwörerisch, hatte aber mindestens einen Nebengedanken.

      „Hätten Sie eine Alternative?“, fragte MW und dachte an mögliche Nebengedanken seines Gegenübers.

      „Nun, wir könnten doch zu Ihnen …“ MW’s Gesicht verzog sich, als durchzucke ihn ein heftiger Schmerz.

      „Browne! Ihren Südstaatenakzent versteht doch sowieso niemand hier.“ Obwohl der wie ein Fake klingt, dachte MW.

      „Aber Sie sprechen ein recht deutliches Englisch.“

      „Danke, dann werde ich wenig sagen oder flüstern.“

      „Ich weiß nicht …“ Browne wiegte seinen Kopf.

      „Sollen wir in Mandarin verhandeln?“, schlug MW vor. Browne sah ihn mit großen Augen an.

      „Sie können Mandarin?“

      „Das habe ich nicht gesagt. – Also, schießen Sie endlich los, bevor Sie nur noch lallen können.“

      „Vielleicht sollte ich einen Kaffee …“

      „Wenn Sie meinen, dass der hilft.“ MW ließ sich gegen die Lehne seines bequemen Stuhles fallen und musterte die Decke über sich. Browne bestellte einen Kaffee und zog eine rote Mappe aus seiner Reisetasche. Er legte die Mappe auf den Tisch, ohne sie zu öffnen und sah sein Gegenüber bedeutungsschwer an, als beinhalte die Mappe den Schlüssel zu ewigen Wahrheit. Er legte einen Zeigefinger auf sie, sagte aber nichts. MW sah sich das Ganze amüsiert an und fragte dann spottend:

      „Browne, haben Sie das Sprechen verlernt?“ Browne schüttelte sich und sah MW in die Augen.

      „Es geht um eine junge Frau. Fünfundzwanzig Jahre alt, wohnhaft in Miami, Florida. Das ist im Sü …“

      „Ich weiß, wo Florida ist.“, beschied ihn MW barsch.

      „Waren Sie schon einmal da?“, fragte Browne erstaunt.

      „Nein, aber ich weiß es trotzdem. Ich weiß zum Beispiel auch, dass es auf der Sonne heiß ist, ohne dort gewesen zu sein. Machen Sie weiter.“

      „Die Dame ist, äh, etwas schwierig.“

      „Dann suchen Sie sich einen Erzieher, für die Bändigung von schwierigen Kindern bin ich nicht zu haben.“

      „Sie ist kein Kind mehr.“, streute Browne eine von ihm geglaubte Wahrheit.

      „Eine schwierige Fünfundzwanzigjährige ist wie ein Kind.“, belehrte ihn MW.

      „Aha. Sie wuchs ohne Eltern auf und war recht flatterhaft. Hat geklaut, Gras geraucht, sich geprügelt. Beamtenbeleidigung und so weiter. War in allerlei Straßengangs. Kein unbeschriebenes Blatt also. Vorstrafen. Setzte sich mit achtzehn in den Kopf, Pornodarstellerin zu werden, was sie dann mit einundzwanzig auch wurde. Vorher war sie so eine Art Aktmodell. Hatte bereits mit vierzehn regelmäßigen Geschlechtsverkehr, mit stetig wechselnden Partnern. Na ja, so absurd sich das anhört, dieser Pornojob regelte ihr Leben. Sie musste früh raus, hatte Verpflichtungen, musste fit sein, musste auf ihre Gesundheit achten. Sie war so eine Art Shootingstar in dem Metier. Ihr Name ist Emmy Blunt.“ MW fiel eine Frage ein.

      „Geschlechtskrankheiten?“ Browne schüttelte den Kopf.

      „Erstaunlicherweise nicht. Kein HIV.“

      „Seit wann kümmert sich die US-Regierung um gefallene Mädchen? Ist das ein neues Sozialprogramm oder so etwas?“

      „Natürlich nicht. Der Onkel dieser Dame ist eine sehr hoch gestellte Persönlichkeit.“, erklärte Browne verschwörerisch mit gesenkter Stimme und fühlte sich von MW’s forschendem Blick durchleuchtet. MW legte einen Zeigefinger auf die Mappe.

      „Ist sie schwarz?“ Browne war irritiert. Sollte MW farbenblind sein? Dann wäre er eigentlich für den Job nicht geeignet.

      „Sie sehen, doch, dass sie rot ist.“ Jetzt war es an MW, irritiert zu sein.

      „Eine Indianerin?“, fragte er erstaunt.

      „Wer?“, wollte Browne verblüfft wissen.

      „Die Frau.“

      „Nein.“. meinte Browne bestimmt.

      „Sie sagten, sie sei rot.“

      „Ich meinte die Mappe.“

      „Verdammt, Browne! Welche Hautfarbe hat die Dame?“, jaulte MW und sah an die Decke.

      „Ich würde es ein mittleres Dunkelbraun nennen.“

      „So wie Sie?“

      „Ähnlich.“

      „Also schwarz. Ich muss mal.“ MW stand auf und verließ den Raum.

      Im Waschraum fingerte er sein Telefon aus der Tasche und gab eine Nummer ein, die nur er kannte. Nahm er jedenfalls an.

      „Ich bins. Kannst du schnell herausfinden, ob der US-Präsident eine etwa fünfundzwanzigjährige Nichte namens Emmy Blunt hat? Schick eine sms.“

      „Wie schnell?“, fragte seine Partnerin routiniert.

      „Sofort!“ MW beendete das Gespräch. Sie klingt irgendwie verschnupft, dachte er.

      „Na, geht’s Ihnen jetzt besser?“, grinste Browne und schlürfte seinen Kaffee. MW orderte Bier, nachdem er die Frage souverän ignoriert hatte.

      „Wie schmeckt Ihnen das Bier?“, wollte er von dem Amerikaner wissen.

      „Besser als der Kaffee.“, gab der zu, bereute das aber sofort.

      „Dann sollten wir bei Bier bleiben.“, schlug MW nämlich vor, das dann auch bald kam. MW’s Handy kündigte eine Mitteilung an, die er mit ausdruckslosem Gesicht las, dann sah er ebenso sein Gegenüber an. In solchen Momenten könnte er jedes Pokerspiel gewinnen.

      „Okay, Mr. Jackson Browne, was habe ich mit der gefallenen Nichte des US-Präsidenten zu tun?“ Browne verschluckte sich am Bier und rang nach Luft.

      „Welcher Präsident?“

      „Tun Sie nicht so. Ihr Präsident. Emmy Blunt ist seine Nichte, und um die geht es ja wohl.“

      „Woher …“ Browne wurde durch eine harsche Geste am Weiterfragen gehindert.

      „Lassen Sie es gut sein, Browne. Sie wissen, dass Informationsbeschaffung zu meinen Stärken gehört, wenn Sie meine Referenzen aufmerksam studiert haben.“

      Es brauchte eine Weile, bis sich Browne wieder beruhigt hatte, dann traf er die Feststellung: „Mrs. Blunt hat nicht nur Freunde.“ MW lehnte sich pustend zurück.

      „Ach was. Jemand, der Polizeibeamte beleidigt, an Kämpfen zwischen Straßengangs beteiligt ist, stiehlt und was sonst noch, hat nicht nur Freunde?“, höhnte er. Browne schüttelte den Kopf und wurde ernst.

      „Bei ihr ist eingebrochen worden. Zwei Mal. Auf jeden Fall hat sich jemand Zutritt zu ihrem Appartement verschafft. Keine Spuren. Beim ersten Mal hat der Täter zwei Silikonattrappen weiblicher Brüste hinterlassen. Sie waren zerhackt.