Die zarte Fee und die Garage. Jörn Kolder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörn Kolder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844276206
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der Rampe in die Knie sinken und dem lieben Gott für seine Errettung danken. Am Ende der Auffahrt fiel er (vorsichtig, das war Beton) auf die Knie, verschränkte die Hände zum Gebet (davon hatte er eigentlich keine Ahnung, aber irgendwie würde er es schon richtig machen). Er murmelte Dankesworte, als vier blonde Kinder, die ihm bekannt vorkamen, sich vorsichtig dem Hotel näherten, ihn in der Beterhaltung erblickten und sofort wieder wegrannten. Mein Gott, die sollten sich doch nicht so haben, schließlich konnte er beten wo er wollte und was war denn so besonderes daran, dass jemand auf einer Tiefgaragenzufahrt aus Dank zu seinem Schöpfer sprach. Nachdenklich ging er zur Rezeption.

      „Was war das denn für ein Geräusch“ fragte die Frau, er winkte bloß ab und sagte „erzähle ich dann oben“.

      „Ich bin mit der Dachbox am Tor hängengeblieben“ sagte er nach dem ersten Schluck Bier (die Frau wusste, dass jegliches Drängeln, von ihm etwas zu erfahren nichts brachte, er würde erst reden, wenn er dazu bereit war). Das Zimmer protzte mit schicken Möbeln und einem komfortablen Bad, ein Balkon zeigte in den Innenhof, zur Freude des Jungen war ein Fernseher vorhanden.

      „Und, ist was passiert“ drängelte die Frau nun doch.

      Manchmal brachte er sie aus der Ruhe, wenn er mit ruhigem Tonfall Bericht gab und sich so gar nicht erregte.

      „Bisschen Plaste ist ab, sind auch zwei Riefen drin. Kucke ich mir morgen an. Ist bloß die Frage, wie wir wieder rauskommen. Vielleicht Dachbox abmontieren, raus fahren und dann wieder drauf machen.“

      Der Tag hatte ihm zugesetzt, am liebsten wäre er jetzt in das Bett gekrochen. Leider wusste er, dass die Frau bereits wieder tatendurstig war. Wie um seine Überlegungen zu bestätigen sagte sie jetzt:

      „Wir machen noch eine kurze Pause, ich räume ein bisschen auf, dann gehen wir in die Stadt zum Abendessen“, er hatte es gewusst!

      An der Rezeption empfahl ihnen die freundliche Rezeptionistin (die blöde Kuh hätte ihn daran erinnern können, dass er die Box auf dem Auto hatte!) einige Restaurants, alles war in fünf Minuten zu erreichen. Ihre Getränke waren zur Neige gegangen, der in einer kleinen Straße liegende Lebensmittelladen kam gerade recht. Der Junge griff sich eine Cola, der Mann zwei Bier und die Frau eine Flasche Wein.

      An der einzigen Kasse scannte die Verkäuferin die Waren gewissenhaft (also sehr bedächtig). Obwohl nur wenige neue Kunden den Laden betraten wuchs die Schlange der Wartenden immer mehr an, aber außer den gelangweilten Blicken der anderen Kunden fiel dem Mann nicht auf, dass jemand ungeduldig wurde. Nach geraumer Zeit hatten sie die Kasse passiert, die Frau rannte mit den Getränken zum Hotel zurück, schnell war sie wieder da und sie setzten sich Richtung Stadtzentrum in Marsch. Die Gaststätten waren schon gut frequentiert und als sie der Kellnerin ihren Bedarf an drei Plätzen anmeldete, bereitete sie ihnen den Tisch entsprechend vor. Das Essen war gut, danach liefen sie noch ein bisschen die Gassen entlang und machten es sich in dem vornehmen Zimmer gemütlich. Der Mann und der Junge liebten keine Überraschungen, ihnen war es weitaus lieber zu wissen, woran sie waren. Daraus ergab sich beim Eintreten unverhoffter Situationen bei beiden eine gewisse Unsicherheit, was aber keineswegs bedeutete, dass sie sich nicht darauf einstellen konnten. Dennoch war der Junge in vielen Dingen sehr genau, zum Beispiel was die konkrete Uhrzeit anbetraf. Da konnte er sich sehr wohl mit Philias Fogg, dem exzentrischen Gentleman aus dem Buch „Die Reise in 80 Tagen um die Welt“ messen, welcher immer die exakte Zeit parat hatte. Der Mann war da großzügiger, aber wie spät es war, war ihm momentan egal, er musste eine Lösung für das Dachbox-Problem finden. Natürlich könnte er sie abmontieren, dann würde das Auto ja problemlos das Tor passieren können, aber eigentlich hatte er keine Lust darauf, er vertagte die Sache einfach auf den nächsten Morgen.

      Das Frühstück nahmen sie im Garten des Hotels ein, vornehm, vornehm, so ließ es sich speisen, aber diese Hotelübernachtungen waren nach dem Urlaub im vorigen Jahr so gar nicht mehr sein Ding. Er sehnte sich schon danach vor dem Zelt zu sitzen und am Kaffee zu nippen (falls es ihnen jemals gelingen sollte einen freien Platz zu bekommen). Das Ausfahrtproblem klärte sich auf einfache Art und Weise: die Tiefgarage hatte ein zweites Tor, welches wesentlich höher war (für die Warenanlieferung). Der Mann an der Rezeption wies ihn in der engen Garage ein und sie kamen ohne Schaden hinaus. Auf, die Suche ging weiter.

      Mit einer heulenden Frau und einem heulenden Jungen im Mannschaftstransporter war die Schlacht kaum zu gewinnen, geschweige denn der Feldzug (der Mann hatte ja ein großes Interesse für Militärgeschichte). Alles kam ihm bekannt vor: wieder waren alle Plätze belegt gewesen und er musste sich zusammen reißen, nicht die Schilder „Complete“ von ihren Befestigungen zu treten (falls er das Bein so hoch bekäme). Gleichzeitig mit ihnen zogen Touristen aus aller Herren Länder mit vernagelten Gesichtern wieder unverrichteter Dinge ab. Es war nicht zu fassen: innerhalb von zwei Tagen hatten sie bislang mehr als zehn Plätze angefahren, große (auf die sie eigentlich nicht wollten), gemütliche (die jetzt gar nicht mehr so gemütlich aussahen), es wäre ihnen vollkommen Wurscht gewesen wie viele Leute sich dort drängen würden, Hauptsache erst einmal ankommen und ein bisschen Ruhe gewinnen. Das war reines Wunschdenken, jedes Mal trat ihnen das „Complete“ Schild furchtbar in den Hintern und er fragte sich, wo der Fehler lag.

      Voriges Jahr war alles kein Thema gewesen, sie fuhren vor, gingen zur Rezeption und konnten sich einen Platz aussuchen, nach einer halben Stunde saßen sie entspannt am Tisch und er zischte ein Bier (die Frau einen Rotwein und der Junge eine Cola). Verdammter Mist, was war dieses Jahr bloß los? Es war jetzt schon nach zwölf Uhr und der Mann steuerte wieder einmal einen Platz an. Die freundliche Rezeptionistin telefonierte sogar noch herum um ihnen zu helfen: ohne Erfolg. Als er den Motor wütend anließ und weiterfahren wollte sah er bei einem flüchtigen Blick in den Rückspiegel, dass die Frau wie ein Schlosshund (wieso eigentlich Schlosshund?) heulte. Dieses tapfere Mädchen war jetzt vollkommen am Ende!

      Er erinnerte sich ganz genau, wie sie zu Hause stundenlang vor dem Computer gesessen hatte und den Plan aufstellte, alles war wohl durchdacht und eigentlich konnte nichts schiefgehen. Das Leben hielt aber bekannterweise genug Überraschungen bereit und hatte sie jetzt überdeutlich belehrt, dass es selbst den ausgeklügelsten Plan zunichte machen konnte, wenn ein paar Bedingungen nicht stimmten. Was diese genau waren wusste er nicht, die Dinge lagen dennoch vermutlich einfach und er erinnerte sich an irgendwelche Lehrveranstaltungen zur Modellaufstellung für ein beliebiges kybernetisches Problem: zweifellos war die Anforderung an das System Zeltplätze deutlich höher als die zur Verfügung stehende Kapazität (ihre Bedarfsanforderung wurde schlichtweg wegen Auslastung abgewiesen), ja, so einfach war es. Die Frau tat ihm in der Seele leid und er wusste, dass er jetzt den coolen Typen geben musste, der trotz aller Widrigkeiten lässig über den ganzen Ärger hinweg ging. Kurz entschlossen steuerte er einen Parkplatz in der kleinen Stadt an und legte fest:

      „Wir gehen jetzt erst mal Mittag essen.“

      Der Tränenfluss des Jungen versiegte sofort: die Aussicht auf eine ordentliche Mahlzeit ließ die verzweifelte Suche nach einer Unterkunft sofort in den Hintergrund treten. Auf dem Weg zum Restaurant flüsterte der Mann der Frau zu:

      „Glaube nicht, dass mir das alles am Arsch vorbei geht, ich habe die Schnauze genau so voll wie du, aber einer muss jetzt für denJungen den lässigen und coolen Typen, der alles im Griff hat, spielen, das mache ich. Eigentlich möchte ich mich am liebsten dort in den Brunnen schmeißen und stundenlang da drinsitzen bleiben“; er küsste sie flüchtig.

      Die Frau sah ihn dankbar an, diesmal hatte der Mann die Regie übernommen, und als er so schwitzend und mit verklebten Haaren aber entschlossen vor ihr stand konnte sie nicht anders, als ihn an sich heranzuziehen und zu umarmen, er war der Held in der Unterkunftssuche.

      Das Mittagessen war schmackhaft, der Mann hatte der Frau eingeredet doch zur Entspannung einen Rosè zu trinken, er schlürfte eine Cola, schließlich war er sich ganz sicher,