Die zarte Fee und die Garage. Jörn Kolder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörn Kolder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844276206
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war er auch den Rentnern entkommen, die den Supermarkt vorzugsweise am Freitagnachmittag, wenn die sogenannten Berufstätigen einkaufen gingen, in Massen bevölkerten. Wenn sie ihn nur bevölkern würden wäre das okay, aber sie hatten die Angewohnheit in Trauben herumzustehen und zu kommunizieren. Auch dagegen war nichts einzuwenden; wenn diese Veranstaltungen in einer Ecke stattfanden wo man beispielsweise Kuchenglasur kaufen konnte ging das völlig in Ordnung, aber die rüstigen und austauschfreudigen Senioren führten ihre Gespräche vorzugsweise dort, wo die Hauptverkehrswege verliefen. Klar, man konnte schlecht Hinweisschilder aufhängen wie „Rentner, haltet die Gänge frei“, „Rentner, zum Quatschen in die Ecken“ oder „Rentner, geht gefälligst vormittags einkaufen“. Das wäre so, als würde man den gesprächswilligen Ruheständlern ein farbiges Warnschild ankleben (über diesen Gedanken erschrak der Mann, political correctness sah in Deutschland sicher ganz anders aus).

      Jedenfalls brachten ihm diese Beobachtungen die Erkenntnis, dass die Marketingleute der Märkte wahrscheinlich vor der Platzierung der Waren Peergroups (durch gleiche Interessen verbundene Personengruppen) von Rentnern in die noch leeren Hallen schickten, die dort nicht das peer learning oder ähnliches praktizierten, sondern das peer standing about and talking (auf diesen Begriff war der Mann stolz. Herumstehen und quatschen als gemeinsame Interessenlage). Man würde diese peergroups noch nach Alter und Mobilität (und damit auch nach dem Grad der Ersatzteilversorgung mit künstlichen Knien, Hüftgelenken und ähnlichem) staffeln und per Videoüberwachung feststellen, wo sich die Oldtimer vorzugsweise zum Gedankenaustausch versammelten. Bei einer entsprechenden Anzahl von Versuchspersonen konnte man danach mühelos die Hauptverkehrswege ermitteln, nämlich dort, wo sich die entspannten Pensionäre zum Disput trafen. Und genau dorthin würden diese Marketingärsche die Waren platzieren, die am meisten nachgefragt wurden.

      So etwas gab es in Frankreich kaum (diese Ansammlungen von Rentnern), dafür waren die Kassenbereiche der Ort der Kommunikation (zwischen Kassierern und Käufern, oder zwischen mehreren Käufern) und der Entschleunigung. Hier wagte der Mann gleich gar nicht Eier zu kaufen, zu den bereits erwähnten Gefährdungen käme noch dazu, dass er Ausländer war und da er absolut nicht auffallen wollte behielt er auch die Ruhe, wenn es an der Kasse wieder einmal etwas länger dauerte, was hier der Regelfall war. Im Gegensatz zu den gehetzten deutschen Konsumenten, die ihre Waren hektisch auf das Transportband warfen und dann im Akkord in den Einkaufwagen luden (weil wieder einmal ein Rentner hinter ihnen drängelte), gingen die Einheimischen hier wesentlich ruhiger zu Werke. Man beobachtete zunächst eine Weile interessiert das Tun der Kassierer. Nachdem das Transportband schon etliche Produkte in Richtung Einkaufwagen bewegt hatte schien bei den Käufern die Erkenntnis zu reifen, dass diese eigentlich noch in den Wagen zu transportieren waren. Mit wohl abgewogenen Handgriffen erfolgte ein vorsichtiges Einsortieren denn in Frankreich schienen die Verpackungen weniger solide als in Deutschland zu sein (was aber nicht stimmte). Manchmal entspann sich noch ein Disput zwischen den gemeinsam einkaufenden Männern und Frauen, so dass der Warenstrom in den Einkaufswagen mehr oder weniger lange unterbrochen wurde, also der technologische Prozess des Einkaufens gänzlich zum Erliegen kam. Das focht indessen niemand sonderlich an, man schaute sich entweder an was an der Kasse gerade passierte, unterhielt sich, oder vertrieb sich die Zeit nach Gusto.

      Der nächste Akt sollte sich ebenso aufwendig wie die vorherigen gestalten: das Bezahlen. Wie der Mann registrierte gab es drei Arten seinen Einkaufsbetrag zu begleichen: die Barzahlung, die Kartenzahlung und die Scheckzahlung (jetzt fühlte er sich wie ein BWL-Student im Auslandspraktikum). Verständlicherweise war die Barzahlung die Einfachste, nur: plötzlich schienen Portemonnaies vakant zu sein, die sich nach bedächtiger Suche doch noch anfanden und auch das Einsortieren des Wechselgeldes brauchte Gewissenhaftigkeit. Wer die Karte benutzte trat an das Lesegerät, man war relativ schnell fertig. Aufwendiger gestaltete sich die Zahlung per Scheck. Dieser musste von dem Konsumenten aus dem entsprechenden Heft herausgetrennt werden, der Kassierer schob ihn in ein Gerät in welchem er beschriftet wurde, dann ging er an seinen Besitzer zurück.

      Jetzt stellte sich heraus, zu welcher Gruppe der Käufer zählte: die Vertrauensseeligen, die Misstrauischen, die Krümelkacker. Die Vertrauensseeligen unterschrieben nach einem kurzen Blick auf den Rechnungsbetrag (Technikgläubige, die Maschine würde schon keinen Fehler machen). Die Misstrauischen unterzogen den beschrifteten Scheck einer gründlichen Kontrolle (auch eine Maschine konnte Fehler machen) und die Krümelkacker überschlugen die Summe der Einzelposten auf dem Kassenzettel, verglichen mit dem Scheckbetrag und trugen sowohl das Datum als auch den Betrag säuberlich an dem im Scheckheft verbliebenen Falz ein (Technik kann man nicht trauen, siehe Fukushima). Im Einzelfall, je nach Füllstand des Einkaufswagens und der Einordnung des Käufers in eine Gruppe, konnte die Abfertigung eines Kunden an der Kasse schon bis zu zehn Minuten betragen und der Mann zog vor den geduldigen Franzosen den Hut, denn keiner brüllte rum, dass er schon eine viertel Stunde rumstehen musste und verlangte nach dem Geschäftsführer oder ähnliches. Nein, diese Leute waren die Ruhe selbst und wenn sie sich mit einem freundlichen Wort lächelnd vom Kassierer verabschiedeten war es so, als würden sie einem guten Freund auf Wiedersehen sagen und sich schon auf die nächste Begegnung freuen.

      Die Frau hatte alles vorbereitet: das Zelt war verspannt, alle Sachen eingeräumt, Tisch und Stühle aufgebaut und der Mann sank auf einen von ihnen, nachdem er sich ein kaltes Bier aus der Kühlbox genommen hatte. Da er einen Aschenbecher benötigte war er gezwungen (so sein Argument der Frau gegenüber) das erste Bier recht schnell auszutrinken. Er war froh, dass er ein „Bavaria“ erwischt hatte (mit nur 8 auf der Dose), das Maximator hätte ihn heute vom Stuhl geblasen aber auch dieses hier zeigte Wirkung, er fühlte sich entspannt und da sie nun endgültig angekommen waren schien ihm auch die schnelle Folge der Biere angemessen.

      „Ach ist das schön, endlich gelandet zu sein“ sagte er zu der Frau, die an einem Rotwein nippte.

      „Siehst du, und du wolltest nach Hause fahren, man kann nicht so schnell aufgeben, hab ich dir doch gleich gesagt.“

      Unter anderen Umständen wäre er in die Luft gegangen, aber heute überwog Erleichterung und er antwortete nur:

      „Hätte ich auch gemacht, wenn es wieder nicht geklappt hätte“ und um das Thema zu wechseln sagte er „ich geh‘ noch mal pullern und dann mach‘ ich Salat.“

      Jetzt kam Spannung auf: der Zustand der Toiletten und der Waschräume wäre auch ein Faktor, der die Dauer ihres Aufenthaltes beeinflussen würde. Im vorigen Jahr hatte er skurrile Dinge auf den Zeltplätzen gesehen: ein Pissbecken, an dem man frei im Raum stehend die Waschtische hinter sich hatte an denen natürlich auch Frauen zugange waren, außen an den Sanitäranlagen montierte ebenfalls freistehende Becken, die den Blicken ausgesetzt waren. Das war für ihn kein Problem gewesen, in dieser Beziehung (was das Schiffen anging) war er vollkommen schmerzfrei. Er schiffte im Bedarfsfall auch an Orten, die eigentlich nicht dafür vorgesehen waren. In Italien war der Blasendruck einmal so groß gewesen, dass er in einer Stadt in ein Ruinengrundstück flüchtete, das zusätzlich mit Müll jeglicher Art dekoriert war und bei dem die paar Tropfen Pisse auch nichts mehr an der Umweltbilanz änderten, trotzdem trug ihm die Aktion mahnende Worte der Frau ein. Obwohl er leidenschaftlich gern Bier trank unterließ er das wenn sie Städtchen Kucken gingen, er wollte nicht riskieren, mit krampfhaft gesetzten Schritten und gehetzt umherblickend nach einer Möglichkeit zu suchen, sich zu erleichtern. Selbstredend könnte er in ein Restaurant gehen aber dann würde ihn der Kellner ansprechen was sein Begehr wäre und das sollte ihn zwingen, wenigstens etwas zu trinken, was das Problem noch weiter verschärfen würde.

      Die Frau hatte schon immer Unverständnis darüber geäußert wie schnell die Männer dabei waren ihren Schlauch auszupacken und an den unmöglichsten Orten für Erleichterung zu sorgen. In einigen Fällen musste der Mann ihr Recht geben: der Schiffer, der sich auf dem Autobahnrastplatz neben die Container für Glas und Papier stellte und loslegte (und ewig brauchte) hätte durchaus ein paar Schritte weiter im Gebüsch verschwinden und so ungesehen das Wasser abschlagen können.

      Oder derjenige, den sie vom Freibad aus sahen: der schiffte mit der Zigarette in der Hand (eine erstaunliche Koordinierungsleistung, was wäre,