Im Galopp durchs Nadelöhr. Gabriele Plate. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Plate
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745067972
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die verlorene Mühe eines ihm unbekannten Kleinbauern? Hier am Ende der Welt, im Norden Perus, wenige Stunden Fahrt zur Grenze nach Ecuador. Wieso bedauerte er den Untergang einer Landschaft, die ihn nichts anging?

      Er war leitender Angestellter einer deutschen Baufirma, die hier ihren Auftrag ausführte. Das alleine ging ihn etwas an, schließlich war ja dieses Projekt ins Leben gerufen worden, um den Wasserhaushalt dieser Gegend zu regulieren. Was gab es da zu bedauern. Und doch, er bedauerte es.

      Er hätte gerne mit Luz del Mar darüber gesprochen. Was hielt sie davon, ihre Heimat erst einmal für viele Jahre, vielleicht mehr als ein Jahrzehnt, verunstaltet und verändert zu wissen. Er wusste, dass Abgesandte der Regierung durch die Dörfer gezogen waren, als Aufklärer und Boten des Fortschritts. Der Staudamm brächte nur Gutes, wurde behauptet. Die nötige Berechenbarkeit und Eindämmung der Niederschläge, dann gäbe es auch keine unkontrollierbaren Zerstörungen mehr. Genug Wasser würde trotzdem zur Verfügung stehen, das ganze Jahr über, es gäbe dann keine Dürrezeiten für die Anbaugebiete mehr. Dafür allerdings, musste man erst einmal Einiges zerstören, doch das erwähnten sie nicht. Die meisten Bauern waren skeptisch. Einige, die lesen und schreiben konnten, hatten andere Informationen. Hunderte von Häusern, ganze Dörfer, hieß es, die oberhalb in der Nähe des Damms lagen, würden für immer in dem Stausee verschwinden. Ausradiert, die Kirche unten im See, der Dorfplatz und das Heim.

      Das war für die meisten Dörfler unvorstellbar, man munkelte von Zwangsenteignungen und Umsiedlungen, die bei anderen Dammbauten getätigt worden waren. Die Familien kämen in Notunterkünfte. Die Entschädigungen wären zu gering, um damit neues Land zu erwerben. Der Löwenanteil der genehmigten Soles für die Umsiedler, verschwand in korrupten Händen, das war bekannt. Preise stiegen in die Höhe, und einige Wenige bereicherten sich an der Armut.

      Trotzdem, der Widerstand war gering, man glaubte nicht so recht an die Propaganda der Staudammgegner. Es war alles so unvorstellbar. Wohin mit dem Büffel in einer Notunterkunft in der Stadt? Am besten, man wartete ab. Wie immer.

      Das neue Flussbett des „Jeque de Peque“ war schon geschoben worden, man setzte zur letzten Blockade des alten Flusslaufes an. Dieser natürliche Lauf versiegte wie geplant, das Wasser schob sich Kilometer, weit entfernt von den Feldern, durch nicht kultiviertes Gebiet. Die künstlichen Kanäle wurden nicht mehr gespeist, sie versiegten und die Felder vertrockneten. Die erste Ernte war hinüber. Die erste von vielen.

      Diese Umleitung entzündete unter den Einheimischen große Empörung und erste ernstzunehmende Unruhen gegen das Camp. Man verstand den langfristigen Werdegang nicht. Natürlich war eine Umleitung nötig. Es mussten Bohrungen für die Schlitzwand des Dammes im relativ Trocknen vorgenommen werden, um viele Millionen Kubikmeter Erde zu einem Damm aufschütten und mit Dampfwalzen verdichten und befahren zu können, ohne das störende Flusswasser. Später, in etwa zehn, vielleicht erst fünfzehn Jahren, würde man diese Umleitung wieder aufheben. Der „Jeque de Peque“ bekäme dann seinen alten Lauf zurück, und das Flusstal unterhalb des Dammes sollte wieder mit Subventionen aus Lima rekultiviert werden. Daran glaubte Karl allerdings nicht.

      Inzwischen hatte man einen Teil der Bauern als Hilfskräfte auf den Baustellen eingesetzt. Das gehörte mit ins Programm. Die Poliere murrten, die Verständigung war mangelhaft. Man beleidigte die dunkelhäutigen Männer in deutscher Sprache, sie wurden ständig als faul und undiszipliniert beschimpft. Sie wurden Kulis und ihre Felder zu Steinwüsten, ihre Töchter und Schwestern zu willigen Putzfrauen oder Huren der Camp-Bewohner. Oder sie wurden beides. Doch sie verdienten Geld, welches sie vorher nicht besaßen, es war wenig, aber mehr als jemals zuvor. Jene, die keine Anstellung bekamen, mussten entweder betteln, verhungern oder ihre Heimat verlassen und in die Slums der Städte ziehen, in eine andere Welt.

      Es wäre kein großer Aufwand gewesen, mit den zahlreich zur Verfügung stehenden Maschinen, den neuen Flusslauf so zu legen, dass die Felder mit neuen Kanälen versorgt, trotzdem an ihre Bewässerung gelangt wären. Doch das hatten die Planer nicht in Betracht gezogen. Ein Kostenpunkt mehr, wo er nicht unbedingt nötig war?

      Man richtete sich nach den Plänen, die in den Stadtbüros angefertigt worden waren, meist ohne Ortsbesichtigung, aus der Vogelperspektive am Zeichenbrett. Gerade Striche, kurz und bündig, die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht bedacht, der Ärmsten schon gar nicht. Also trocknete die ganze Gegend aus und versank im Getriebe des Dammbaus.

      Wo gehobelt wird, und so weiter, dachte Karl, und versuchte sich zu beruhigen. Doch dieses Baugetöse, das immerhin seine Anwesenheit an diesem Platz der Erde rechtfertigte, übernahm von nun an die Geräuschkulisse des ganzen Tals, erstickte mit seinem Lärm, des Tag und Nacht in vollem Einsatz stehenden enormen Fuhrparks, die Empfindlichkeit der Stille und überflutete die Reisterrassen anstatt des Wassers. Vielfach gab sich das Echo die Hand und hallte gegen die Bergwände im Zick-Zack das Flusstal hinunter. Karl war in den letzten Wochen viele Male auf den Berg geschlichen und hatte das Gefühl gehabt, hier oben die nötige Kraft und einen Überblick für sein Leben zu bekommen, zu gesunden. Dem war nun ein Ende gesetzt. Zumindest von diesem Platz aus. Obwohl das Camp einige Kilometer von der Quelle des Getöses entfernt lag, hörte man dort das ununterbrochene Geräusch der Motoren und bei Westwind auch das Fiepen der Maschinen, die in den Rückwärtsgang schalteten.

      Für Luz war anfangs im Bau-Camp alles neu gewesen, doch eigenartigerweise erschienen ihr die Menschen hier weniger fremd als die ihres Dorfes. Hier traf sie in dem kleinen, von der Camp-Leitung errichteten Kaufladen, der hauptsächlich aus Europa eingeflogene Bestände anbot, auf Frauen mit hellen Augen. Nicht wie ihre Augen, doch sie waren hell, und sie fühlte eine nie gekannte Verbundenheit mit diesen deutschen Frauen, obwohl sie deren Passion zum Putzen lächerlich fand. Nun war es Luz, die gierig den Menschen in die Augen sah. Blaue, grüne, graue. Sie blieb oft stehen, lächelte die Frauen an und fühlte sich nicht mehr ausgeschlossen. All das, nur wegen der Augenfarbe? War das nicht kindisch?

      Im Süden Perus, mehr als tausend Kilometer entfernt, in der „Codillera Vilcanota“ in dreitausend Metern Höhe, nahe dem Quellgebiet des Urubamba, fünfzehn Tagesmärsche nordöstlich von Cuzco, hätten fast alle Menschen ihre hellen Augen.

      Mit diesen Worten hatte ihre Mutter sie getröstet, wenn sie sich als Kind nach dem Grund ihrer andersartigen Augenfarbe erkundigt hatte. Sie hatte sich nach diesem Ort, an dem die Großeltern und viele Verwandte lebten und auch die Gräber der Ahnen waren, gesehnt. Dort würde man sie nicht wie eine Außerirdische behandeln. Sie irrte sich gewaltig.

      Warum lebe ich hier, hatte die kleine Luz oft gefragt, da sie doch hier nicht geboren war und ihre Wurzeln in weiter Ferne hätte. Aber schon wenig später wollte sie gar nicht mehr weg vom „Jeque de Peque Tal“, denn das hätte bedeutet, den Pfarrer zu verlassen. Der Pfarrer hatte sie immer zu beruhigen versucht, man sei dort zu Hause, wo man aufgewachsen ist. Und natürlich bei Gott. Er erwähnte als Beispiel die Tatsache, dass zahllose Menschen auf Reisen, oder auf Schiffen mitten auf dem Ozean geboren würden. Sei dann etwa das Meer ihr zu Hause? Nein, dort wo sie aufwüchsen und erzogen würden, dort sei ihre Heimat, und in ihrem Herzen. Aber das sei eine andere Sache, die er ihr einige Jahre später erklären würde.

      Trotzdem, Luz fühlte sich immer noch schmerzhaft fremd in ihrem Dorf, das konnte nicht nur an ihrem Haar und der Augenfarbe liegen. Ihre Mutter hatte sie schon frühzeitig dazu angehalten ihr rotes Haar sorgsam zu bedecken, zu verstecken und den Blick zu senken, um zusätzliches Gespött zu vermeiden. Rotes Haar, Jesus María, das arme Kind!

      Luz del Mar begann sich im Bau-Camp wohlzufühlen. Es war etwas Neues, etwas Wohltuendes, nicht mehr auffallend anders auszusehen, denn auch ihre Hautfarbe glich nicht der einer Peruanerin aus den Pueblos. Es half ihr, bei der Kontaktsuche mit den Señoras, dass sie Englisch sprach, denn die meisten Frauen verstanden kein Wort spanisch. Sie vermied Gespräche mit Männern, und wenn sie in dem kleinen Laden wartete, lauschte sie den Wortgefechten der deutschen Frauen untereinander. Die Worte klangen wenig fremd, beinahe vertraut, und einige Sätze verstand sie nach kurzer Zeit sogar.

      Sie beschloss Deutsch zu lernen, aber der Ingeniero hätte bestimmt zu wenig Zeit, um den Lehrer zu spielen. Sie würde ihn trotzdem fragen. Leider musste sie sehr bald feststellen, dass die Damen sich mit dem Hauspersonal nur über das Nötigste unterhielten und wenn, dann