Geboren in Bozen. Heidi Siller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heidi Siller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844273823
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25. November – SSW 34+2 – Tag 61.

       Montag, 26. November - SSW 34+3 – Tag 62.

       Dienstag, 27. November – SSW 34+4 – Tag 63.

       Donnerstag, 29. November – SSW 34+6 – Tag 65.

       Samstag, 1. Dezember – SSW 35+1 – Tag 67.

       Sonntag, 2. Dezember – SSW 35+2 – Tag 68.

       EPILOG..

       Donnerstag, 14. Juli – Tag 1388.

       Hinweise und Dank.

      Samstag, 15. September – Schwangerschaftswoche 24+1

      Eigentlich hatten wir das alles ganz anders geplant. Wir wollten nämlich auf den Tag genau heute auf dem Flughafen JFK in New York City landen. Doch dann kam mein Bauch dazwischen. Deshalb hatten wir umdisponiert und kurzerhand beschlossen, unseren letzten Urlaub zu zweit in Südtirol zu verbringen, dort, wo Michaels Eltern aufgewachsen sind, die auch heute noch eine Wohnung in Brixen besitzen. Es sollte ein ruhiger Urlaub werden, aber diese Fahrt, so routiniert wir darin eigentlich sein sollten, gestaltete sich sehr turbulent. Wer rechnet damit, dass irgendwo im westlichen Niederösterreich plötzlich ein Kleinlastwagen die Mittelleitschiene touchiert, beinahe umkippt, schlingert und sich im letzten Moment auf den Pannenstreifen retten kann? Wer rechnet damit, dass ein paar Kilometer weiter ein Warnlicht auf dem Armaturenbrett des eigenen Autos aufleuchtet? Und wer rechnet damit, kurze Zeit später, als dieses Warnlicht sich als falscher Alarm entpuppt hat, bestohlen zu werden?

      Ich war schon ziemlich erschöpft, als wir bei der Raststation Lindach parkten, um eine Kleinigkeit zu essen und etwas zur Ruhe zu kommen. Wir wählten einen Tisch am Fenster, und am Ende der Mahlzeit war meine Tasche weg. Ich konnte es nicht fassen: zum ersten Mal in meinem Leben war ich bestohlen worden, dafür aber richtig. Alles war weg: mein Geld, meine Bankomatkarte, meine Kreditkarte, die Ausweise, das Handy, meine Schüssel und noch dazu mein Mutter-Kind-Pass mit den Ultraschallfotos. Wer bestiehlt eine Schwangere? Und wie war das überhaupt möglich? Kurz zuvor war der Geschäftsführer noch bei unserem Tisch gestanden und hatte uns gefragt, ob wir zufrieden seien. Er hätte den Dieb doch sehen müssen. Wir riefen die Polizei. Zwei Damen, die an uns vorbeigingen, schüttelten ihre Köpfe, „…und das in ihrem Zustand“, murmelten sie.

      Die Polizisten waren sehr freundlich und nahmen meine Personalien auf. Danach sahen sie in jedem Mülleimer auf der Raststation nach, ob die Diebe die Tasche vielleicht gleich entsorgt hatten, was sie angeblich oft tun. Als das nicht der Fall war, fuhren wir auf dem Weg zum Kommissariat noch bei einem anderen Parkplatz vorbei. In einem dieser Eimer fand sich tatsächlich meine Tasche, und es war alles noch da, außer meinem Handy und fünf Euro Bargeld, die ich bei mir gehabt hatte. Unser noch namenloser Sohn begann wie wild zu strampeln und drückte seine Füße gegen meine Bauchdecke. Vermutlich spürte er meine Aufregung. Michael konnte das Baby auf der Polizeidienststelle erstmals mit seiner Hand von außen fühlen, endlich etwas Positives an diesem chaotischen Tag.

      Nachdem wir das Protokoll erledigt hatten, konnten wir unsere Fahrt endlich fortsetzen, obwohl ich den Impuls verspürte, einfach wieder zurück nach Wien zu fahren. Irgendwie hatte ich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Aber ich verwarf den Gedanken wieder. Draußen hatte sich das Licht mittlerweile verändert, es war bereits vier Uhr Nachmittag. Wir fuhren über das so genannte große deutsche Eck. Auf der Inntalautobahn bekam ich ziehende Schmerzen ganz unten im Rücken. Ich rutschte auf meinem Sitz hin und her, um eine möglichst günstige Position zu erlangen. Erst als wir die Grenze zu Italien passiert hatten, verschwanden die Schmerzen wieder und ich entspannte mich. Eine Stunde später kamen wir in Brixen an. Ich fiel erledigt ins Bett und schlief sofort ein.

      Sonntag, 16. September – SSW 24+2

      Nachdem wir den Tag ruhig begonnen hatten und die Fahrt wieder und wieder Revue passieren ließen, fuhren wir am Nachmittag nach Ratschings, um den Friedhof zu besuchen, auf dem Michaels Großeltern begraben liegen. Er hat mir oft erzählt, dass er seine Großeltern nicht gut gekannt hatte. Michael war in Wien aufgewachsen, und sie lebten hier in einem versteckten Winkel des Ridnauntals. Es gab so viele andere Enkelkinder, die um die Ecke wohnten, um die Geheimnisse des Hauses Bescheid wussten und ihr Spielzeug im Haus verteilt hatten. Wenn Michael und sein Bruder dann doch einmal zu Gast waren, war es ringsherum laut und lebendig und die Großmutter stellte einen Topf Spaghetti auf den Tisch, von dem sich alle bedienten. Da ich selbst eine böhmische Großmutter hatte, erschien es mir bizarr, dass eine andere Großmutter Pasta kochte und nicht Geselchtes, Powidltascherl oder Saftfleisch. Als meiner Großeltern einziges Enkelkind fiel es mir zudem schwer, mir vorzustellen, mit so vielen anderen Kindern um die Gunst der Großeltern konkurrieren zu müssen.

      Der Himmel über Ratschings war von einem so intensiven Blau, wie es nur im September leuchtet. Die Luft war erfrischender als in Brixen. Das ist immer so. Ratschings ist alpin, Brixen bereits mediterran. Auch in der Lebensart. Wir betraten die Kirche, bekreuzigten uns, sahen uns um. Vorne beim Altar waren Dutzende von Todesanzeigen aufgehängt. Ich ließ mir viel Zeit, sie zu lesen. Es ist erschreckend, wie viele Menschen schon in jungen Jahren sterben, durch Krankheit oder Unfälle einfach so aus dem Leben gerissen werden. Es war traurig zu sehen, dass oft die eigenen Eltern die Todesanzeigen unterzeichnen mussten. „Es ist das Schlimmste“, hat meine Großmutter einmal gesagt, „wenn die Kinder vor einem selbst sterben.“ Wenn man schwanger ist, beschäftigt man sich plötzlich mit der Endlichkeit, und diese Gedanken machen einen unruhig.

      Später fuhren wir nach Sterzing und bummelten durch die Innenstadt. Mir fielen die vielen Schwangeren auf, die jungen Mütter mit den Kinderwägen oder Tragetüchern, in denen kleine Babys ihre Nickerchen hielten. Die Väter, die ihre Kleinkinder auf den Schultern sitzen ließen, und die johlenden Buben und Mädchen, die ihre ersten Schritte an der Hand machen. Wahrscheinlich nahmen diese jungen Eltern meinen dicken Bauch wahr und dachten wohl: „Du hast überhaupt keine Ahnung, was auf dich zukommt.“ Ich war wirklich so naiv, niemals an den Schlafmangel und an das Babygeschrei zu denken. Aber ich fühlte viel Verantwortung für mein Ungeborenes. Die beginnende Mutterschaft schien mich besonders verletzlich und sensibel zu machen, ich fragte mich, ob das für immer so bleiben würde.

      Montag, 17. September – SSW 24+3

      Wir haben uns entschieden, Klausen zu besuchen, einen Ort, den ich bisher nur von der Durchfahrt kannte. Klausen liegt etwas südlich von Brixen und ist eine mittelalterlich anmutende Stadt, in der Albrecht Dürer auf seiner Italienreise Station machte und die er auch in Studien festhielt. Am frühen Nachmittag waren wir die einzigen Gäste. Michael probierte in einem kleinen Outdoorshop eine Fleecejacke an. Dann fotografierten wir uns gegenseitig an einem Brunnen und sahen uns die Fotos auf dem Display an. Ich sah sehr unförmig aus, mein Bauch war auf eine beunruhigende Art und Weise gewaltig. Ich fand, dass ich schon einmal schöner schwanger gewesen war. Danach spazierten wir den Fluss entlang. Wir begegneten auch hier niemandem. Wir führten ein oberflächliches Gespräch. Traurig waren wir nicht, aber auch nicht richtig heiter, vielleicht lag es an der Jahreszeit, dass wir so sehr mit uns selbst beschäftigt waren. Und sicher auch an meinem Zustand. Nachdem ich beinahe zwei Jahre frustriert gewesen war, war ich nun seit sechs Monaten glücklich, aber auch grüblerisch.

      Am späteren Nachmittag ging es nach Meran. Dort herrschte sehr viel Trubel. Wir bekamen noch den allerletzten Platz auf einem zentrumsnahen Parkplatz. In Meran wurde gerade