Die Tugend von Tokyo. Götz T. Heinrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Götz T. Heinrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844227055
Скачать книгу
Iburo nickte. "Ein Student von der Metropolitan-Universität", berichtete er. "Personalien werden gerade aufgenommen."

       "Ausgezeichnet." Toritaka steuerte einen Platz am Straßenrand kurz vor der Einfahrt des Parkhauses an - um diese Uhrzeit war die Zufahrt schon lange geschlossen. "Wir werden nicht warten, bis die Verstärkung da ist. Sie sind an der Waffe ausgebildet, Iburo-san?"

       Der Polizist nickte. "Jawohl, Inspektor-san", bestätigte er, "aber im Dienst an einem Koban..."

       "Ich weiß", unterbrach ihn Toritaka, "sie tragen keine bei sich. Nehmen sie sich die Glock in meinem Handschuhfach. Munition liegt in den Magazinen direkt daneben."

       Langsam parkte der Inspektor den Wagen und sah Iburo zu, wie er die Waffe nahm, kontrollierte, sicherte und dann lud. Er steckte sie in seinen Gürtel, und Toritaka nickte. "Gut", sagte er, "sie haben sie eingesteckt, und da bleibt sie auch, bis ich etwas anderes sage." Die Glock war keine offizielle Dienstpistole, sondern ein Geschenk, das Toritaka beim Besuch einer ausländischen Polizeitruppe erhalten hatte, und er hätte es nicht gerne gesehen, wenn dieses Geschenk wirklich jemanden umgebracht hätte.

       Beide Polizisten verließen den Wagen, Toritaka schaltete die Wegfahrsperre ein, dann gingen sie die Auffahrt ins Parkhaus hinauf. Schon hier war zu hören, dass die Meldung nicht einfach frei erfunden gewesen war: das schrille Fiepen einer Autoalarmanlage hallte aus der Entfernung zu den beiden. Toritaka sah auf die Uhr: Einunddreißig Minuten nach Elf. "Um wieviel Uhr genau wurde das hier gemeldet?" erkundigte er sich.

       "Dreiundzwanzig Uhr und... dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Minuten", antwortete Iburo. "Ich habe den Ruf unverzüglich weitergeleitet. Warum fragen sie?"

       "Ich will abschätzen", erklärte der Inspektor, "ob unsere Täter noch hier sein könnten."

       Der Polizist schwieg kurz und lauschte. "Außer dem Alarmton höre ich nichts."

       Zustimmend nickte Toritaka. "Das bedeutet aber nicht", sagte er, "dass dort niemand ist. Es kann auch bedeuten, dass jemand der Polizei eine Falle stellen will. Und davon gehe ich hier aus."

       "Wieso das?" Iburos Gesicht zeigte deutliche Besorgnis.

       "Kein Licht", antwortete der Inspektor. "Es muss hier drinnen einen Sicherheitsdienst geben, der einen Autoalarm hört, ehe jemand außerhalb des Parkhauses davon etwas bemerkt. Im Polizeifunk kam keine Meldung, dass der Sicherheitsdienst hier im Parkhaus sich gemeldet hätte, also ist anzunehmen, dass das Wachpersonal hier die Sache selbst in die Hand nehmen will. Aber inzwischen sind mindestens acht Minuten vergangen, seitdem der Autoalarm gemeldet wurde. Genug Zeit für den Wachdienst, wenigstens das Licht einzuschalten, oder?"

       Der rangniedere Polizist schluckte und legte eine Hand auf die Pistole in seinem Gürtel. "Was... was machen wir jetzt?" wollte er wissen.

       "Licht", antwortete Toritaka, trat auf das Wachbüro direkt an der Einfahrtschranke zu und klopfte an die Milchglasscheibe am Eingang.

       Nichts geschah.

       Der Inspektor klopfte nochmal, und als niemand öffnete, ging er einen Schritt zurück, holte mit dem Fuß aus und trat kräftig mit der Ferse gegen das Schloss. Klirrend brach das dünne Metall auseinander und die Türe flog auf. Toritaka sah hinein: Leer. Ein Griff nach rechts schaltete die kleine Lampe im Büro ein. Es war ordentlich aufgeräumt, keine Anzeichen für einen Kampf waren zu erkennen. An der Rückwand hing der Dienstplan der Sicherheitsfirma, die für das Parkhaus zuständig war. Für montags war keine Nachtschicht eingetragen.

       "Entwarnung", seufzte der Inspektor. "Das Wachpersonal für heute abend wurde wohl bei den letzten Budgetkürzungen der Stadt eingespart. Verfluchte Wirtschaftskrise." Er sah sich kurz um, bis er den Hauptschalter für das Licht im Parkhaus entdeckt hatte und schaltete ihn ein. "Gehen wir."

       "Jawohl." Iburo war nun wieder sichtlich wohler zumute. "Wenn sie gestatten, Inspektor-san, der Alarm scheint nicht wirklich von hier drinnen zu kommen. Vielleicht hat das Parkhaus einen Hinterhof?"

       Toritaka nickte. "Gehen wir doch einmal nachsehen", sagte er und wandte sich in Richtung Treppenhaus um. Eine Türe mit der Aufschrift 'Personal' kam ihm vielversprechend vor; er rüttelte daran, aber sie war abgeschlossen. Er überlegte kurz. "Es muss einen Notausgang geben", sagte er dann, "der hinten zur Feuerwehrzufahrt führt und der nicht abgeschlossen werden darf. Suchen wir ihn."

       Beide Polizisten schritten im nun hell erleuchteten Parkhaus nebeneinander her, und es dauerte keine zwei Minuten, ehe sie die Ausschilderung zu einem Fluchtweg gefunden hatten. Zur Freude des Inspektors ging dieser ganz nach außen, wo er auf einer metallenen Feuertreppe im amerikanischen Stil endete. Das Geräusch des Autoalarms kam unzweifelhaft von hier unten. Ein orangenes Blinklicht, das neben ihm aufflammte, als er die letzte Tür öffnete, machte ihm klar, dass er wahrscheinlich soeben den Feueralarm des Parkhauses aktiviert hatte, aber das war kein Problem. "Iburo-san", sagte er, "sie haben ihr Funkgerät dabei?"

       Der hagere Polizist nickte. "Natürlich."

       "Dann melden sie hier einen irrtümlichen Feueralarm", ordnete Toritaka an. "Die Feuerwehr braucht nicht auszurücken. Und fragen sie nach, wo die Verstärkung von der Vier bleibt. Ich gehe runter."

       Ohne auf den zweiten Mann zu warten, schritt der Inspektor die Feuertreppe herunter. Dort unten war offensichlich niemand. Die blinkenden Scheinwerfer eines Autos waren schon von hier leicht zu sehen und erhellten den ganzen Platz halbwegs passabel. Es gab keine Versteckmöglichkeiten in der Gegend. Keine Gefahr.

       Je näher der Inspektor dem Auto kam, desto deutlicher konnte er erkennen, dass der Wagen schwer beschädigt war. Es handelte sich um einen Kombi, wahrscheinlich einen Dienstwagen der Parkhausverwaltung, und jemand hatte die Frontscheibe eingeschlagen und das Dach von oben eingedrückt. Als habe ein Sumoringer darauf den Bogentanz vorgeführt, kam es Toritaka seltsamerweise in den Sinn, doch dann war er nahe genug, und seine Augen hatten sich an die anderen Lichtverhältnisse genügend gewöhnt, dass er Details erkennen konnte, und sofort war jeder ansatzweise amüsante Gedanke aus seinem Kopf verschwunden.

       Die Person, die das Auto demoliert hatte, war noch hier. Sie lag auf dem Auto... eher darinnen, denn offenbar war sie von oben mit solcher Wucht auf dem Auto aufgeschlagen, dass sie das Hardtop-Dach teilweise zertrümmert hatte. Blut sickerte langsam über die unter dem Aufprall geborstene Frontscheibe. Das Blinklicht der Autoalarmanlage tauchte alles in ein gespenstisches Flackern.

       Tokyo, dachte Toritaka. Jemand begeht Selbstmord, und man meldet eine Ruhestörung und Vandalismus.

       Er blieb stehen, steckte die Hände in die Manteltaschen, und da stand er auch noch, als Minuten später endlich die Verstärkung vom Dezernat Vier eintraf.

      Dienstag, 6. April 2004, 11.16 Uhr

      In der "Metropolitan Police" waren die Aufgabenbereiche klar verteilt, und jedes Dezernat arbeitete nur an Fällen, für die es auch direkt zuständig war. Aus diesem Grund kam man bei der Polizeiarbeit gewöhnlich nicht mit Kollegen von anderen Dienstbereichen in Kontakt - mit einer Ausnahme: Dezernat 5, die Kriminalinspektion, musste immer dann hinzugezogen werden, wenn die auch nur entfernte Möglichkeit bestand, dass die anderen Dezernate bei ihrer Arbeit auf ein Kapitalverbrechen gestoßen waren, und das war bei einem Leichenfund grundsätzlich der Fall. Daher nannte man im internen Polizeijargon Tote "Fünfer", und die einzigen, die das nicht taten, waren vom Dezernat 7, der Abteilung für Organisierte Kriminalität.

       Inspektor Toritaka hatte noch am vorherigen Abend angeordnet, den Werkshof des Parkhauses abzusperren, in welchem man den Toten entdeckt hatte, und ein Sicherungskommando der Kriminalinspektion hatte die Leiche auch unverzüglich abtransportieren lassen und die erste Beweisaufnahme durchgeführt. Allerdings war das wirklich nur oberflächlich geschehen, und als Toritaka verwundert nachgefragt hatte, warum man denn noch keine richtige Spurensicherung durchführte, war die Antwort gewesen, dass man die wegen schlechter Lichtverhältnisse auf den kommenden Morgen verschob. Das war natürlich eine verdammte Ausrede - Dezernat 5 konnte innerhalb von einer halben Stunde den ganzen Innenhof mit Flutlicht ausstatten, wenn es notwendig war. Wahrscheinlich war Seniorsuperintendent Shirage, Leiter der Kriminalinspektion, einfach schon schlafen gegangen, und niemand hatte ihn so spät