KATENKAMP UND DER TOTE BRIEFTRÄGER. Detlef Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Detlef Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750225398
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Fälle, die sich innerhalb weniger Stunden aufklären. Sie machen keine Eintragungen in ein Notizbuch erforderlich, sondern nur ein Vernehmungsprotokoll.

      »Ihr Mann hieß mit Vornamen?« Hätte er nicht besser heißt sagen sollen?

      »Heinrich.«

      »Er war wie alt?«

      »Zweiundfünfzig.«

      Wie er da tot in dem Hauseingang lag, sah er älter aus, dachte Katenkamp. Macht der Tod den Menschen älter? Oder war Heinrich Randulke an der Seite dieser kranken Frau nur schnell gealtert? Sie muss schon länger leidend sein. Eine kranke Frau zu haben, das kann einem Mann Sorgen machen und ihn altern lassen... Wenn Erika chronisch krank wäre, oder Jonathan? Er schob den Gedanken beiseite.

      »Seit wann ist er bei der Post beschäftigt?«

      »Von Anfang an. Gleich nachdem er aus Ostpreußen gekommen ist. Aus Polen«, verbesserte sie sich. »Er war Spätaussiedler und konnte damals gleich bei der Post anfangen.«

      »Hatte Ihr Mann Feinde?« Er musste die Frage stellen, obwohl er sich nicht denken konnte, warum ein Briefträger Feinde haben sollte. Noch dazu welche, die ihn am hellen Sonnabendvormittag erschossen.

      Die Frau schüttelte den Kopf. Ihre rechte Hand tastete nach dem Stock. »Nein«, sagte sie. »Er war überall beliebt. Hier bei den Nachbarn und auch bei den Kollegen.«

      »Bitte denken Sie genau nach.« Es war eine Verlegenheitsfrage. Die Frau verließ die Wohnung vermutlich kaum noch und wusste über ihren Mann nur, was er ihr erzählte. Das brauchte nicht viel zu sein. »Gehörte Ihr Mann einem Verein oder dergleichen an?« Auch keine vielversprechende Frage, aber er brauchte Menschen, die mehr über Heinrich Randulke wussten als diese Frau.

      »Er war in der Postgewerkschaft. Sonst hat er sich um nichts gekümmert.«

      »Kam er manchmal außergewöhnlich spät vom Dienst zurück, oder verließ er das Haus zu ungewöhnlichen Zeiten?«

      »Er war immer pünktlich und ging dann auch nie wieder fort. Er wusste ja, dass ich ihn brauche.« Die Frau holte ein Taschentuch unter dem Plaid hervor. Sie benutzte es nicht, sondern zerknüllte es in der Hand.

      »Hat er getrunken?« Katenkamp bereute die Frage. Wenn Heinrich Randulke ein Trinker gewesen war, dann wussten seine Kollegen das besser als diese bedauernswerte Frau.

      »Nie. Dazu neigte er nicht. Dazu hätte das Geld bei uns auch nicht gereicht.«

      »Frau Randulke, Sie haben sich sicher Gedanken darüber gemacht, wie das passieren konnte. Wenn Sie irgendeine Vermutung haben, dann sprechen Sie sie bitte aus. Sie brauchen nicht zu befürchten...«

      »Ich habe keine Erklärung dafür.« Sie presste die Lippen aufeinander und wandte den Kopf ab.

      Er glaubte ihr.

      Ob der Täter weiß, was er mit diesem Mord angerichtet hat?

      Warum muss ich auch bei der Tötung landen? Wir werden immer mit dem größten menschlichen Elend konfrontiert. Gegen Einbruch kann man sich versichern, und manchmal tauchen die gestohlenen Gegenstände auch wieder auf. Ein Toter wird nie wieder lebendig. Wir können nur verhindern, dass der Täter wieder tötet. Und auch das nicht immer.

      Der Sohn stand an dem Wohnzimmertisch mit der unechten Kristallschale darauf. Er sah Katenkamp nicht mehr so feindselig an wie zu Beginn der Befragung.

      »Kannst du etwas dazu sagen?« Katenkamp hatte bei dem Sie bleiben wollen; das Du war ihm herausgerutscht. Er bedauerte es. »Wie heißt du?«

      »Jochen. Nein, ich weiß auch nichts.« Es klang etwas trotzig. Aber wahrscheinlich riss der Junge sich nur zusammen, um nicht weinen zu müssen.

      »Ja, dann...« Katenkamp klappte das Notizbuch mit den wenigen Eintragungen zu. Was hatte er auch erwartet? Dass man ihm wenigstens einen Verdächtigen lieferte? Er wusste es nicht. »Sollte Ihnen noch etwas einfallen...« Eine Floskel. »Wir werden unser Möglichstes tun.« Auch eine Floskel. Natürlich würde er sein Möglichstes tun. Dazu war er verpflichtet. Und außerdem wollte er nicht, dass sein erster Fall unaufgeklärt blieb. Teamarbeit oder nicht - intern ist für einen Fall doch immer jemand federführend; bei einem laufen die Fäden zusammen... Diesmal bei ihm. Aber wenn es nun keine Fäden gab? Katenkamp erhob sich. Er deutete eine Verneigung an. Hier ist kein Trost zu spenden, dachte er.

      »Ich bringe Sie nach draußen«, sagte Jochen Randulke.

      »Danke.«

      Der Sohn zog die Wohnungstür hinter sich ins Schloss. »Vater...« Er zögerte. Mit der Schuhspitze bohrte er in den Borsten der Fußmatte vor der Wohnungstür. Sein Blick schien sich nicht von Katenkamps Schlipsknoten lösen zu können. »Es hat bestimmt nichts damit zu tun.« Jochen Randulke brach wieder ab.

      Ich muss es ihm leicht machen, dachte Katenkamp. Er weiß etwas über seinen Vater, aber er will seine kranke Mutter schonen. Wir dürfen hier nicht zu lange stehen, sonst wird sie misstrauisch. »Kannst du in zehn Minuten unten an der Ecke sein? Ich warte dort auf dich.«

      Jochen Randulke nickte. Er strich sich die Haare aus dem Gesicht. Die Andeutung eines Lächelns hob seine Mundwinkel. »Das geht«, sagte er. »Ich muss sowieso einkaufen.«

      »Gut. Ich warte.«

      An der Ecke befand sich ein Edeka-Laden. Katenkamp wartete vor dem Geschäft. Die Schaufensterscheibe war mit Plakaten für Sonderangebote fast völlig zugeklebt. Viel wird der Junge nicht wissen, dachte er. Was wissen Söhne schon über ihre Väter? Aber er weiß bestimmt mehr als die Frau. Zumindest ist sie nun eine Beamtenwitwe. Irgendwann wird sie das als schwachen Trost empfinden. Viele Frauen in ihrer Lage wären jetzt auf das Sozialamt angewiesen. Ist das nun zynisch gedacht oder nur realistisch?

      Er sah auf die Uhr. Der Fall wird mit viel Lauferei verbunden sein. Später werde ich mich mit Randulkes Vorgesetzten und Kollegen unterhalten müssen. Himmel, warum erschießt jemand einen Briefträger? Oder hat die ganze Geschichte gar nichts mit Randulkes Beruf zu tun? Möglich ist alles. Ein eifersüchtiger Mann vermutet, dass seine Frau ein Verhältnis mit dem Postboten hat, und legt ihn einfach um. Dann wäre der Täter im Zustellbezirk Randulkes zu suchen. Oder es bekommt jemand laufend Mahnungen und macht Randulke dafür verantwortlich. Ein Verrückter, der für sein Unglück den Überbringer der schlechten Nachrichten verantwortlich macht. Wie in der Antike, als Könige die Unglücksboten hinrichten ließen. Auch dann müsste der Täter in Randulkes Zustellbezirk zu suchen sein... Es wird darauf hinauslaufen, dass wir alle Häuser durchkämmen, die Randulke zu bedienen hatte. Also muss ich auch mich befragen. Ich wohne in seinem Zustellbezirk... Idiotisch. Jochen Randulke hatte das schwarze Einkaufsnetz wie einen Boxhandschuh um die linke Hand gewickelt. Er führte einen wütenden Schlag in die Luft aus.

      Hoffentlich hat er es sich nicht anders überlegt, dachte Katenkamp. Niemand kann ihn zwingen, Nachteiliges über seinen Vater zu sagen. Ich hätte mich auf das Treffen vor diesem Laden nicht einlassen sollen. In solchen Situationen muss man am Ball bleiben.

      »Was liegt denn nun an?«, fragte er viel zu aggressiv, als Jochen Randulke vor ihm stand.

      »Es hat bestimmt nichts damit zu tun. Nur...«

      »Das entscheiden wir.« Schon wieder reagierte er zu heftig. So schüchterte er den Jungen nur ein. Wo war sein Verständnis für die Trauer des Jungen geblieben? Hatte sich vor diesem Laden der Gedanke in ihm eingenistet, unter Erfolgszwang zu stehen? Wahrscheinlich. »Du wolltest mir was sagen.« Das hörte sich etwas versöhnlicher an. »Ich werde gegebenenfalls verhindern, dass deine Mutter etwas davon erfährt.« Ein leichtsinniges Versprechen. Schließlich wusste er noch nicht, worum es sich handelte.

      Jochen Randulke wickelte das Einkaufsnetz von der Faust. »Mutter ist schon lange krank. Ich meine...« Das Einkaufsnetz wurde jetzt zusammengeknüllt.

      Katenkamp zwang sich zu geduldigem Zuhören.

      »Sie werden verstehen«, sagte Jochen Randulke. »Vater hatte eine Freundin.«

      Und ob er das verstand. Der Mann hatte jahrelang neben