KATENKAMP UND DER TOTE BRIEFTRÄGER. Detlef Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Detlef Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750225398
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zu können. Ich habe ihn herausgezogen. Adressiert an Herrn Kriminalkommissar Gernot Katenkamp. Kein Absender... Was kümmert mich der Absender. Für mich ist nur der Empfänger interessant. Eine etwas ungelenke Handschrift. Erstaunlich ungelenk. Wirkte wie verstellt.

      Trotzdem sitze ich in der Falle. Gar keine Frage; die haben den auf mich angesetzt. Der Brief war ein Regiefehler.

      An der Wohnungstür steht nur G. & E. K. Nicht Kriminalkommissar und auch nicht Katenkamp, geschweige denn Gernot.

      Überhaupt, Katenkamp. Und dann auch noch Gernot... Das sieht denen vom Bundeskriminalamt ähnlich. Wenn die anfangen zu denken, dann kommt was Apartes bei raus. Als die uns damals nach der Aktion in Frankfurt gejagt haben, lief die Großfahndung unter dem Decknamen Butterblume. Dünnholz ist damals dabei draufgegangen. Auch in einer konspirativen Wohnung. Lebe ich in einer konspirativen Wohnung? Im Gegenteil. Ist auch egal. Jedenfalls machte Dünnholz die Tür auf, und dann ballerten sie auch schon los. Dabei wussten die genau, dass er unbewaffnet war. Die Wohnung zehn Wochen lang beobachten und dann trotzdem voll draufhalten. Schweine.

      Wer weiß, wie lange sie mich schon beobachten.

      Aber mich besucht niemand. Das ist so ausgemacht. Ich will durch nichts auffallen. Ich darf nicht auffallen. Sogar das Radio stell ich leise. Es soll sich niemand über mich beschweren. Es kann an Kleinigkeiten liegen, dass sie auf mich aufmerksam werden, auf den

      Lageristen Karsten Welowczyk... Eigentlich ist die Wohnung für einen Lageristen schon zu teuer. Aber ich arbeite in einer Arzneimittelgroßhandlung, und die bezahlen den ehemaligen Pharmaziestudenten nicht schlecht. Aber auch nicht so gut.

      Was soll’s. Auf meiner polizeilichen Anmeldung steht als Beruf (Angestellten. Das kann alles sein... Nun nicht mehr. Wenn die mich beobachten, dann wissen sie auch, wo ich arbeite. Dann wissen sie auch, dass sich ein Lagerist bei Dose & Wienhöft die Wohnung eigentlich nicht leisten kann. Lagerist - eine ziemlich stupide Arbeit. Der Job sollte ein Übergang sein, um mich wieder in das bürgerliche Leben einzuschleusen... Alles vorbei. Sie haben mich. Es ist nur die Frage, wann sie zuschlagen. Spätestens dann, wenn sie merken, dass zwischen mir und den Genossen keine Verbindung mehr besteht.

      Seit vier Monaten weiß ich nicht mehr, was die Genossen machen. Hoffentlich wissen sie auch nicht, was ich mache. Sie würden mich umlegen. Ich weiß, dass sie es beschlossen haben. Konsequenterweise ganz automatisch beschlossen haben müssen. Es darf keiner aussteigen. Aussteiger verraten nicht nur die Sache der Revolution, sie verraten auch Tatsachen. Wie Koppel, der jetzt in jedem Prozess seinen großen Auftritt als Zeuge hat und auspackt. Ein Toter ohne Bewährungsfrist. Irgendwann erwischen sie ihn. Das Bundeskriminalamt kann ihn nicht ewig bewachen. Irgendwann hat er als Zeuge ausgedient, und dann lassen sie ihn fallen. Sie werden versuchen, ihm eine neue Identität zu verschaffen. Bestimmt gelingt es auch denen nicht, einem Mann zu einer neuen Identität zu verhelfen.

      Ich habe es auf eigene Faust versucht und bin gescheitert. Ich hätte Koppels Rolle spielen können. Ich wollte nicht. Schließlich hab ich an die Sache geglaubt, ich, der Sprengstoffexperte der AAA... Mir ist der Glaube an die Revolution abhandengekommen, wie einem Priester der Glaube an die leibliche Himmelfahrt der Jungfrau Maria abhandenkommt. Zurück bleibt die große Leere.

      Ich weiß nicht, ob sie sich irgendwann wieder auffüllt. Wahrscheinlich gibt es den Weg zurück gar nicht. Man bleibt im Niemandsland zwischen den Welten hängen. Alle Wertvorstellungen sind zerstört. Man glaubt nicht mehr an die Revolution, aber man glaubt auch nicht mehr an die sogenannte bürgerliche Ordnung. Man weiß sogar, dass sie zerstört werden muss, aber man will sich dabei die Hände nicht schmutzig machen... Weil man weiß, dass die Revolution das Maß der Ungerechtigkeit nicht verringert. Weil man selbst ein Scheißbourgeois ist, tief drinnen.

      Ich habe lange gebraucht, um das zu erkennen. Macht kaputt, was euch kaputt macht - das konnte ich noch unterschreiben. Gewalt gegen Sachen, keine Gewalt gegen Menschen - hinter der Parole konnte ich noch stehen. Ich habe damals den Sprengsatz in das Nürnberger Warenhaus geschmuggelt. In den Augen der Genossen eine Heldentat. Eine unserer ersten. Tatsächlich war es ein Kinderspiel. Jeder Kunde will einen Koffer vor dem Kauf auch von innen sehen. Ich habe den braunen Lederkoffer geöffnet und den Sprengsatz darin deponiert. Es war kurz vor Geschäftsschluss, und wir wussten, dass sich zum Zeitpunkt der Detonation niemand mehr in dem Warenhaus befinden würde.

      Dann kam unsere erste Entführung. Schön, dabei musste ich nur die Kreuzung blockieren, damit die Genossen den Bankmenschen ungestört abtransportieren konnten. Gut, ich habe die Kreuzung blockiert. Nur anders als geplant. Viel besser. Ich war viel zu nervös, um den Unfall planmäßig herbeizuführen. An der Ampel hab ich vor lauter Aufregung den Motor abgewürgt. Der hinter mir konnte noch bremsen, aber sein Hintermann ist auf ihn aufgefahren. Deshalb war ich bei dem ganzen Unfall sofort aus dem Schneider. Die falschen Papiere hätte ich gar nicht nötig gehabt. Damals hieß ich Günther Eckesheim, und der Wagen war auch auf diesen Namen zugelassen.

      Später hielten wir uns mit solchen Feinheiten nicht mehr auf. Da wurde nicht mehr entführt, sondern gleich hingerichtet. Die Entführung hat wenig gebracht. Man ist auf unsere Forderungen nicht eingegangen. Die beiden Genossen blieben in Haft. Zwei Genossen. Wie viele sitzen heute? Hoffentlich weiß es wenigstens die Bundesanwaltschaft. Ich habe den Überblick verloren. Emma und Günther sitzen immer noch. Wenn sie Glück haben, überleben sie die fünfzehn Jahre Knast.

      Billiger käme ich auch nicht davon. Den Mord an dem CDU-Abgeordneten können sie mir nicht anhängen. Dafür sitzt Werner schon. Er hat alles auf seine Kappe genommen, um uns zu schützen. Bei dem Prozess ging man zwar davon aus, dass es mindestens einen Mittäter gab, nur konnten sie es nicht beweisen. Es gab einen Mittäter. Mich. Zwar habe ich nicht geschossen, doch wenn Werner erfährt, dass ich ausgestiegen bin, dann packt er aus. Er müsste es eigentlich schon wissen. Die Verbindung zu unseren Leuten im

      Knast reißt nicht ab. Sobald ich auch drin bin, werden die inhaftierten Genossen gegen mich aussagen. Dann machen sie mich auch für den Fall Wendel-Forgach verantwortlich. Wendel-Forgach war bei zwei Verfahren gegen unsere Leute der Anklagevertreter. Als er mit seinem Wagen in die Luft flog, spielte die Justiz verrückt. Sie konnten es sich nicht bieten lassen, dass wir anfingen, den Apparat lahmzulegen. Kann man mir die Sache Wendel-Forgach anhängen? Man kann. Ich habe den Zünder für die Bombe gebastelt.

      Seit Wendel-Forgach begann eigentlich der Terror. Damals fing ich an, zu begreifen, dass wir gar nichts bewirkten. Mit Terroraktionen lässt sich die Verbindung zu den Massen nicht herstellen. Uns fehlt die Verbindung zur Basis. Niemand außer uns will die Revolution. Die Massen nörgeln nur an einem Staat herum, mit dem sie grundsätzlich einverstanden sind. Aus der Illegalität heraus lassen sich die Massen nicht aufrütteln. Durch Morde lassen sie sich nicht zum Nachdenken bewegen. Sie fangen nur an, nach dem starken Mann zu rufen. Unsere Bewegung leitet nur Wasser auf die Mühlen der Ultrakonservativen. Einige von uns erkannten das. Marianne zum Beispiel. Leider sprach sie den Gedanken auch aus. Wenig später flog sie in einem syrischen Ausbildungslager mit einer Handgranate in die Luft. Ich glaube nicht an einen Unfall. Marianne wusste, was eine Handgranate ist, und sie konnte damit umgehen.

      Kurz darauf sollte ich nach Syrien. Zu einer Sonderschulung. Es ging um Minen. Vor einem Staatsbesuch sollte der Platz an einem Ehrenmal für die Opfer des Krieges vermint werden. Man wollte zwei Staatschefs und eine halbe Regierungsmannschaft in die Luft fliegen lassen. Ich muss man sagen, denn da hatte ich mich innerlich bereits von der AAA abgesetzt. Nach Mariannes Unfall wollte ich auch nicht mehr nach Syrien. Aus Angst. Ich wusste nicht, ob die Genossen bereits misstrauisch geworden waren. Vielleicht. Ich wusste nur, dass wir auf dem falschen Weg waren. Es gab bei uns keinen, mit dem ich darüber reden konnte. Ich musste handeln, ohne mich absichern zu können. Ich konnte vor meinem Absprung kein Auffangnetz spannen. Ich hätte mich zwar der Polizei stellen können. Aber den Knast betrachte ich nicht als Auffangnetz. Es blieb mir nur die Möglichkeit, in Paris in die falsche Maschine zu steigen.

      Als ob das so einfach gewesen wäre. Die Tante am Flughafenschalter wollte mein Ticket nicht umschreiben. Später war ich ihr dankbar. Wer einen Flug nach Damaskus umbucht, fällt auf. Also bin ich bei der Zwischenlandung in Rom einfach von Bord gegangen. In Rom kann man leicht für ein paar Tage untertauchen. In Rom wimmelt es von Touristen.