Die zarte Fee und die Garage. Jörn Kolder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörn Kolder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844276206
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die er von zu Hause kannte aber hier war alles authentisch, nichts gekünstelt.

      In einer Beziehung allerdings kam ihm die Verhaltensweise der Franzosen bekannt vor: sie muddelten wie die Sachsen rum, gingen also verschiedenen Tätigkeiten, die nicht so bedeutsam waren, relativ entspannt nach. Aus dem vorigen Jahr wusste er schon, dass die Franzosen auf eine makellos verputzte Hausfassade wenig Wert legten. Die teils abenteuerliche Verkabelung kam ihm russisch vor (ja, die Russen waren auch nicht gerade diejenigen, denen ein schönes Stadtbild besonders am Herzen lag) und alles erschien trotz der sengenden Sonne etwas düster, eine alte Stadt eben, aus deren Poren die Geschichte und viele Geschichten tropften. Auf dem zentralen Platz fanden sie ein Restaurant (eines von vielen dort) und der Mann entschied sich diesmal auch für einen Rosè, das Lammfilet war gut gewürzt und schmackhaft, der Junge verputzte eine riesige Pizza in Windeseile, die Frau eine andere langsamer.

      „Was machen wir morgen“ fragte er die Frau, denn seine Energie und der Elan, mit der er seine Hypothese den Tag über getestet hatte, waren jetzt verflogen.

      „Wir fahren nach Grasse“ war die Antwort „das ist die Hauptstadt des Parfüms. Wir müssen noch überlegen, ob wir nicht gleich eine Nacht länger hier bleiben.“

      „Oh ja“ rief der Junge aus, der von der Kutscherei auch die Nase voll hatte (außerdem gab es im Zimmer ja einen Fernseher).

      „Einverstanden“ äußerte der Mann seine Zustimmung, das war okay so, ein Ausflug, danach bisschen verschnaufen und übermorgen dann ein neuer Anlauf bei der Quartiersuche. Als sie das „Studie-Hotel“ wieder erreichten ging ein Wolkenbruch nieder, die Frau sagte:

      „Gott sei Dank sind wir hier, stellt euch vor, wir müssten ein nasses Zelt abbauen, das ist immer blöd.“

      Sie schauten noch ein bisschen in die Glotze (der Junge zerschoss sich, dass Harry Potter im Französischen zu Arry Pottär wurde). Zum Reden hatten sie keinen Elan mehr und bald ging das Licht in ihrem Zimmer aus. Der Mann quetschte sich in das an der Tür liegende Bett, da diese nicht passgenau eingesetzt war hörte er die nah vorbeifahrenden Autos deutlich aber innerhalb von zehn Minuten war er eingeschlafen.

      Morgens brauchte er unbedingt etwas zu essen. So wie andere, die ohne Frühstück aus dem Haus gingen, konnte er den Tag nicht beginnen. In der Rezeption war ein kleines Buffet aufgebaut, Brötchen, Butter, Marmelade, etwas Wurst und guter Kaffee. Der junge Mann hinter dem Tresen sah aus, als hätte er die Nacht hindurch gesoffen, ungewaschen war er auch und ein tiefer Bartschatten unterstrich seine momentane noch schlechte Tagesform. Mit ihnen saßen noch zwei Typen in dem Raum. Da dem Mann früh Marmelade ausreichte kam er auf seine Kosten und der Kaffee war wirklich gut. Bis Grasse würden sie mehr als eine Stunde brauchen und es war klar, dass der Junge gebannt lauschen würde, wie Wolfsblut wieder einmal einen seiner Widersacher nach Strich und Faden auflaufen ließ und ihm letztlich doch das Lebenslicht ausblies, er konnte es einfach nicht lassen! Dabei sehnte sich das renitente Vieh eigentlich nur nach ein bisschen Zuwendung, und da er sie nicht bekam, musste die Umwelt eben unter seiner permanent miesen Laune leiden.

      Grasse entpuppte sich als ausgesprochen autofahrerunfreundlich. Der Mann kurvte schon gut zwanzig Minuten durch die Stadt, weit und breit war kein einziger freier Parkplatz zu finden und langsam begann er Wut zu verspüren. Erst lockten die Leute die Touristen mit ihren markigen Sprüchen an (Parfümhauptstadt) und dann waren sie nicht einmal in der Lage, ein paar beschissene Parkplätze einzurichten. Weit vom Zentrum entfernt gab es noch einen, da sich die Stadt an einem Hang erstreckte war die Folge für sie, dort hinauf zu kraxeln. Das schwüle und feuchte Wetter lud nicht gerade zu langen Fußmärschen ein, aber was wollte man schon machen. Fünfzehn Minuten später stand der Mann auf einem Platz auf dem eine Kirche das Bild dominierte, er schwitzte wie ein Schwein und auch der Junge hatte Schweißtropfen auf der Stirn, die Frau selbstredend nicht. Vor dem Parfümmuseum spuckten Busse ganze Wagenladungen erlebnisgieriger Senioren aus die zielgerichtet in das Haus strömten aus dem ein aufdringlicher Geruch kam.

      „Wollen wir da rein“ fragte die Frau unentschlossen.

      „Na klar“ erwiderte der Mann, der Junge schaute weg.

      Im Inneren des Hauses schoben sich Massen von Menschen von einem Raum in den anderen, sonderlich interessant war es nicht was es dort zu sehen gab. In einem größeren Bereich wurde Parfüm und Seife verkauft, der Mann fühlte aufgrund der Mischung der verschiedensten Düfte Übelkeit aufsteigen, die Frau wollte etwas für die Oma des Jungen kaufen. Der Mann ahnte auch, dass die Kaufentscheidung der Frau Zeit brauchen würde, sie ging immer sehr überlegt zu Werke. Zusammen mit dem Jungen verzog er sich nach draußen und stellte sich darauf ein, jetzt eine ganze Weile Freizeit zu haben. Immer noch war es schwül, wenigstens schwitzte er nicht mehr so stark und teilnahmslos betrachtete er jetzt das Treiben auf der Straße. So groß schien Grasse nicht zu sein, sie waren schon am historischen Stadtkern und auf dem Hinweg hatte er festgestellt, dass zwei, drei Gassen zum Marktplatz führten, der Stadtbummel würde also überschaubar bleiben. Zwei Zigaretten später, eine halbe Stunde war vergangen, kam die Frau aus dem Haus, leider hätte sie nicht das Richtige gefunden aber Parfümerien wären hier ja an jeder Ecke zu finden, sie würde ihr Glück dann nochmals versuchen.

      Die steil emporsteigende Straße führte sie geradewegs auf den Marktplatz. Etliche Gasstätten hatten sich dort angesiedelt und vor dem jetzt heftig fallenden Regen fanden sie unter einem Schirm Schutz. Die Kellnerin nahm ihre Wünsche entgegen und als das Essen kam und der Mann kostete, fühlte er sich nicht wie Gott in Frankreich. Verdammt, was für ein Fraß! Dagegen war die Mittagversorgung die er auf Arbeit regelmäßig dort einnahm eine Offenbarung. Pfui Spinne, die Tomatensoße schmeckte, na wie denn eigentlich, jedenfalls nicht nach Tomaten sondern wie ein Cocktail verschiedener chemischer Substanzen, den ein perverser Lebensmitteltechnologe kreiert hatte. Der Junge war mit der Pizza zufrieden, die Frau kaute auch lustlos auf ihrem Essen herum, unglücklicherweise hatte sie panierte Tintenfischringe erwischt, etwas, was sie eigentlich gar nicht aß. Der Regen hatte nachgelassen und sie gingen wieder Richtung Auto, bergab war es einfacher, dann begann die Rückreise.

      Wolfsblut war aus irgendwelchen Gründen (der Mann musste sich auf der kurvigen Strecke auf das Fahren konzentrieren und bekam deswegen nicht mit, was dem aufmüpfigen Vieh schon wieder die Petersilie verhagelt hatte) wieder einmal denkbar schlecht drauf: soeben hatte er einem Mann, der ihn nur streicheln wollte, in die Hand gebissen. Kapierte der denn gar nicht, dass sein Verhalten den anderen gehörig auf den Sack ging? Da wollte ihm einer mal was Gutes tun, Fresse aufgerissen und zugeschnappt, so konnte er sich doch keine Sympathien erwerben und mit der Integration war es wieder einmal nichts geworden. Er wusste auch nicht mehr, was er dem Tier noch raten sollte, am besten wäre wahrscheinlich ihn im Wald auszusetzen, dort könnte er nach Belieben die anderen Viecher terrorisieren und seine Aggressionen ausleben. Bei ihm schien Hopfen und Malz in Bezug auf die Herstellung eines Vertrauensverhältnisses gänzlich verloren zu sein, sollte er doch im Unterholz wilde Sau spielen aber die anderen mit seinen Stimmungsschwankungen in Ruhe lassen.

      Zum Ritual gehörte, täglich einen Supermarkt aufzusuchen, sie kauften Lebensmittel für den Abend ein und wollten auf dem Zimmer essen. Sie waren müde und schnell waren alle drei eingeschlafen.

      Ihre derzeitige Hoffnung war, in der Nähe von Nyons doch noch einen Platz zu bekommen. Da die Frau ja bekannterweise gut vorbereitet war wusste sie, dass um den Ort herum drei Zeltplätze zur Auswahl standen. Der Mann war von Hause aus nicht der Optimist (um es positiv zu formulieren) und er ahnte, dass sie wieder unverrichteter Dinge von den Plätzen abziehen müssten. Wehmütig versuchte er einen Blick auf den Platz beim Olivenbauern zu erhaschen als sie daran vorbeifuhren, aus den Augenwinkeln sah er drei, vier Wohnmobile dort stehen. Voriges Jahr war das ihr Standort für eine Nacht gewesen und ein Bild von dort, das ihn und den Jungen am Tisch gegenübersitzend zeigte, war seit dem sein Bildschirmschoner auf Arbeit.

      Er