KATENKAMP UND DER TOTE BRIEFTRÄGER. Detlef Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Detlef Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750225398
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ist sein Liebling nicht anwesend«, flüsterte jemand im Hintergrund. »Gleich fängt er an zu heulen.«

      Weber drückte das Kreuz durch. »Meine Herren«, sagte er mit erhobener Stimme, »um das vielleicht klarzustellen und auch, weil der Mann nicht anwesend ist: Herr Katenkamp ist nicht mein Liebling. Aber er ist ein verdammt guter Polizist. Und deshalb hab ich mich in der oberen Etage um seine Wiedereinstellung bemüht. Weil wir Leute wie ihn brauchen.«

      »Ach - der war früher schon mal...?«, fragte der im Hintergrund.

      »Ja, der war früher schon mal«, äffte ihn Weber zornig nach. »Und dann war er nicht mehr, weil zwei Zuhälter gegen ihn ausgesagt haben. Und wenn nicht einer von denen kürzlich umgefallen wär - ich weiß nicht warum; wird wohl schon wieder mal ’n Kuhhandel dahinterstecken -, ja, dann wäre Katenkamp nicht so fix Kommissar geworden. Dann wär er vielleicht heute noch Warenhausdetektiv. Ich dachte, das sei allgemein bekannt.«

      »Naja.« Klapprodt wollte Öl auf die Wogen gießen. »Schließlich hat dir ja keiner Günstlingswirtschaft vorgeworfen...« Er merkte, dass er sich nicht besonders glücklich ausgedrückt hatte und verstummte abrupt.

      »Du hast das natürliche Taktgefühl eines Panzernashorns«, sagte Weber, schon wieder friedlich. »Nichts für ungut, allerseits. Das eben, das hab ich als Privatmann gesagt, schon im Besitz meiner Entlassungsurkunde.«

      Er nahm einen Schluck aus dem Whiskyglas. »Morgen ist Sonntag, da können Sie ausschlafen.«

      »Wenn man uns lässt«, murmelte jemand.

      »Ich danke dir«, sagte Klapprodt. »Auch wenn du schon als Privatmann gesprochen hast, das musste mal zum Ausdruck gebracht werden. Sonst hätte ich dafür Worte finden müssen... Prost! Auf deinen Ruhestand. Ich bin überzeugt, du wirst unsere Arbeit mit Interesse verfolgen und uns deinen Rat auch in Zukunft nicht vorenthalten. Nochmals: Prost.«

      Es erklang ein allgemeines Prost.

      »Jetzt wird mir das zu feierlich«, erklärte ein junger Beamter. »Hört sich an wie beim Kaninchenzüchterverein.« Er griff sich eine Käseschnitte und verließ den Raum.

      Als Katenkamp bei der Abschiedsfeier auftauchte, befanden sich nur noch sechs Leute in dem Zimmer.

      »Na?«, fragte Weber. »Es geht mich zwar nichts mehr an; trotzdem reagiert das alte Kavalleriepferd noch prompt auf die Signale... Bedienen Sie sich.«

      Katenkamp hebelte den Verschluss von einer Bierflasche. »Der Mann ist aus nächster Nähe erschossen worden. Zwei Schüsse von hinten. Keine Zeugen. Jedenfalls hat sich niemand gemeldet.«

      »Raubmord?«, erkundigte sich Klapprodt.

      »Schwer zu sagen. Von den persönlichen Gegenständen scheint nichts zu fehlen. Und ob von den Briefen einer fehlt, wird sich kaum feststellen lassen. Wir können seinen Bezirk abklappern und fragen, ob jemand Post erwartet und nicht erhalten hat.«

      »Das bringt nicht viel«, sagte Weber. »Hätten Sie sich für den Anfang keinen besseren Fall aussuchen können? Ein erschossener Briefträger! Immerhin hat die Geschichte Seltenheitswert. Seitdem es keine Geldbriefträger mehr gibt, brauchen die Herren eigentlich nur noch vor bissigen Hunden Angst zu haben. Außerdem wurden auch Geldbriefträger nie erschossen. Die schlug man einfach nieder.«

      Er ist betrunken, dachte Katenkamp. Weber und betrunken. Das hat’s noch nie gegeben.

      »Nun suchen Sie mal schön nach einem Motiv«, fuhr Weber fort. »Ich kann mir keins vorstellen.«

      Clausen von der Spurensicherung sah über seine Nickelbrille hinweg und kratzte sich am linken Ohr. »Vielleicht wollte jemand... Wie ist das eigentlich? Wenn ich einen Brief aufgebe und will den zurückhaben? Muss der Postbote mir den aushändigen? Vorausgesetzt, ich kann mich als Absender ausweisen?«

      »An und für sich schon«, sagte Hempel. Er saß auf Webers Drehstuhl. Vor ihm stand ein Pappbecher voll Cognac. »Immerhin bin ich der Eigentümer des Briefes. Oder?« Er malte mit dem rechten Zeigefinger ein Fragezeichen in die Luft.

      »An und für sich...«, nuschelte Heidelbach. »Aber wer weiß denn, wie die postalischen Bestimmungen aussehen? Außerdem bringt uns das auch nicht weiter. Es bleibt sich gleich, ob wir einen Empfänger oder einen Absender suchen.«

      »Bier oder gleich einen Whisky?«, fragte Weber. »Whisky ist besser. Wegen der Anfangsgeschwindigkeit. Wir haben alle ziemlich Vorsprung.«

      Katenkamp warf Klapprodt einen fragenden Blick zu. Ob es einen schlechten Eindruck machte, wenn er als Neuling bei der Mordkommission mehr trank als nur Bier? War er nicht verpflichtet, sofort einen ersten Bericht zu Papier zu bringen?

      »Wenn Sie auf Whisky stehen - bitte!«, sagte Klapprodt. »Vielleicht inspiriert das schottische Zeug Sie ja.«

      »Ich wollte nur schnell mal reinschauen«, sagte Katenkamp. »Bevor hier alles vorbei ist.« Er suchte nach einer Flasche mit Sodawasser. Ausgerechnet heute übertrugen sie ihm seinen ersten Fall.

      »Hier gibt es nur Alkohol. »Weber hielt ihm einen Becher voll Whisky hin. »Sie werden den Stoff schon ungebremst auf mein Wohl trinken müssen.«

      Dieser Abschiedsfeier für Weber verdankte er es nur, dass man ihn an den Fall rangelassen hatte. »Prost«, sagte er. Von den alten Kollegen wollte keiner fehlen, wenn Weber verabschiedet wurde. »Prost«, wiederholte er. Und nun hatte er den ersten Fall am Hals, der in Klapprodts Ära fiel. Und Klapprodt dachte sicher nicht daran, seine Amtszeit als Leiter der Mordkommission mit einem unaufgeklärten Fall zu beginnen. Auch wenn er nicht gerade vor Ehrgeiz umkam - einen solchen Start wünscht sich niemand.

      »Gab es Augenzeugen?«, fragte Heidelbach.

      »Nee. Hab ich doch schon gesagt. Der Täter muss dem Mann aufgelauert haben. Direkt im Hauseingang.« Der Whisky war lauwarm. Katenkamp schüttelte sich nach dem ersten Schluck.

      »So hätt ich’s auch gemacht«, sagte Klapprodt. »Das hilft uns bloß nicht weiter.«

      »Keine Kampfspuren«, referierte Katenkamp weiter. »Soweit sich das bereits sagen lässt, war der Mann damit beschäftigt, Post in die Briefkästen zu verteilen, als der Täter schoss - vermutlich vom Vorgarten aus.«

      Weber hustete. Er klopfte sich auf den Brustkorb. »Ruhe da drin!«, rief er. »Ich will nicht an Lungenkrebs verrecken. Jetzt auch nicht mehr.« Dann sah er Klapprodt an. »Hoffentlich kriegt ihr es nicht mit einem Killer zu tun. So einem, der sinnlos draufhält. Davor hatte ich immer Angst.«

      »Mal den Teufel nicht an die Wand«, antwortete Klapprodt. Zu Katenkamp: »Haben Sie die Hausbewohner befragt?«

      »Ja. Soweit sie anzutreffen waren. Ein Rentnerehepaar im ersten Stock. Im zweiten Stock trafen wir eine Mutter mit drei Kindern an. Oben wohnt ein Schauspieler. Der lag noch im Bett. Keiner hatte zur fraglichen Zeit Besuch. Und der Schauspieler hätte es nicht geschafft, nach der Tat wieder ungesehen in seine Wohnung zu gelangen. Es ist übrigens in meiner unmittelbaren Nachbarschaft passiert.«

      »Das war auch Ihr Briefzusteller?«, fragte Heidelbach.

      »Ja.«

      »Haben Sie mit dem Mann mal ein paar Worte gewechselt?«

      »Nein. So lange wohnen wir da noch nicht. Die Post kommt auch erst am späten Vormittag. Da bin ich längst unterwegs.« Nach dem zweiten Schluck Whisky schüttelte Katenkamp sich nicht mehr. Trotzdem setzte er den Pappbecher ab. »Ich werde mich um die Familie kümmern müssen. Der Mann wohnt draußen in Sasel. Es war kein großer Umweg, eben mal hier reinzuschauen.«

      Es war schon ein Umweg, dachte Katenkamp. Aber ich wollte mich wenigstens bei der Abschiedsfeier für Weber sehen lassen. Ich verdanke Weber zu viel. Ich kann nicht so tun, als ginge er mich ab sofort nichts mehr an. Und an Webers letztem Tag muss ich meinen ersten Fall kriegen. Einen hoffnungslosen, wie es scheint. Weber beendet heute eine erfolgreiche Karriere, und meine ist möglicherweise beendet, bevor sie begonnen hat... Ich hab kein gutes Gefühl bei dieser Geschichte. Hätte nicht ein Pennbruder seinen Saufkumpan erschlagen