Gute Welt, böse Welt. Andie Cloutier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andie Cloutier
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748513667
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öffnen werde.“

      „Sag es einfach gerade heraus“, riet Leon ihr. „Das konntest du doch schon immer gut.“

      „Wenn es denn so einfach wäre. Aber es ist schon komisch, wenn sich eine Köchin überlegt, wie sie einer Therapeutin schlechte Nachrichten überbringen soll“, fand Janine lächelnd.

      Leon wurde hellhörig. Therapeutin? Das konnte nicht sein, oder? Sicher, ihre Praxis lag quasi um die Ecke, aber Janines Mittagsstammgast war doch sicher nicht Rebecca Brandt. Die sich übrigens, seit er eine Nachricht bei ihr hinterlassen hatte, immer noch nicht bei ihm gemeldet hatte.

      Janine bemerkte nichts von Leons gedanklicher Abwesenheit. Sie sah nicht zu ihm rüber, war ganz mit ihrer Arbeit beschäftigt. „Was führt dich zu mir, Leon?“

      Er zuckte mit den Achseln. „Ich wollte mal nach dir sehen. Sag mal, diese Therapeutin…“, er traute sich nicht den Satz zu beenden.

      „Rebecca“, Janine sah ihn erstaunt an. „Kennst du sie etwa?“

      Leon war fassungslos. Rebecca ging also täglich bei seiner Ex-Freundin Mittagessen. Was für ein Zufall war das denn?

      Diesmal erkannte Janine, dass etwas nicht stimmte. „Kann es sein, dass du dich nach langer Abstinenz endlich wieder für Frauen interessierst? Und ganz speziell für Rebecca? Das wäre wirklich seltsam. Ausgerechnet eine Therapeutin. Na ja, auf jeden Fall habt ihr eine Gemeinsamkeit: ihr musstet beide um einen geliebten Menschen trauern.“

      Das war etwas, was Leon überhaupt nicht gerne hörte. „Ich trauere nicht um Daniel. Er ist irgendwo da draußen!“

      Janine holte tief Luft. „Das ist und bleibt ein Reizthema für dich, nicht wahr? Rebecca wird wohl wissen, wie man mit so etwas umgeht.“

      Leon war aufgebracht. „Ich weiß nicht, was du meinst! Was soll das Ganze? Daniel ist nicht tot! Er ist dort draußen und ich werde ihn finden!“

      Janine hielt inne und blickte ihn ernst an. „Genau das war unser Problem. Du kannst nicht loslassen. Du hast dich in die Suche verbissen. Nichts anderes zählte mehr. Wir hatten nur noch Streit, weißt du noch?“

      Leon bedachte sie mit einem finsteren Blick. „Ich muss los. Meine Pause ist vorbei.“ Ohne sich noch einmal umzusehen, marschierte er geradewegs zurück raus auf die Straße.

      Rebecca versuchte tief und ruhig durchzuatmen. Sie stand im Vorgarten unterhalb der Trauerweiden und versuchte den Schock abzuschütteln, den sie während ihres Rundgangs durch das Haus erhalten hatte. Wie konnte man nur die wenigen vorhandenen Zimmer eines Hauses derart missgestalten? Und welcher seltsamer Verwandter hatte ihr die Bruchbude überhaupt vererbt? Einen Namen hatte sie in dem Dokument jedenfalls nicht finden können. Die Sache war rätselhaft.

      „Mit etwas Fantasie, na gut, mit sehr viel Fantasie lässt sich aus dem Haus was machen“, meinte Julia neben ihr und las erneut eine Nachricht, die sie vor wenigen Minuten auf ihrem Smartphone erhalten hatte.

      „Das glaube ich nicht“, entgegnete Rebecca. Bei dem Anblick von Julias Smartphone fiel ihr etwas ein. Sie hatte ihr eigenes völlig vergessen. Hatte sie einen wichtigen Anruf verpasst? Mit vor Kälte halbtauben Fingern holte sie ihr Handy aus der Manteltasche. In dem Haus war es furchtbar kalt. Anscheinend gab es keine Zentralheizung, nur die paar offenen Kamine. Wer heizte heutzutage noch so? Mit einem kurzen Blick auf das Display stellte sie fest, dass sie tatsächlich einen Anruf verpasst hatte. Hoffentlich handelte es sich dabei nicht um einen akuten Notfall. Rebecca hörte die hinterlassene Nachricht ab: „Zimmermann. Vielen Dank für Ihre Nachricht. Es beruhigt mich zu wissen, dass Sie den Vorfall gut überstanden haben. Allerdings würde ich mich gerne selbst davon überzeugen. Haben Sie vielleicht demnächst Zeit für eine Tasse Kaffee? Falls Ihnen Kaffee nicht liegen sollte, ließe sich auch ein gemeinsames Essen einrichten. Das können Sie entscheiden. Rufen Sie mich einfach an.“ Rebecca musste grinsen.

      Julia musterte sie misstrauisch. „Gute Nachrichten?“

      „Er lädt mich zum Kaffee ein. Oder zum Essen. Das kann ich mir aussuchen“, berichtete Rebecca immer noch lächelnd.

      Julia sah sie sprachlos an. Doch das währte nur kurz. „Du hast ihn angerufen?“

      Schon fand sich Rebecca in einer festen Umarmung wieder.

      „Ich bin so stolz auf dich!“ Julia beendete die Umarmung. „Ruf ihn an. Geht heute noch essen. Du musst ihn nicht mal mit zu dir nach Hause nehmen, wenn es gut läuft. Jetzt hast du eine Ausweichmöglichkeit mitsamt einem riesigen Himmelbett.“

      Allein der Gedanke an das große Himmelbett ließ Rebecca erschaudern. „Ja, wenn ich ihn schnellstmöglich loswerden möchte, bringe ich ihn hierher. Bei dem Anblick des Hauses ergreift ja jeder die Flucht.“

      „Ruf ihn an. Treff dich mit ihm. Heute“, befahl Julia ihr.

      „Heute schon? Das ist ein wenig überstürzt, findest du nicht?“ Rebecca wollte nichts übereilen.

      „Überstürzt? Ihr kennt euch doch schon seit zwei Tagen. Überstürzt handeln ist anders“, fand Julia.

      „Ich dachte eher an Montag. Ein gemütliches Essen bei Janine“, gestand Rebecca.

      Julia schüttelte den Kopf. „Das ist doch Quatsch. Warum aufschieben? Leider muss ich jetzt los. Hast du schon eine Idee, was du mit dem Haus machen wirst?“

      „Dasselbe wie der Eigentümer vor mir.“ Rebecca hob einen großen, kantigen Stein in der Nähe der Haustür hoch.

      „Und was soll das sein?“ fragte Julia.

      „Es verfallen lassen.“ Rebecca legte den klobigen Schlüssel auf den erdigen Boden und setzte den Stein darauf.

      Julia fuhr eine verlassene Straße entlang. Nur die Scheinwerfer ihres Wagens erhellten einen Teil der Umgebung. Die Bäume am Straßenrand warfen unheimliche Schatten. Sie freute sich auf das Treffen. Seit sie endlich eine Nachricht von ihm erhalten hatte, freute sie sich auf das Treffen. Eine Nachricht von ihm zu bekommen, war alles andere als befriedigend. Ein Treffen mit ihm kam der Sache schon viel näher. Der von ihm gewählte Treffpunkt behagte ihr allerdings nicht. Sie wusste, dass sie sich nur heimlich sehen konnten. Immerhin war er ein stadtbekannter Mann und zu allem Überfluss verheiratet. Aber warum musste es ausgerechnet eine solch einsame Gegend sein? Wenn sie jetzt eine Panne hätte, dann wäre sie aufgeschmissen. Kamen Pannenhelfer überhaupt hier raus? Sie folgte Erics Wegbeschreibung durch den düsteren Wald und parkte schließlich vor einem Gebäude. Was sich einst in diesem Gebäude befunden hatte, wusste Julia nicht. Es war ein Bestandteil eines seit Jahren verlassenen, ehemaligen Militärgeländes. Ein dunkler, ungemütlicher Ort, aber wenigstens war sie nicht alleine. Auf dem Parkplatz stand bereits ein großer, schwarzer BMW.

      Julia stieg aus und sah sich um: „Eric?“

      Er antwortete nicht. Mit aufgeregt pochendem Herzen näherte sie sich dem Gebäude. „Eric?“

      Falls das ein Spiel sein sollte, so mochte sie es nicht. Ihre zitternde Hand legte sich auf den Türgriff. Sie hörte ihren eigenen Herzschlag laut in ihren Ohren klopfen. Die Tür war nicht verschlossen. Julia öffnete sie vorsichtig einen Spalt weit. „Eric?“

      Der Türgriff entglitt ihrer Hand, als die Tür plötzlich aufgerissen wurde. Zwei Hände packten sie grob, zogen sie in das dunkle Innere des Gebäudes. Panik breitete sich in Julia aus. Ihr Rücken machte unsanft Bekanntschaft mit einer Wand, dabei blieb ihr Herz vor Schreck stehen. Der Schmerz ließ sie laut aufstöhnen und im nächsten Moment drang eine Zunge tief in ihren Mund ein.

      Nur einige hundert Meter von dem verlassenen Gebäude entfernt, lehnte Robert Kurkov an der Beifahrertür seines Geländewagens und schaute in die Dunkelheit hinaus. Für seinen Geschmack war hier an diesem Abend viel zu viel los. Normalerweise war es um diese Uhrzeit ruhig und still. Zwei Autos waren kurz hintereinander von dem Hauptweg in die Einfahrt zum alten Lager abgebogen. Keines der beiden Fahrzeuge gehörte zu ihm. Dabei mochte Robert gerade die Abgeschiedenheit dieses Ortes. Es war ideal um Personen zu treffen, mit denen man nicht gesehen werden wollte