Im Galopp durchs Nadelöhr. Gabriele Plate. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Plate
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745067972
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Frau, das war für hiesige Verhältnisse eine ganze Menge. Wenn man sich mit Kartoffeln, Reis und Bohnen zufrieden gab, was diese Menschen hier ja schließlich gewohnt waren. Was spielte es da für eine Rolle, wie viel er verdiente. Das waren zwei Paar Schuhe. Außerdem hatte sie den ganzen lieben langen Sonntag frei, und er bemerkte, dass er diese Sonntage zu hassen begann, unruhig war und das Mädchen vermisste. Sollte er weitere zwei oder drei Dollar drauflegen, damit sie an diesen gottesfürchtigen Tagen ebenfalls in seinem Haus erschien? Sein Nachbar, ein feister Oberpolier in den Fünfzigern, der die Arbeiter des Tunnelbaus für die Schlitzwand beaufsichtigte, eine notwendige Einrichtung für den Kern des Staudamms, dieser Nachbar zahlte an seine Maria Eugénia nur vierzig Dollar. Allerdings durfte man nicht übersehen, dieses Mädel war schon Ende zwanzig.

      Luz del Mar lernte schnell, und ebenso schnell hatte sie sich eingelebt. Auch anfangs sah man sie nicht, wie die anderen Dorfmädchen, die hier in den Häusern arbeiteten, mit der Geschirrspülbürste die Toilette säubern oder beim Staubwischen auf den Tisch spucken, um anschließend mit einem der zahlreichen Rockzipfel darüber zu wischen. Was allerdings nicht an ihren fehlenden Röcken lag. Doch ebenso wie ihre Dorfgenossinnen war auch sie, in den ersten Tagen ihrer Tätigkeit im Camp, vor der Waschmaschine in die Knie gesunken. Sie hatte, in der Hocke verharrend, fasziniert und begeistert durch das runde Glas gestarrt und die Bewegung der Trommel, die ihr die Arbeit aus der Hand nahm, beobachtet. Sie hielt Karls geräumige Baracke in Ordnung, putzte, ließ die Maschine waschen, bügelte alles, auch seine Socken und hatte niemals zuvor mit einem elektrischen Dampfbügeleisen geplättet. Sie kochte nach seinen Wünschen und bediente ihn bei Tisch musterhaft, schweigsam stehend, mit gesenktem Blick, bis Karl das Mahl beendet hatte. Das sagte ihm zu, so in etwa hatte es zu sein.

      Doch sie brachte mit Eleganz die Unmöglichkeit fertig, mit gesenktem Blick vor ihm zu stehen, ohne auch nur im Entferntesten den Eindruck von Unterwürfigkeit zu vermitteln. Weder Demut noch hinterhältige Schwäche ließen auf ihre Haltung schließen. Karl fühlte sich zwar nicht beschämt aber nach wenigen Tagen schon, ein wenig bestraft. Aus ihrer Haltung, die ihm anfangs so gefallen hatte, wuchs nun in ihm das sachte Empfinden, als würdigte sie ihn keines Blickes.

      Sie stand aufrecht und sah scheinbar über ihre Nasenspitze hinunter in eine andere, vielleicht eigene Welt. Oder sah sie hinauf in diese Vielleichtwelt? Karl genoss den gesenkten Blick, und dass sie auf seine Order wartete, mit jedem Tag weniger. Man konnte nicht behaupten, dass er sich unwohl fühlte, wenn er einem anderen Menschen Befehle erteilte oder ihm gebot, sich unterzuordnen. Trotzdem, schon nach zwei Wochen des Bedientwerdens im Stehen, bat er sie, sich zu setzen und ein Gläschen Tacama mit ihm zu trinken. Sie trank keinen Wein, setzte sich aber zu ihm, hob den Blick von ihrer Nasenspitze, lächelte ihn an, und in seiner Hose pochte es wieder.

      Sein letzter Schluck Wein, er zog ihn in die Länge, dann wusch sie das Geschirr und machte sich auf den Heimweg. Eine Stunde Schotterpiste, zu Fuß durch die beginnende Nacht. Nach ihrem allabendlichen, freundlichen Buenas Noches, Señor Ingeniero, klebte er handlungsunfähig, wie verwurzelt auf seinem Stuhl und forderte nachdenklich mit der Zungenspitze die Reste aus den Zwischenräumen seiner Zähne. Er musste sie haben, unbedingt. Er wollte sie vögeln. Aber vorsichtig, denn diese jungen, zivilisationsfremden Dinger aus den Dörfern, die nichts haben und nichts sind, ließen sich mit Absicht von den ausländischen Männern schwängern. Dann hatte man das Theater, monatliche Zahlungen und den Clan am Hals.

      Nein, er würde das zu verhindern wissen und äußerste Vorsicht walten lassen. Aber zuerst einmal war eine Menge Vorarbeit zu leisten, denn dieses Geschöpf hier, das seiner Libido so ungewohnt auf die Sprünge half, trug ein goldenes Kreuz um den Hals, bekreuzigte sich wahrscheinlich vor jeder Tür, bevor sie eine öffnete und ließ ihn auch nicht den kleinsten lohnenden Blick in ihren Ausschnitt gewähren. Sie zeigte sich zugeknöpft bis zum Kinn, auch wenn er ein Gespräch beginnen wollte, um sich wenigstens verbal zu nähern.

      Minimale und korrekte Antworten. No Señor, si Señor. Einen besonders langen Satz konnte er mit einer blöden Frage herausfordern, die für ihn gar keiner Frage bedurfte.

      Dieses Paar Schuhe, nachdem Sie suchen, Señor Ingeniero, steht im Schuhschrank unten rechts, das dritte Paar von links, antwortete sie. Er genoss ihre Stimme. Ja, Luz del Mar war besonders zurückhaltend, vielleicht ein Trick? Und sie bewegte sich mit dem Wischmob und ihrem wohlgeformten Hintern so anmutig durch seine Hütte. Außerdem sang sie bei der Arbeit, dass ihm der Speichel wegblieb. Aber leider nur, wenn sie glaubte, er sei noch nicht im Haus. Dann lauschte Karl heimlich ihrem Gesang, er ließ die zauberhaft traurige und doch so starke, unvergessliche Stimme auf sich wirken und machte sich möglichst lange nicht bemerkbar.

      Melodien und Lieder, die ihm genauso unbekannt waren wie die Sprache der Texte, hielten ihn gefesselt. Er hatte in Deutschland einen Intensivkurs in Spanisch absolviert und nun zweimal wöchentlich einen Privatlehrer engagiert, aber das, was sie sang, war kein Spanisch. Sicherlich war es Quechua, oder Guarani? Alte, fast vergessene Sprachen der Inka? Er musste sich unbedingt informieren, am liebsten mit ihrer Hilfe. Vielleicht bot sich dadurch endlich die Möglichkeit eines intensiven Gesprächs. Die Mädchen hatten allerdings, nach allem was er hier im Bau-Camp darüber vernommen hatte, durchweg einen beschränkten Horizont, er durfte sie also nicht überfordern und mit zu anspruchsvoller Fragerei bloßstellen. Sein Spanisch war noch etwas kümmerlich, aber für eine erste, wenig anspruchsvolle Verständigung mit dieser appetitlichen Eingeborenen, reichte es auf jeden Fall. Außerdem machte er absichtlich einiges falsch, weil sie dann lächelte, ihn ansah und neuerdings zaghaft verbesserte. Er hatte darum gebeten. Das war für ihn keine Erniedrigung, auch dann, so glaubte Karl, war und blieb er der Überlegene.

      Karl wusste, dass die meisten alleinstehenden Männer im Camp verheiratete Familienväter waren, die ihre Lieben wohlbehalten in Europa auf Eis liegen hatten, und dass diese vorübergehenden Junggesellen gerne die Mädchen fürs Haus untereinander austauschten. Dort ging es nicht ums Detail, man probierte mal Diese und mal Jene, zur Aufheiterung, um der Eintönigkeit des Camplebens zu entkommen. Dem wollte Karl, nachdem man ihn dazu aufgefordert hatte, auf keinen Fall zustimmen. Abgesehen davon, dass er nicht bereit war, erheiternden Gesprächsstoff zu liefern, da sich das gesamte Camp über seine gelegentlichen Anlaufschwierigkeiten mit Sicherheit das Maul zerreißen würde, wollte er Luz del Mar für sich haben, sie ganz allein einweisen und genießen. Er würde sie nicht anlernen, damit andere die Früchte genossen. Seine Früchte.

      Zusätzlich, zu der Abneigung des Teilens, gesellte sich starker Ekel. Allein die Vorstellung, seine Geliebte, die das erst noch werden musste, mit irgendeinem dieser geilen Kerle, vor oder nach ihm vereint zu wissen, ließ ihn schrumpfen. Er hatte seine Ablehnung zu diesem Komplott ziemlich deutlich wissen lassen, und die liebeshungrigen Kollegen aus der Mittel- und Unterschicht nannten ihn einen spießigen Spielverderber. Man tuschelte, er hätte sich sogar in diese hellhäutige Schönheit verliebt. Das galt als unpassend, nicht standesgemäß, eine lächerliche Schwäche.

      Die Schöne, mit den unheimlich hellen Augen, nannte man sie, wer konnte oder wollte sich schon ihren eigenartigen Namen merken. Ihre Augen fielen sogar im Camp auf, dort wo es genügend helle Augen gab.

      Kein Mädchen aus den Dörfern hatte ähnliche Augen vorzuweisen. Man traf auf hellbraune, kastanienbraune, haselnussbraune, gelbbraune bis rabenschwarz umspannte Pupillen. Millionenfach. Luz del Mars Augenpaar schien einmalig. Es wies einen silbernen Ton in seinem sehr hellen Blau auf, ähnlich dem oberen Seitenbereich einer Bachforelle, umrandet von einem feinen, erst beim zweiten Blick erkennbaren Ring, in einem zarten und doch trotzig wirkenden Grün, das die Patina von Kupfer mit sich trug. Dieser etwas dunklere, grünliche Ring vertiefte die Sensation ihres Blickes, den sie so oft senkte, um dem eindringlichen, erstaunten oder auch erschrockenen Glotzen ihrer Mitmenschen zu entgehen. Selten hatte jemand die Gelegenheit gehabt, diesen zweiten Blick zu tätigen, um dem Geheimnis dieser Farbzusammenstellung, der Intensität ihres Blickes, auf die Spur zu kommen.

      Ihr Blick sei wie ein wolkenverhangener Frühlingsmorgen an einem Bergsee, das sagten zärtlich die wenigen Menschen, die ihr nahe standen. Im Dorf nannte man ihn, den bösen Glasblick. Vielleicht weil er so offen war, so direkt und unergründlich tief, man schwappte hinein und lief Gefahr, sich darin zu verlieren. Tief und auf eine Weise gütig, gütiger als es die einfältigen Dorfbewohner ertragen konnten. Oder sie