Elke Bulenda
Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen
Ein humorvoller Fantasy-Roman
Für JuliSonne und meine Sternenschwester.
Copyright: Elke Bulenda © 2017
Coverdesign: Elke Bulenda
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.Epubli.de
Eine neunstöckige Terrasse beginnt mit einem Haufen Erde.
(Laotse)
Es war schon recht spät, aber eine dermaßen heiße Julinacht, dass der Schlaf ausblieb und ich kein Auge zu bekam. Wenn ich die Klimaanlage einschalte, kann ich wiederum nicht schlafen, weil sie in meinen Ohren einen unsagbaren Lärm veranstaltet. Das ist die Kehrseite, wenn man das Hörvermögen eines Luchses besitzt. Für Vampire sind solche Nächte eigentlich ideal für die Jagd. Leider dürfen wir Vampire keine Menschen mehr jagen. Die Zeiten ändern sich eben, und das gereicht uns nicht immer zum Vorteil.
Egal, es trieb mich trotzdem aus dem Haus, und wenn schon die Jagd ausfiel, dann wenigstens, um dem kleinen See auf dem Grundstück einen Besuch abzustatten. Es gibt nichts Besseres, als in einer heißen Sommernacht unter dem Sternenzelt schwimmen zu gehen. Und da der Anblick so wundervoll ist, sollte man sich, auf dem Rücken treibend, das Schauspiel ganz genau ansehen. Apropos ansehen.
Zuvor wollte ich mich vergewissern, dass meine minderjährigen Mitbewohner nicht auf die gleiche Idee kamen. So betrat ich zuerst Saschas Zimmer. Meine Stieftochter schnarchte leise und schlief den Schlaf der Gerechten. Wenigstens eine, die nicht unter Schlafstörungen leidet. Als Nächstes observierte ich Ructus. Er ist zwar weder Kind, noch minderjährig, aber wer sagt denn, dass kleine Teufel nicht ebenfalls eine Mütze voll Schlaf benötigen? Ructus schlief gleichfalls tief und fest. Missbilligend musste ich registrieren, dass er wieder einmal den riesigen Köter bei sich im Bett schlafen ließ. Schnauze, mein Freund – so lautet der Name unseres Cane Corso Hundes – hob neugierig den Kopf, um zu sehen, was ich zu dieser späten Stunde von ihm wollte. Ich legte den Finger an die Lippen, um ihm zu signalisieren, dass er leise sein solle. Schnauze senkte wieder den massigen Kopf, guckte mich dennoch schuldbewusst an, als wolle er sagen, dass es nicht seine Idee gewesen sei, zusammen mit dem kleinen Teufelchen im Bett zu liegen, sondern Ructus ihn dazu genötigt hätte. Ja, ja… Diese Hundeaugen sprechen wirklich Bände.
Zuletzt wollte ich sehen, ob Agnir, meine Leibesfrucht, es den anderen gleichtat, aber ich sah bereits das Licht, welches unter der Türschwelle hervordrang. Möglicherweise war er wieder vor der Glotze eingeschlafen. Diese Vermutung musste ich jedoch redigieren, weil ich stattdessen leises Umschlagen von Buchseiten hörte. Entweder konnte er sich nicht von einem spannenden Roman loseisen, oder er lernte noch. Also klopfte ich diskret an, falls er gerade irgendwelchen Saukram betrieb…
»Herein, Papa«, sagte Agnir.
Ich kam der Aufforderung nach. »Hey, Stöpsel. Warum schläfst du eigentlich um diese Zeit noch nicht? Und was treibst du überhaupt zu so später Stunde?«, wollte ich wissen.
»Weißt du, ich bin ein wenig aufgeregt wegen der anstehenden Hochzeit. Harry hat mich gewissermaßen mit seiner Nervosität angesteckt. Dabei müsste er eigentlich schon ein wenig Routine haben, schließlich führt er mit meiner Schwester Jule bereits die dritte Braut vor den Traualtar. Schrecklich, wenn man so ein Perfektionist ist und ständig alles kontrollieren will!«, erwiderte mein kleiner Sohn, der mit seinen achtzehn Monaten und dem ungewöhnlichen Wachstum, jedes normale Menschenkind in den Schatten stellte. Er wuchs in einem Monat so rasch wie ein junger Mensch in einem ganzen Jahr. Ich frage mich immer wieder, wie Amanda, meine verstorbene Ehefrau und Agnirs Mutter, auf ihren ungewöhnlichen Sohn reagieren würde. Ich glaube kaum, dass sie sich von seiner Größe einschüchtern ließe. Sie hätte ihn trotzdem ausgeschimpft, wenn er Unfug machte und ohne einen Schluck Blut ins Bett geschickt. Nun, inzwischen stand Agnir kurz davor, die Zweimeter-Marke zu knacken. Und das tägliche Kampftraining, das er mit seinem Schwager Haremhab absolvierte, trug dazu bei, ihn in einen wahren, muskulösen Recken zu verwandeln. Sein gewelltes, beinahe weißblondes Haar trug mein Sohn lang bis über die Schulterblätter. Und neuerdings pflegte er - ganz wie der Herr Papa - einen Bart zu tragen, den sogenannten Henriquatre, der eine gewisse Sicherheit im Umgang mit dem Rasiermesser voraussetzt. Doch scharfe Waffen, in Händen einer Familie mit langer Kriegertradition, sind nichts Ungewöhnliches.
»Na, zum Glück führt er nicht alle drei Bräute gleichzeitig vor den Altar. Dieser alte Harems—Besitzer!«, gluckste ich. »Ja, mich regt die Hochzeit ebenfalls auf. Denn sie kostet mich ein Heidengeld, obwohl ich nur die Hälfte dazugebe und der Bräutigam die andere Hälfte beisteuert. Trotzdem würde ich für deine Schwester Jule diese verdammte Hochzeit sogar auf dem Mond ausrichten lassen. Allerdings nur, wenn sie es wünscht«, knirschte ich. Zum Glück wollte Jule das Brautfest bei uns im Haus und Garten feiern, und nicht etwa nach den Sternen greifen. Sie war von jeher eher pragmatisch veranlagt.
Agnir musterte mich durch seine funkelnden, dunkelbraunen Augen, die mich so schmerzhaft an den Verlust meiner Amanda erinnern. »Außerdem kann ich nicht schlafen, weil es viel zu heiß ist! Diese Hitze macht mich ab und alle, sie nervt!«
»Dann mach eben die Klimaanlage an!«, winkte ich ab.
»Die Klimaanlage ist mir zu laut, damit kann ich erst recht nicht einschlafen. Wir haben ohnehin Ferien«, rechtfertigte er sich. »Da kann ich ebenso gut so lange lesen, bis mir der Kopf auf die Tischplatte sinkt und ich einschlafe«, erklärte er weise.
»Die Sache mit der Klimaanlage müssen wir unbedingt ändern, denn mir ergeht es haargenau so. Ich werde mich erkundigen, ob es nicht vielleicht leisere Modelle gibt«, versprach ich. Beim anderen Punkt packte mich das schlechte Gewissen. »Ja, ihr habt Ferien. Leider können wir nach den Hochzeitsfeierlichkeiten nicht gemeinsam verreisen. Dummerweise habe ich beim Ältestenrat der Vampire noch eine offene Rechnung zu begleichen, sitze wie auf Kohlen und warte auf meine Order«, entschuldigte ich mich. »Ihr könntet jedoch mit Nana nach Schottland fahren«, schlug ich vor. »Das Training fällt ohnehin für dich eine Weile aus, solange Jule und Harry ihren Honeymoon in Ägypten verbringen. Hoffentlich verhaften sie Haremhab nicht, weil er irgendetwas annektieren will. Manchmal vergisst er einfach, dass er kein Pharao mehr ist«, gab ich zu bedenken.
»Rein theoretisch könnte ich mit Nana verreisen. Aber eigentlich würde ich gerne lieber hier, bei dir bleiben«, beschied mein Sohn. Offenbar machte er sich Sorgen, ich könnte ohne meinen Anhang wieder mal in eine Depri-Phase fallen, mich sinnlos betrinken und versacken.
»Sag mal, wenn du Ferien hast, warum lernst du noch um diese unchristliche Zeit? Für deine Führerscheinprüfung? Und ist der Blick in den Atlas nicht ein wenig übertrieben? So weit fahrt ihr bei der Fahrprüfung bestimmt nicht«, zog ich ihn ein wenig auf.
»Nein, ich hoffe ebenfalls, dass wir nicht so weit fahren!«, lachte er amüsiert. »Nee, Cornelius hat uns zu einem Projekt angeregt. Er schlug vor, wir sollten uns alle Gedanken darüber machen, wo unsere Wurzeln sind. Du weißt ja, dass es Menschen gibt, die Andersartige oder Fremde hassen. Dabei, wenn man mal genau hinsieht, sind die meisten Menschen selbst vor ein paar Generationen von woanders hierhergekommen. Tja, und da Wurzeln weitverzweigt sein können, versuche ich gerade hier, anhand des Atlanten, auszumachen, woher deine Mutter gekommen sein könnte. Nana erzählte ja schon, woher sie kommt, aber eigentlich ist sie nicht mal meine richtige Großmutter, da sie mit mir nicht blutsverwandt ist. Und die Großeltern mütterlicherseits starben bei einem Unfall. Meine Großmutter väterlicherseits, kann mir wohl kaum erzählen, woher sie stammt. Immerhin ist sie bereits fast zwölfhundert Jahre tot. Und überhaupt weiß ich so gut wie gar nichts über dich. Ich weiß nur, wo du geboren wurdest, und ab und zu gibst du mal einen Schwank aus deiner Jugend zum Besten, aber ansonsten, weiß ich nichts über dich und deine Eltern«, schob er mir den dicken Wälzer zu.
»Und hätte ich gewusst, dass du dermaßen neugierig bist, hätte ich mir längst die Zeit genommen, dir mehr über mich zu berichten. Nur wollte ich mich nicht aufdrängen und dich dabei womöglich langweilen. Nur so viel: Meine Mutter lernte ich schon vor meiner Geburt kennen, meinen Vater erst danach. Obwohl ich mir hundertprozentig sicher bin, dass er ab und zu mal vorbeischaute. Hier!«, zeigte ich