Geboren in Bozen. Heidi Siller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heidi Siller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844273823
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und wollte ein paar Daten aufnehmen. Unter anderem fragte sie mich, ob ich irgendwelche Allergien hätte. Ja, gegen Bienen, erwiderte ich. Das verstand die Schwester nicht. Meine Bettnachbarin übersetzte: „Api.“ Ich bedankte mich bei ihr. Die Schwester meinte, ich solle mich nun ausruhen.

      Michael fragte mich, ob er nachhause fahren oder bei mir bleiben sollte. Natürlich hatte ich Angst, alleine zu bleiben. Genauso wie ich Angst hatte, dass die Geburt jede Minute beginnen könnte. Aber er konnte nicht hier übernachten, auf einem Sessel neben mir sitzend. Wir küssten uns und mein Kuss sagte, bitte bleib, auch wenn es nicht geht, und sein Kuss sagte, ich würde so gerne, wenn ich könnte. Er stand auf und winkte mir nochmal zu. Dann hörte ich ihn draußen mit der Schwester sprechen. Sie versicherte ihm, dass das Baby heute Nacht nicht geboren werden würde.

      Meine Zimmerkollegin löschte das Licht. Bald hörte ich sie gleichmäßig atmen, sie war eingeschlafen. Ich hingegen konnte nicht schlafen. Ich hatte Angst, und in meinem Unterleib brannte es, als hätte ich eine Blasenentzündung. „Auch das noch“, stöhnte ich. Außerdem traute ich mich kaum, mich im Bett zu bewegen. Die Nacht dauerte lange, ich nickte immer wieder ein und war gleich darauf wieder hellwach. Jedes Mal ein neuer Schreck, mich im Krankenhaus zu befinden, in dieser Situation. Ich sah die Nacht als sie am finstersten war, dann kurz darauf die Morgenröte eines neuen Tages.

      Donnerstag, 20. September – SSW 24+6

      Am Morgen betrat die Schwester vom vergangenen Abend das Zimmer und fragte mich, wie es mir gehe. Ich sagte, es wäre okay, was hätte ich auch sonst antworten sollen. Körperlich fühlte ich mich in Ordnung, ich hatte keine Schmerzen. Eine andere Schwester brachte Frühstück. Allerdings drehte niemand das Licht auf. Meine Nachbarin hieß übrigens Frau Mohr und wurde in völliger Dunkelheit ans CTG-Gerät angeschlossen. Man hörte Rauschen und Klopfen. Die Schwester stellte fest, dass da „der Erste“ zu hören war, und gleich darauf „der Zweite“. Frau Mohr erwartete Zwillingsbuben. Es war schön, im Halbdunkeln die Herzschläge der beiden zu hören. Die Buben würden leben, denn, wie die Schwester betonte, war Frau Mohr seit diesem Tag in der 33. Schwangerschaftswoche. Die gefährlichste Zeit war vorbei. Ich aß meine Semmel, traute mich dabei aber kaum, mich aufrecht hinzusetzen.

      Der Morgen zog sich hin, ohne, dass viel passierte. Bei der Visite sagte die diensthabende Gynäkologin „brava“ zu Frau Mohr, weil sie schon so weit gekommen war. Bei mir wurde festgestellt, dass ich „ventiquattro e cinque“, also seit 24 Wochen und fünf Tage schwanger wäre. Das war nicht „brava“. Die Ärztin erklärte, dass mir weiterhin Wehen-Hemmer verabreicht werden würden. Nun wurde getestet, ob ich irgendeine Infektion hatte, welche die Wehen ausgelöst haben könnte. Außerdem würde ich vorbeugende Antibiotika-Infusionen bekommen. Dazu sollte ich dreimal täglich Magnesium einnehmen und musste weiterhin strengste Bettruhe einhalten, weshalb ich auch täglich eine Antibiotikaspritze erhalten würde. Im Moment wäre es am wichtigsten, meinen Zustand stabil zu halten. Frau Mohr neben mir hatte volles schwarzes Haar und trug heute Früh einen anderen Pyjama als gestern Abend. Sie wirkte sehr gepflegt und patent. Ich dagegen hatte immer noch mein Shirt von gestern an und eine Netzunterhose, die mir hier im Krankenhaus angezogen worden war. Ich fühlte mich erbärmlich und sah auch so aus. Einmal noch wandte sich die Ärztin mir zu und fragte, wie alt ich sei. Als ich antwortete, ich sei 31, meinte sie, ich sähe „piu giovane“, also viel jünger aus. Es war nett gemeint, kam mir aber wie ein Hohn vor.

      Nach der Visite kam Michael. Ich war so froh, ihn zu sehen und brach sofort in Tränen aus. Obwohl wir erleichtert waren, beieinander zu sein, wussten wir nicht viel zu reden. Es war alles entweder zu banal oder zu heikel, zu ungewiss oder zu schmerzhaft. Als das Mittagessen serviert wurde, war ich wieder nicht sicher, ob ich mich überhaupt aufsetzen durfte und so fütterte Michael mich im Liegen. Bei aller Verzweiflung hatte ich den besten Mann an meiner Seite.

      Freitag, 21. September – SSW 25+0

      Wieder hatte ich kaum geschlafen und das erste, was ich am Morgen tat, ja tun musste, war ausgiebig zu weinen. Ich ließ alles über mich ergehen, die neuen Infusionen, die Blutabnahmen und die Spritzen. Ich wählte ohne Leidenschaft und ohne die Karte überhaupt genau zu lesen eines von drei Mittags- und eines von drei Abendmenüs aus. Und das, obwohl das Essen vorzüglich war. Michael kam, ich weinte wieder. Dann beruhigte ich mich mehr oder weniger. Kurz darauf brach ich erneut in Tränen aus. Ganz selten kam ich zur Ruhe. Meistens, wenn unser Kind strampelte und wir beide unsere Hände auf meinen Bauch legten und für ein paar Momente glücklich waren, dass er lebte. Wobei es mir so absurd schien, wie gut es ihm ging, solange er im Bauch war und wie schlecht es ihm gehen würde, wenn er ihn verlassen musste.

      Einmal am Tag telefonierte ich mit meinen Eltern. Jedes dieser Telefonate verlangte mir alles ab. Ich musste positiv klingen, Sätze sagen, an die ich nicht glaubte, eine Zukunft erschaffen, die es möglicherweise nicht geben würde. Meine Mutter wollte nach Bozen kommen, aber das lehnte ich ab. Fünf Minuten ohne Blickkontakt konnte ich schauspielern, aber nicht von Angesicht zu Angesicht. Am Sonntag würden die Schwiegereltern auf Besuch kommen, das würde schwierig genug werden. Außerdem hatte ich Michael gegenüber ein schlechtes Gewissen, weil ich eine so schlechte Gesellschaft abgab. Dabei hätte er seinen Urlaub so dringend nötig gehabt. Aber die Situation war einfach nicht zu ändern, mein Handlungsspielraum gering.

      Es war nichts mehr von Bedeutung: das Wetter, obwohl die warme Luft in mein Zimmer dampfte und ich ahnte, wie fröhlich betriebsam die Menschen auf der Straße an so einem prachtvollen Herbsttag waren; die Weltpolitik und die kleinen Dinge, die ich hier erlebte, all das war gleichsam sinnentleert geworden. Etwa als die Seelsorgerin, eine warmherzige, bescheidene Frau, hereinkam und ich gerade auf der Schüssel saß. Als sie mit mir und Frau Mohr ein Vater-unser betete und ich immer noch auf der Schüssel war. Aber was sollte ich dazu auch sagen. War das Gotteslästerung? Ich denke nicht. Ich war Gott in diesen Tagen näher als all die vielen Jahre zuvor.

      Samstag, 22. September – SSW 25+1

      Ich habe heute nichts anderes gemacht, als dutzende Male das Plakat zu lesen, das auf der Wand gegenüber meinem Bett hing. Die wenigen informativen Worte über das Verbot der Handynutzung, die ich schon lange auswendig konnte. Die Monotonie machte mich wahnsinnig, der Zwang, diese Zeilen immer und immer wieder zu lesen, wie bei einem Fiebertraum.

      Dann habe ich an den Morgen im Mai gedacht, als der Schwangerschaftstest vor mir lag und ich keinen Strich entdecken konnte. Keinen einzigen. Nicht einmal den Kontrollstrich, der immer da war und da sein muss. Das lag daran, dass ich den Test vor Aufregung falsch herum vor mich hingelegt hatte. Es hing so viel davon ab, denn ich hatte mir, uns, versprochen, dass es der letzte Versuch sein würde. Zwei Jahre, in denen wir probiert hatten, Eltern zu werden, das war genug. Denn in diesen zwei Jahren versuchten wir nicht nur, Eltern zu werden, wir stritten uns lautstark und noch schlimmer, wir schwiegen uns an, einmal warf ich Michael vor Wut eine Kaffeeasse vor die Füße, woraufhin Michael auf dem Sofa schlief, und ich in meinen Polster weinte und ich die ganze Nacht hoffte, dass er doch noch ins Bett kommen würde. Natürlich versöhnen wir uns wieder. Aber das machte die Sache nicht ungeschehen.

      Manchmal hatte ich Michael am Nachmittag im Büro angerufen, dass er schnell nachhause kommen solle, denn ich hatte dieses Unterleibsziehen, das den Eisprung ankündigte. So etwas Absurdes passiert nicht nur in Filmen. Er fragte mich, ob ich wahnsinnig geworden sei. Und auf gewisse Weise war ich das auch. Mein Leben drehte sich um Kalenderdaten und Schleim, um den Mittelschmerz, Ovulationstests, um Timing. Nein, ich fand das nicht gut, aber ich konnte nichts dagegen tun. Ich fühlte mich wie einer dieser psychopathischen Killer, die immer beschreiben, dass da diese Stimme in ihrem Kopf wäre, die etwas befiehlt und sie selbst wären nur das Werkzeug.

      Wie auch immer, dieser Morgen war schicksalhaft gewesen, und ich war bereit, das Schicksal anzunehmen, egal wie es aussehen würde. Ich war sieben Tage überfällig und meine Brüste fühlten sich an, als wären sie mit schweren Steinen gefüllt. Aber das musste alles nichts heißen, zu oft hatten mir körperliche Symptome jeglicher Art einen Streich gespielt. Doch dann drehte ich den Test um, und plötzlich tauchte