Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745030990
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Feuerwerk in Erinnerung geblieben. Und sein erleichterte Stöhnen gemahnte an einen inneren Vorbeimarsch. Zumindest war er vorerst eine Weile beschäftigt.

       Nun kam der schwierigste Teil. Beim Stall gab es einen angeketteten Hund, der grundsätzlich anschlug, sobald ihn jemand passierte. Jeden Tag, wenn ich die Tiere versorgte, brachte ich ihm ein Stück Wurst mit. Inzwischen liebte mich dieser Köter abgöttisch und statt zu bellen, wedelte er lediglich mit seinem gesamten, struppigen Hinterteil. Keine Ahnung, ob er überhaupt einen Namen besaß. Wir nannten ihn einfach nur Köter, was ihn offenbar nicht sonderlich störte. Leise flüsterte ich seinen Namen, als ich mich nun an den Ställen vorbei schummelte. Zwar knurrte er zuerst, doch als er das verlockende Wurst—Fluidum wahrnahm, verschlug es ihm die Lust, auch nur einen einzigen Ton von sich zu geben. Freundlich wedelte er mit seinem Hintern und holte sich von mir sein Schmiergeld ab - dieser korrupte Hund. Noch einmal tätschelte ich Köter, dann lief ich weiter und verließ den Tempelbezirk, um mit dem dunklen Wald zu verschmelzen.

      *

      Unsere größte Schwäche liegt im Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es noch einmal zu versuchen.

      (Thomas Alva Edison)

      »Und?«, fragte Agnir. »Hattest du Erfolg mit deiner Flucht?«

      »Nein, am nächsten Nachmittag war ich wieder im Heiligtum. Ein Bauer aus dem Umfeld fand mich schlafend im Stroh und schickte seinen Knecht zum Oberpriester. Dieser holte mich umgehend wieder zurück. Und zur Strafe, weil ich abgehauen war, bekam ich zwanzig Stockschläge auf den Hintern!«, grummelte ich, weil mir die Schläge lebhaft in Erinnerung geblieben sind. Nicht etwa, weil sie sonderlich wehtaten. »Beim Training hatte ich schon ganz andere Hiebe abbekommen, sie taten mir nicht allzu sehr weh. Das Schlimme daran war, dass alle anderen zusahen, wie der Oberpriester meine Hose herunterzog, um mir den nackten Hintern zu malträtieren.«

      »Ja, das ist für einen Achtjährigen unerträglich, wie?«

      »Das kannst du aber laut sagen«, bestätigte ich.

      »Du hast aber nicht aufgegeben, oder?«, fragte Agnir neugierig. »Wann startetest du deinen nächsten Fluchtversuch?«

      »Nee, aufgeben war nicht drin. Ich war schon immer hartnäckig. Und ich lerne schnell aus meinen Fehlern. Bei meiner nächsten nächtlichen Flucht, genau zwei Tage später, mied ich die Gehöfte der Bauern. Zudem hatte ich mich besser ausgerüstet. Diesmal war nicht nur Proviant in meinem Beutel, sondern ich hatte eine Decke eingepackt, Lederschnüre, Nähnadeln und Faden, Schlageisen, einen Feuerstein und einen flach geschliffenen Sonnenstein aus Doppelspat. Der war für die Orientierung enorm wichtig. Wenn man ihn in den Himmel hielt, konnte man trotz Bewölkung, zwei gleich helle Strahlen sehen, die dir zeigten, wo die Sonne stand. Mein Vater benutzte auf seinen Seereisen ebenso einen geschliffenen Kalzit. Menschliche Nähe suchte ich lediglich, wenn ich etwas Dringendes benötigte. Unterwegs stahl ich Speisen von den Fensterbänken, die dort zum Abkühlen standen. Vom Vieh nahm ich mir Milch, klaute Eier, oder gleich das ganze Huhn. Und von einer Wäscheleine borgte ich ein grobes, braunes Leinenhemd, das vormals einem Erwachsenen gehörte. Für mich war es ziemlich großzügig geschnitten. Immerhin bestand die Chance, dass ich dort noch irgendwann hineinwuchs. Allemal besser als vorher. Es grenzt schon an Idiotie in der Kleidung eines Novizen herumzustreunen. Daran hätte jedermann erkennen können, dass ich aus dem Heiligtum Uppsala getürmt war. Zudem sorgte ich dafür, immer sauber auszusehen, weshalb ich mich und meine Kleidung regelmäßig wusch und ausbesserte. Erwachsene hassen dreckige Rotznasen, und damals waren sie nicht so verständnisvoll wie heute. Vor allem, was heimatlose Kinder betraf. Ohne einen Erwachsenen, der ein Auge auf dich warf, warst du der Willkür ihrer Launen schutzlos ausgeliefert.

      »Stimmt, Cornelius erzählte mir bereits, damals seien die Straßenkinder nicht viel besser behandelt worden, als streunende Köter. Erzähl weiter!«

      Von Uppsala bis Niðaróss waren es in etwa tausend Kilometer. Ich rechnete mir großzügig aus, sollte ich täglich acht Stunden laufen, würde ich spätestens in zwanzig Tagen meinen Bestimmungsort erreicht haben. Leider bemerkte ich recht früh, dass ich mich in dieser Beziehung ein wenig überschätzt hatte. Niemand kann acht Stunden am Stück laufen. Okay, kann man schon, nur kommst du nicht immer zügig voran und drohst außerdem, durch diesen Kräfte raubenden Akt, zu verhungern. Schweden bestand zu dieser Zeit beinahe ausschließlich aus undurchdringlichen Wäldern, Sümpfen und Seen. Zudem sollte jeder wirklich aufpassen, wohin er seinen Fuß setzt. Wenn du allein in einen dich verschlingenden Morast gerätst, kann dich niemand vor dem Untergang bewahren. Überhaupt barg die Wildnis enorme Gefahren. Vor allem lauerten überall wilde Tiere. Nicht nur Wölfe und Bären können einem Menschen gefährlich werden. Selbst Elche sind sehr aggressiv und können dich mit Stößen ihrer Schaufeln, oder Tritten ihrer spitzen Hufe, lebensgefährlich verletzen.

       Um ungefähr sicher zu sein, die korrekte Richtung beizubehalten, wanderte ich flussaufwärts am Dalälven entlang. Dieser Fluss teilt sich in nördlicher Richtung und für mich war der östliche Flussarm, der Österdalälven, genau passend, weil er beinahe meine vorbestimmte Richtung nach Idre einschlug. Von dort aus, war es nicht mehr weit bis nach Niðaróss. Zudem versorgte mich der Fluss ausreichend mit Fischen, die ich mit meinem selbstgebauten Speer erlegte. Wie ein Reiher verharrte ich bewegungslos am Flussufer, bis der Fisch meine Anwesenheit als völlig normal ansah und mich ignorierte. Dann stieß ich blitzschnell zu. Mein bescheidener Speer bestand aus meinem Schnitzmesser, welches ich mit Lederschnüren an einem langen Stock befestigt hatte. Zum Glück besaß ich, dank des sommerlichen Camping, welches ich mit meiner Mutter und den Geschwistern zelebrieren musste, Erfahrung in solchen Dingen. Nur wünschte ich mir in meiner derzeitigen Situation, ich hätte ebenfalls eine komfortable Jurte dabei. Die Nächte konnten bitterkalt werden. Dann nützte selbst eine Decke nicht viel, vor allem, wenn es zusätzlich regnete und das Lagerfeuer erlosch. Manchmal hatte ich Glück und fand eine trockene Höhle, die unbewohnt war. Manchmal hatte ich aber auch Pech und musste um mein Leben rennen, weil ein Bär mich fressen, oder aus seinem Revier vertreiben wollte. Alles in allem, war es eine ziemlich aufregende Zeit. Dennoch vermisste ich meine Familie und unser Beisammensein. Insgeheim befürchtete ich, schon bald könnte ich mich möglicherweise nicht mehr an die menschliche Sprache erinnern. Ich fühlte mich einsam. Wieso hatte ich nicht den Köter mitgenommen? Wir wären sicherlich ein gutes Team geworden. Ein Hund ist ein treuer Gefährte.

      Bei meiner Wanderung kam ich nicht so schnell voran, wie ich es mir gewünscht hätte. Deshalb keimte in mir die Idee auf, sobald sich die passende Gelegenheit bieten sollte, ein Pferd zu stehlen. Vor allem meine wundgelaufenen Füße stimmten dem zu. Aus irgendeinem Grund waren meine Stiefel auf der Wanderung viel zu klein geworden. Und selbst nachdem ich Wickel aus Spitzwegerich machte, waren meine Füße in einem zutiefst bedauerlichen Zustand. Statt meine zu kleinen Stiefel zu tragen, umwickelte ich meine Füße mit Stoff, welchen ich aus meinem zu großen Hemd nahm. Deshalb, warum nicht ein Pferd stehlen, das mich problemlos trug? In meiner schieren Verzweiflung hätte ich sogar einen Elch geritten. Nur war dieser, wie gesagt, mit Vorsicht zu genießen.

      In einem Ort am Siljan-See namens Mora, wurde ich fündig. Zumindest glaubte ich, es wäre ein kinderleichtes Unterfangen, diesen gutmütig wirkenden Kutschen-Gaul zu entführen.

      Selbst wenn diese Scheckenstute auffiel wie ein bunter Hund, war sie allemal besser, als die Blasen an meinen Füßen. Der Zufall spielte mir in die Karten, denn offensichtlich gehörte das Tier ein paar fremdländischen Vaganten, die in der Ortschaft für Aufsehen sorgten.

      Ein recht kleiner Kerl jonglierte mit verschiedenen Gegenständen und machte, nachdem er sein Können derart demonstriert hatte, zudem aufsehenerregende Flickflacks. Überhaupt war er kaum ins Auge zu fassen, so schnell bewegte er sich von einem Punkt zum nächsten. Musikalische Untermalung erhielt diese Vorstellung von einer wunderschönen Frau, die eine Lyra spielte und dabei engelsgleich sang. Sofort verliebte ich mich unsterblich in dieses überirdisch schöne Wesen. Obwohl ich der Schönen mit dem beabsichtigten Diebstahl möglicherweise das Herz brach, wollte ich das Pferd trotzdem.

      Soweit hatte ich jedenfalls alles bis ins Detail durchgeplant. Bei Odin! Unerwartet sollte sich der Pferderaub als komplizierter erweisen, als von mir erwartet.