In Cannes wohnten wir in einem kleinen, stilvollen Hotel, das wir durch Zufall im Vorbeifahren entdeckt hatten. An dessen Rezeption klebten Fotos von Richard Gere und George Clooney, auch wenn das wie ein Klischee klingt. Wir saßen auf unserem geräumigen Balkon und sahen aufs Meer hinaus, doch wir trugen eine Sehnsucht in uns, seit unserer Hochzeit in Las Vegas zwei Jahre zuvor, und wir schienen Geduld zu brauchen. Am Abend gingen wir in die nahe gelegene Bar, die von einem schwulen Paar betrieben wurde und tranken unsere Cocktails. Es war sehr gemütlich dort. Ein Hund kam vorbei, ich sprach aufmunternd auf ihn ein, er trottete er auf mich zu und legte mir seinen Kopf in den Schoß. Michael grinste. War das ein Zeichen? Am nächsten Morgen bekam ich auf der Zimmertoilette meine Periode und konnte nicht aufhören zu weinen. Am liebsten hätten wir aufgegeben, uns ein Kind zu wünschen, es tat unserer Beziehung nicht gut. Doch das funktionierte nicht.
Dienstag, 18. September – SSW 24+4
Von der Früh an regnete es heftig in Brixen, es war stark bewölkt, fast dunkel. Wir saßen den ganzen Tag über warm eingepackt und in Wolldecken gewickelt auf dem Balkon und lasen. Eigentlich hätte es sehr angenehm sein können, doch mir ging es nicht besonders gut. Ich fühlte mich dick, unbeweglich und aufgedunsen. Dazu wieder diese Melancholie, die ich mir nicht erklären konnte. Andauernd kamen diese undefinierbaren, trüben Gedanken. Außerdem war es zwischen meinen Beinen dauernd feucht. Das ist zwar in der Schwangerschaft nicht unbedingt ungewöhnlich, doch langsam machte ich mir Sorgen. Es war einfach zuviel. Ich konnte mich kaum richtig auf mein Buch konzentrieren.
Abends schüttete es wieder, ohne dass der Regen untertags richtig aufgehört hatte. Wir mussten aber einkaufen und fuhren mit dem Auto zum nächsten Supermarkt. Ich hatte schon wieder das Gefühl, mein Slip wäre völlig durchnässt, obwohl wir nur ein paar Schritte gegangen waren. Ich wurde so nervös, dass ich vergaß, was wir eigentlich zu besorgen hatten. Ich ging zur Toilette. Mein Slip war tatsächlich voller Schleim, aber dieser war gottseidank klar und durchsichtig.
Als ich zurückkam, sah ich aus dem Fenster und mir schien es, als würden die schwarzen Regenwolken drohend über Brixen hängen. Über mir.
Mittwoch, 19. September – SSW 24+5
Die Sonne war zurück, sie schien von der Früh an, und stundenweise herrschte wieder Hochsommer. Wir fuhren nach Elzenbaum, wo Michaels Großeltern mütterlicherseits gewohnt hatten und gingen spazieren. Auf den Wiesen waren jede Menge Traktoren unterwegs, die Bauern wollten offenbar das gute Wetter nützen. Obwohl es angenehm war, ihnen zuzuhören, und das Gras herrlich duftete, fühlte ich mich einmal mehr unruhig und besorgt. Mein Bauch war schwer, jeder Schritt strengte mich an, und die Feuchtigkeit zwischen den Beinen machte mir nach wie vor Sorgen. Wir sahen uns den alten Stadel von Michaels Großvater an, der immer noch existierte. Dann stiegen wir wieder ins Auto und wollten eigentlich übers Penser Joch fahren, doch schon nach wenigen Minuten drängte ich zur Umkehr. Ich konnte mir keinen Platz der Welt vorstellen, an dem ich mich in diesem Moment sicher und zufrieden fühlen würde. Wir machten ein schnelles Erinnerungsfoto mit dem Rosskopf im Hintergrund. Ich war an diesem überaus hellen Tag ganz in schwarz gekleidet.
Zuhause bereiteten wir eine Sauce Bolognese zu, rösteten Zwiebel und brieten Faschiertes an. Von der Pasta aß ich drei Teller und fühlte mich anschließend immer noch hungrig, gleichzeitig aber auch gefräßig und aufgebläht. Ich musste mich hinlegen und eine halbe Stunde ausruhen. Es gelang mir tatsächlich, einzuschlafen. Als ich aufwachte wusste ich sofort, dass etwas definitiv nicht in Ordnung war. Es war Monate her, seit ich meine Menstruation zum letzten Mal bekommen hatte, aber ich kannte das Gefühl, wenn sie sich ankündigte, nur zu gut. Und genau dieses Gefühl hatte ich in diesem Moment. Und es passte nicht hierher. Ich blieb mit geschlossenen Augen auf dem Sofa liegen. Solange ich meinen Zustand nicht veränderte, würde nichts passieren. Solange ich die Augen nicht öffnete, war alles in Ordnung. Eine Minute. Fünf Minuten. Irgendwann musste ich aber aufstehen und weiterleben. Vielleicht war auch alles in Ordnung. Schnell zur Toilette gehen und nachsehen. Dann aufatmen, über meine Unsicherheit, meine zwanghaft besorgten Gedanken lächeln. Im Vorbeigehen küsste ich Michael auf die Wange. Was sollte denn nicht stimmen, wir waren im Urlaub, die Sonne schien und wir erwarteten ein Baby.
Ich ging auf die Toilette. Es war gar nichts. Ich atmete auf. Na eben. Mit mir selbst nachsichtig schüttelte ich den Kopf. Langsam übertrieb ich es offenbar wirklich mit meiner Ängstlichkeit. Nachdem ich fertig war, warf ich einen Blick auf das benutzte Toilettenpapier. Und da war es plötzlich, wie befürchtet, wie der Anfang des schlimmsten Albtraums, den man sich vorstellen konnte: ein dunkelbrauner Fleck. Altes Blut. Besser als frisches Blut, das hellrot wäre. Aber es war und blieb Blut, und Blut, das aus der Vagina kommt, hat in einer normalen Schwangerschaft nichts verloren. Gut, es mochte in ein paar Prozent der Fälle beinahe nichts bedeuten, etwas Überanstrengung oder eine geplatzte Ader, aber davon ging ich nicht aus. Ich hatte doch bereits die ganze Zeit gefühlt, dass etwas hier ganz und gar nicht stimmte.
Wie gelähmt sah ich mich im Spiegel an. Ich sah mein erschrockenes Gesicht und erkannte mich kaum wieder, diese Augen waren mir ganz fremd. Und ich wusste: nun würde sich mein Leben verändern, wie es das noch nie getan hatte. Und ich war machtlos, hilflos, verzweifelt. Dennoch blieb ich noch einige Momente hier, auf der Toilette, und klammerte mich am Waschbecken fest. Solange ich hier ausharrte, neben der feuchten, duftenden Wäsche, in böser Vorahnung, aber doch für mich alleine, konnte Michael draußen an seinem Laptop sitzen und musste noch nicht zu leiden beginnen, er konnte die milde Spätsommersonne genießen, die sein Gesicht wärmte. Er dachte nicht an mich oder das Baby, und das war gut so. Jede Sekunde mehr war jetzt kostbar.
Irgendwann verließ ich die Toilette. Wie ich den Mut dazu gefunden habe, weiß ich selbst nicht mehr. „Wir müssen ins Krankenhaus“, sagte ich ohne Umschweife zu Michael, der erschrak. Natürlich. Er fragte mich, was los sei. Ich sagte ihm, dass ich ein wenig blutete. Er fragte, was das bedeuten konnte. Ich entgegnete, dass ich das nicht wisse, dass wir es unbedingt abklären müssten, sofort. Er nickte, klappte den Laptop zu und holte seine Schuhe. Er wirkte gefasst, ich hatte nichts anderes erwartet. Michael war ein besonnener Denker, er brach nicht immer sofort in Panik aus wie ich. Er dachte auch immer positiv. Ich wühlte in meiner Reisetasche. Ich brauchte ein neues Oberteil. Es war noch wärmer geworden. Ich wählte ein cremefarbenes Shirt, dass ich erst einige Tage zuvor gekauft und noch nie getragen hatte. Als ich es aus der Tasche nahm, hasste ich es sofort, ich hasste es unglaublich, weil es das Shirt war, in dem ich ins Krankenhaus fahren würde, weil ich blutete, während meiner Schwangerschaft. Ich hasste die schwarze lange Hose, die an mir klebte. Ich hasste die Haut, in der ich steckte.
Auf dem Weg zum Auto machte ich klitzekleine Schritte. Ich wusste ja nicht, ob ich überhaupt noch gehen sollte. Zum Krankenhaus Brixen war es nicht weit, vielleicht fünf Minuten. Ich glaubte zu wissen, dass etwas Furchtbares auf mich zukommen würde, aber ich wusste nicht, auf welche Weise furchtbar es sein würde. Im Krankenhaus angekommen, regelte Michael die Formalitäten, er meldete mich mit Blutungen an. Ich stand nur daneben. Wie steht eine Frau da, wenn sie während ihrer Schwangerschaft blutet?
Wir wurden zur gynäkologischen Ambulanz geschickt, wo wir warten mussten. Ich versuchte, die Fassung zu bewahren. Eigentlich musste ich wieder zur Toilette, aber ich traute mich nicht. Ich hatte Angst vor neuem Blut. Endlich holte mich eine Schwester ab. Ich musste auf die Waage steigen und ein paar Fragen beantworten. Sie war freundlich und wirkte nicht sehr besorgt. Dann wurde ich zum Doktor gerufen, einem freundlichen, älteren Herrn, weißhaarig und gelassen. Ich schilderte ihm kurz die Situation. Er fragte mich, ob ich es in den letzten Tagen „streng“ gehabt hatte. Ich musste kurz nachdenken, um zu verstehen, was er meinte, verneinte aber dann. Nein, ich hatte mich nicht angestrengt.
Im Nebenraum durfte ich mich umziehen. Gottseidank kein neues Blut in der Hose. Der Kleine trat mich wie