Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745030990
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Denn wir hatten unsere Jurte dabei, die viel komfortabler war, als ein schnödes Zelt.

      Was am Abend vor dem großen Opferfest abging, konnten wir Kinder leider nicht voll und ganz begreifen. Sehr zu unserem Bedauern, durfte von uns lediglich Wulfgar am Fest der Erwachsenen teilnehmen. Wir jüngeren Geschwister mussten leider pünktlich schlafen gehen. Und da Numa noch immer stoisch vor sich hin schmollte, ging sie ebenfalls mit uns zeitig zu Bett.

      Neidvoll hörte ich in der Ferne geheimnisvoll verlockend die Trommeln im Takt schlagen; das Lachen, Singen und Johlen der Feiernden. Warum konnte ich nicht auch schon ein Krieger sein, so wie mein Bruder Wulfgar? Ich hoffte innigst, dass bis zum nächsten Opferfest in neun Jahren, uns die Bären noch nicht ausgegangen waren. Schließlich mussten meine beiden älteren Brüder auch jeweils einen erlegen.

      Nachts wurde ich nicht wach, obwohl meine Geschwister am nächsten Morgen berichteten, mein Vater sei schwer berauscht der Länge nach in der Jurte hingeschlagen und liegengeblieben. Und das, obwohl Wulfgar darum bemüht war, meinen Vater wieder aufzurichten. Es gelang ihm nicht. So fand Skryrmir sich frühmorgens, unter einer Decke liegend, ziemlich desorientiert in der Jurte wieder.

      »Oh, mein Kopf!«, stöhnte er und schmatzte. »Was habe ich für einen widerlichen Geschmack im Mund!? Da hatte ich wohl einen Pilz zu viel gehabt.«

      … Richtig gehört, er hatte nicht ein Pils zu viel, so wie heutzutage, sondern einen Pilz. Die Krieger versetzten sich öfter mal in einen rauschhaften Zustand, indem sie irgendwelche geheimnisvolle Pilze aßen, oder den Sud davon tranken. Vor allem sagte man den Berserkern nach, die sich vor wichtigen Kämpfen in Tierfelle hüllten, dass sie sich irgendein Gebräu aus Kräutern und Pilzen verabreichten, um anschließend in ihrer Rolle als wilde Tiere voll und ganz aufzugehen. Kein Wunder, wenn sie als völlig furchtlos und todesverachtend galten, wenn sie während einer Schlacht dermaßen stoned waren...

      Wir hingegen, guckten unseren Erzeuger ziemlich verwundert an und lachten laut los.

      »Was ist?«, fragte er unwissend.

      »Papa, deine Augenklappe!«, sagte meine jüngere Schwester Gundfreya und kicherte.

      Nach seiner Augenklappe tastend, ob sie überhaupt noch vorhanden sei, drehte Skryrmir sich um und nahm sie ab. Er drehte sich dabei von uns weg, was er immer tat, um uns den grausigen Anblick seiner leeren Augenhöhle zu ersparen. Dann begann auch er, lauthals zu lachen.

      Irgendein Witzbold hatte ihm in dieser ausgelassenen Nacht ein offenes Auge auf seine Augenklappe gemalt. Dieses Kunstwerk sorgte bei uns für allgemeine Erheiterung. Bei uns allen, außer bei Numa, die am heutigen Tag wesentlich bedrückter erschien, als auf der Fahrt, wo sie lediglich vor sich hin schmollte.

      »Na, so was. So, genug gelacht! Kinder, zieht euch an und dann soll sich einer von den Jungs um die Opfertiere und Sklaven kümmern! Sie sollen heute nicht hungrig sterben!«, befahl Skryrmir, der das mit Kreide aufgemalte Auge wegwischte.

      Na toll! Und wieder fluchte ich, dass ich keinen kleineren Bruder hatte, auf den ich die ungeliebten Pflichten abwälzen konnte, die an mir hängenblieben. Ich war wie immer in der Befehlskette der letzte und musste die bittere Kröte schlucken.

      Murrend ging ich hinaus und fütterte die neun Ziegen und neun Hammel mit Heu. Mein Vater hatte sie zwecks des Götteropfers für Allvater Odin ausgesucht. Dann holte ich Eimer und Schemel aus der Jurte und molk die Ziegen ein letztes Mal, um mit deren Milch die Sklaven abzufrühstücken. Diese waren lediglich zwei dürre Kerle, mit rasierter Tonsur, die ganz offensichtlich - ihr Schicksal vor Augen - aus Angst zitterten. Skryrmir hatte sie aus irgendeinem gottverlassenen Kloster von den britischen Inseln mitgebracht. Bei ihnen handelte es sich um von uns verspottete Pinselaffen, die nicht einmal einen Klafter Brennholz hacken konnten, ohne dabei einen Finger zu verlieren. Sie brachten nichts anderes zustande, als gebückt an einem Pult stehend, mit Feder und Tinte auf Pergament herumzukratzen. Lesen oder schreiben konnte von uns sowieso keiner. Ergo waren sie als Arbeiter absolut unbrauchbar.

      Sie lehnten die Ziegenmilch ab, und beteten stattdessen zu ihrem Gott. War mir sowieso wurscht, dann trank ich die Milch eben selbst. Mitleid hatte ich mit keinem. Für mich waren sie nichts anderes, als Ziegen oder Schafe. In meinen Augen taugte ihr Gott nicht viel, denn sonst würden sie nicht wie die Hasenfüße vor lauter Schiss schlottern. Wir Nordmänner hingegen gingen furchtlos in den Tod, mit dem Wissen, dass wir selbst in Asgard noch kämpfen, saufen und schmausen werden.

      Endlich war es soweit. Wir brachen mit unserer Sippe auf, um den Priestern unsere Opfergaben zu überbringen. Selbstredend war die Schlange der Wartenden lang. Da aber, außer Skryrmir und Wulfgar, keiner von uns übermäßig ausgelassen in der Nacht zuvor gezecht hatte, brachen wir somit zeitig auf, um uns dort bei den Opfernden einzureihen. Die Warteschlange löste sich zügig auf, weil nicht alle dem Gottvater Odin opfern wollten, sondern die Opferschreine anderer Götter ansteuerten.

      Als die Reihe an uns kam, stellte sich heraus, dass Skryrmir die Priesterschaft am Schrein Odins kannte. Einen riesigen Schrecken bekam ich, als er mich dem obersten Priester sogar namentlich vorstellte.

      »Allsherjargði, dies ist Ragnor, mein jüngster Sohn. Der, von dem ich dir erzählte.«

      Die anderen Priester beäugten mich, als stünde ich zum Verkauf. Wollten sie mir etwa ins Maul schauen?

       Besagter Allsherjargði nickte. »Ah, ja… Der Ragnor, der von den Toten zurückkehrte, weil es Odins Wille war.«

      Dabei musterte mich der oberste Priester, als sei ich ebenfalls ein ausgesuchtes Opfertier. Es hätte mich wirklich nicht gewundert, wenn mein letztes Stündlein geschlagen hätte. Doch waren meine Eltern dazu imstande, ihren jüngsten Sohn durch eine Opferung sterben zu lassen?

      Obwohl - stets betonte mein Vater, welch großes Opfer er an die Götter für mich und meine Mutter damals bringen musste. Und wieder erzählte er bei dieser Gelegenheit die alte Geschichte, die mir schon zum Halse heraushing. Die, von meiner schwierigen Geburt, und wie ich beinahe meine Mutter dabei tötete. Echt, als hätte ich ungezogener Bengel so ein Unding mit Absicht getan, oder was? Und wie immer, zeigte er auf sein nicht vorhandenes Auge: »Und das habe ich Odin gegeben, damit er dich weiterleben lässt!«

      … Boah, er konnte einem wirklich ein schlechtes Gewissen einbläuen. Und meine älteren Geschwister stimmten dem auch noch zu. Sie waren damals selbst Zeugen geworden, wie meinem Vater, urplötzlich nach meiner Geburt, ein Auge fehlte – ergo, trug ich die Schuld daran, dass er überall nur noch als »Skryrmir Einauge« bekannt wurde...

      Mein Vater tätschelte stolz meine Schulter. »Sieh genau zu, mein Sohn, damit du für die Zukunft lernst, wie so eine Opferung vollzogen wird! Der Dienst an den Göttern ist heilig.«

      »Ja, Vater, heilig«, sagte ich brav. Ganz nebenbei fragte ich mich, ob ich jetzt alt genug sei, um in Zukunft selbst zuhause zu schlachten. Denn bisher durften das nur die Köchin, und meine beiden älteren Brüder, Wulfgar und Sigurd.

      »Odin, wir preisen dich!«, sagte der Priester, der, ganz nebenbei erwähnt, eine Lederschürze trug, um sich vor der Blutfontäne der Opfergaben zu schützen.

      »Odin, wir preisen dich! Nimm unsere Opfergaben!«, intonierten wir alle zusammen. Dieser Vorgang wiederholte sich ganze weitere neunzehn Male. Zudem fragte ich mich, was die Priesterschaft wohl mit all dem vielen Fleisch anfing. Besaßen sie vielleicht eine hauseigene Metzgerei? Es ging ja nicht allein ums Fleisch, sondern ebenso um das Fell und die vielen Häute.

      Endlich waren wir mit dem Opfervorgang durch. Wir freuten uns alle auf die Heimreise. Unsere Sippe folgte Skryrmir, der mich zu sich winkte: »Ragnor? Du bleibst hier im Heiligtum.«

      Das traf mich wie ein harter Schlag ins Gesicht, weil ich vermutete, ich hätte ihm einen Grund geliefert, der seinen Zorn auf mich zog. »Vater, warum denn? Mir ist nicht bewusst, dich verärgert zu haben. Holt ihr mich später wieder ab?«

      Ernst sah er mich an und schüttelte den Kopf: »Offenbar hast du mich falsch verstanden. Du wirst hier bei der Priesterschaft bleiben und lernen, Odin zu dienen!«, tätschelte er meine Schulter. »Das ist eine große Ehre für unsere Familie, weil du bei den Priestern des Tempels