KATENKAMP UND DER TOTE BRIEFTRÄGER. Detlef Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Detlef Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750225398
Скачать книгу
dass der Junge ihm diese Mitteilung nicht im Beisein der Mutter machen wollte. »Kannst du mir die Adresse geben? Ich werde mit der Frau reden müssen.«

      Jochen Randulke senkte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie sie heißt.«

      »Bitte?« Katenkamp sah den Jungen misstrauisch an. »Immerhin handelt es sich um eine wichtige Mitteilung.«

      Stimmte das wirklich? War die Mitteilung so wichtig? Jedenfalls war sie nicht unwichtig. Denkbar, dass Randulke mit dieser Freundin Probleme besprochen hatte, die er seiner Frau nicht zumuten wollte. Aber wenn sein Sohn den Namen der Freundin nicht kannte, dann spielte das nicht die entscheidende Rolle. Randulkes Kollegen würden den Namen schon wissen. Der Sohn hatte die Grundinformation geliefert. Alles andere würde sich finden.

      »Wie bist du darauf gekommen?«

      »Ach, das merkt man. Ich meine, Vater war manchmal so anders.«

      »Du meinst, er hatte ein schlechtes Gewissen.«

      »Ja.« Jochen Randulke nickte eifrig.

      »Das ist doch kein Beweis.«

      »Nein. Nur... Er kam einmal mit einer neuen Krawatte nach Hause. Die hätte er sich nie selbst gekauft. Und dann hatte er nach seinem Geburtstag eine neue Armbanduhr.«

      »Das besagt wenig. Warum soll er sich keine neue Armbanduhr kaufen?«

      »Das hat er auch gesagt. Ein Händler in seinem Zustellbezirk hat ihm einen unheimlich hohen Rabatt eingeräumt.«

      »Da hätten wir die Lösung schon.« Eine neue Armbanduhr besagte gar nichts. Der Junge machte sich jetzt wahrscheinlich alle möglichen Gedanken über seinen Vater und bauschte die geringfügigsten Beobachtungen zu Verdachtsmomenten auf. Oder er stand völlig auf Seiten der Mutter und hatte den Vater voll Misstrauen beobachtet. Jede Mark, die er ausgab, konnte der Mutter nicht mehr zugutekommen.

      »In seinem Zustellbezirk gibt es gar kein Uhrengeschäft. Ich hab das nachgeprüft.« Jochen Randulke strich sich verlegen die Haare aus der Stirn. »Ich habe ihm nicht richtig nachspioniert. Ich wollt’s einfach nur wissen.«

      Natürlich hatte der Junge seinem Vater nachspioniert. Aus welchen Gründen auch immer. Fest stand jedenfalls, dass Heinrich Randulke sich keine neue Armbanduhr kaufen durfte, ohne die Anschaffung umständlich begründen zu müssen und ohne, dass man seine Angaben auch noch nachprüfte.

      »Was hast du denn sonst noch herausgefunden?« Katenkamp trat näher an den Jungen heran. »Oder willst du behaupten, dass ich hier nur wegen dieser Krawatte und der Geschichte mit der Armbanduhr herumstehen musste?«

      Er spürte, wie sich sein Respekt vor der Trauer des Jungen in Aversionen verwandelte. Die Liebe zur Mutter entschuldigte doch nicht dieses Verhalten gegenüber dem Vater. Später würde Jochen Randulke sich dafür vielleicht einmal schämen. Aber das musste er mit sich ausmachen. Im Augenblick kam es darauf an, in dem Mordfall Randulke einen roten Faden in die Hand zu bekommen. Einen roten Faden, der möglicherweise zu einem Täter führte.

      »Nun komm mal mit der Hauptsache über.« Katenkamp hielt diesen typischen Verhörton jetzt für gerechtfertigt. »Es bleibt auch alles unter uns«, behauptete er. Ob sich das Versprechen dann enthalten ließ, würde sich zeigen.

      Jochen Randulke hielt das Einkaufsnetz locker an dem Ledergriff und ließ es vor seinen Knien pendeln. Dann knüllte er es wieder heftig zusammen. »Mein Vater hatte eine Freundin«, stieß er heftig hervor.

      »Das weiß ich ja nun schon«, entfuhr es Katenkamp. Mehr schien den Jungen wohl nicht zu interessieren. Psychologisch verständlich. »Wie heißt die Frau?« Eine Unterhaltung mit ihr führte möglicherweise auch keinen Schritt weiter. Wie die Dinge lagen, hatte Heinrich Randulke bestimmt nicht viel Zeit für die Frau erübrigen können. Ein Wunder, dass er es geschafft hatte, noch eine Beziehung anzuknüpfen. Sicher ein Bumsverhältnis mit einer einfachen Frau seines Alters. »Wie heißt die Frau?«, wiederholte Katenkamp.

      »Ich weiß es nicht.«

      »Das kannst du mir nicht einreden.«

      »Ich weiß es wirklich nicht.«

      »Dann sag mir, wo sie wohnt.«

      »Das weiß ich auch nicht.«

      »Und wie kommst du darauf, dass dein Vater eine Freundin hatte?« Vielleicht existierte die Frau nur in der Phantasie des Jungen.

      »Ich hab sie zusammen gesehen.«

      »Mehrfach?« Der Junge war imstande, aus einer zufälligen Beobachtung eine ganze Geschichte zu konstruieren. Enttäuschte Liebe kann die Phantasie intensiv beschäftigen. Auch enttäuschte Liebe zum Vater.

      »Ja. Ich weiß, es war nicht schön. Ich... Ich hatte nur Angst, dass Mutter etwas davon erfährt. Deshalb... Wenn er zu Versammlungen von der Postgewerkschaft ging... Da bin ich einige Male hinterher. Zweimal hat er sich bestimmt mit ihr getroffen... Ich hab Mutter immer erzählt, dass er wirklich zu den Versammlungen gegangen ist. Sie war immer so eifersüchtig. Deshalb hab ich mich auch bloß darauf eingelassen. Ich konnte ihn ja verstehen.«

      Ich habe dem Jungen Unrecht getan, dachte Katenkamp. »Wann fand das letzte Treffen statt?«

      »Vor zwei Wochen.«

      Jedenfalls handelte es sich da nicht um eine uralte Geschichte, die überhaupt nichts mehr versprach. »Wo haben sie sich denn getroffen?«

      »Vater ist mit der S-Bahn bis Farmsen gefahren und da zu ihr ins Auto gestiegen.«

      »Du hast dir nicht zufällig die Autonummer gemerkt?«

      »Nein. Ich bin nicht nah genug rangekommen. Er sollte ja nicht merken, dass ich...«Jochen Randulke fuhr sich mit der Hand über die Augen.

      »Schon gut. An den fraglichen Abenden fanden wirklich keine Versammlungen statt?« Eine Kollegin nimmt Randulke in ihrem Wagen mit zu einer Versammlung, der Sohn lässt seine Phantasie spielen, und die Kripo startet eine mehr oder weniger große Suchaktion. Das fehlte gerade noch.

      Jochen Randulke schüttelte den Kopf. »Nein. Bestimmt nicht.«

      »Was für einen Wagen fuhr die Frau?«

      »Einen Mercedes.«

      Das sprach allerdings gegen eine Kollegin. In Postgewerkschaftskreisen fuhr man kaum einen Mercedes. Der Mercedes sprach aber auch gegen ein Verhältnis mit einer Frau aus Randulkes Kreisen. Briefzusteller führt Doppelleben... Das war vielleicht eine schöne Überschrift für die Boulevard-Presse, nur keine Arbeitshypothese. Oder etwa doch? Der Henker mochte wissen, welche Qualitäten Heinrich Randulke als Mann aufzuweisen hatte. Der Tote wirkte abgearbeitet und frühzeitig gealtert. Andererseits besagte ein Mercedes noch gar nichts. Nicht alle Mercedes-Fahrerinnen sind jung und hübsch. Zunächst galt es, die Frau zu finden.

      »Kannst du die Frau beschreiben?«

      Jochen Randulke antwortete schnell. »Sie sieht nach Geld aus. Ich meine, sie hatte einen Pelzmantel an. Sehr jung ist sie nicht mehr. Ja, sonst...« Er überlegte. Schließlich machte er eine vage Handbewegung. »Nicht gerade schlank.«

      Eine erschöpfende Personenbeschreibung sah anders aus. Aber die Frau hatte in einem davonfahrenden Auto gesessen. Jedenfalls schien Heinrich Randulke keiner jungen, eleganten Frau verfallen gewesen zu sein. Warum auch? Was hätte er einer jungen Frau schon bieten können? Aber wie sonst war es zu diesem ungleichen Verhältnis gekommen? Der Briefträger und die Frau im Mercedes. Wer konnte da wem nützlich sein? Zunächst kam es darauf an, die Frau ausfindig zu machen. Unwahrscheinlich, dass es sich bei ihr um die Täterin handelte. Frauen neigen nicht zum Mord auf offener Straße. Und wenn man von der Ausnahme ausging? Dann kam als Tatmotiv Eifersucht in Frage. Ein höchst unwahrscheinliches Motiv. Heinrich Randulke hatte Schwierigkeiten genug gehabt, diese eine Freundin vor seiner Familie zu verheimlichen, geschweige denn eine zweite. Absurd, sich vorzustellen, dass Randulke dieser Frau versprochen haben könnte, sich scheiden zu lassen, und nicht bereit gewesen war, das Versprechen einzulösen. Einstweilen führten alle Überlegungen nicht zu dem ersten wesentlichen Punkt aller