Im Galopp durchs Nadelöhr. Gabriele Plate. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Plate
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745067972
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brachte nicht das, wonach er trachtete, er benötigte zusätzlich eine Sie, die ihn dafür bewunderte. Die ihn für alles bewunderte, rundherum, das ganze Karl-Paket.

      Sein Verhaltensmuster war fest verankert, auf Bestätigungsgier programmiert. Er würde einige Zeit benötigen sich umzupolen, wenn überhaupt. Zumindest wollte er diese Begierde in den Griff bekommen und sich nicht mehr blauäugig einer Frau, die ihm gefiel, ausliefern.

      Sich-Ausliefern, so nannte Karl seine frühere Bereitschaft zum Sex. Das beabsichtigte er zu ändern. Die Frauen sollten sich keine Vorwürfe, Demütigungen oder Kritiken mehr erlauben dürfen. Das würde er nicht mehr dulden, nicht an seiner Person noch an seiner Art, körperliche Liebe zu praktizieren. Verdammt noch mal, er wollte seinen Pimmel nicht zum Gespött herabgemindert wissen. Er würde sich mit ihm holen, was er oder dieser brauchte, aber sie könnten sich allesamt ein Bein ausreißen, geben würde er nichts mehr. Das sind sie nicht wert, keine Frau ist das wert, dachte er, denn keine wusste je, ihn zu schätzen.

      Das war Karls Einschätzung zur Liebe. Selbstlos lieben? Unsinn! Wenn man dumm genug war! Liebe hieß, gut oder besser, schlecht oder gar nicht das Verständnis im Bett miteinander zu erleben. Der Rest war Verantwortung. Nie wieder würde er sich ausnehmen lassen, und nie wieder würde er heiraten, das stand für ihn fest wie sein Geburtstag. Doch dann war ihm Luz del Mar begegnet.

      „Jeque de Peque“ hieß der kleine Fluss. In der Trockenzeit ein Rinnsal, das sich, aus den nördlichen Ausläufern der Anden gespeist, durch zahlreiche Schluchten, flache Wüstenstreifen und kleine Ebenen bis zum Pazifik hinunter schlängelte. Das Einsetzen der Regenzeit verzauberte ihn über Nacht in einen tosenden, unberechenbaren Strom, der schwere Erosionen verursachte, Holzbrücken, Menschen, Schweine und Lehmhütten mit sich riss und erst nach seinem Abebben, den nahrhaften Schlamm auf den verwüsteten Feldern hinterließ. Man lebte von diesem düngenden Schlamm.

      Millionen Kubikmeter grauer Pampe, die noch in den ersten Tagen, nach Ende des Regens, still vor sich hinblubberte, bekleidete das Land wie ein riesiges graues Leichentuch. Doch schon nach wenigen Tagen platzte diese Schicht auf, Risse schnitten durch dieses Tuch, zogen über die Flächen und teilten alles in kleine Mosaike auf. Die ersten zarten Spitzen der wilden Gräser und Kräuter pressten sich mit erstaunlicher Kraft durch die schon erhärteten, ineinander verzahnten Lehmplatten und besiegten, ohne Verletzung ihrer Schwäche, die Härte des zu Durchdringenden. Sie hatten Eile zu keimen, zu sprießen, zu blühen und schnellstens den Samen zu bilden. Für das Fortbestehen ihrer Art zu sorgen. Bis zur nächsten Trockenperiode war nicht allzu viel Zeit gegeben. Die Feuchtigkeit an der Oberfläche würde nicht lange anhalten, auch würden stärkere, tiefwurzelnde Pflanzen diese Vorboten der Wachstumsperiode schnell verdrängen. Die Menschen hatten sich darauf eingestellt, sich seit allen erdenklichen Generationen an diesen Rhythmus gewöhnt. An Verlust und Gewinn. An Totenfeste und Erntezeit.

      Nach jedem heftigen Niederschlag, gewöhnlich fiel der nur zweimal im Jahr, wurden die schmalen Bewässerungsgräben wieder erneuert, von Hand freigeschaufelt. In der folgenden Trockenzeit konnten dann aus den unzähligen Rinnsalen die Felder trotzdem bewässert werden. Im sanften Zick-Zack, wie hundert Arme, verliefen diese kleinen Seitenkanäle des „Jeque de Peque“ durch die wenige Kilometer breiten, fruchtbaren Täler. Je näher die Felder am Flusslauf lagen, umso wohlhabender war der Bauer. Ein wohlhabender Campesino konnte seiner meist zahlreichen Kinderschar zwei Mahlzeiten am Tag auftischen und den Söhnen sogar eine Schulausbildung bieten. Es bestand zwar eine Schulpflicht, aber in dieser Gegend hatte es noch nie eine staatliche Kontrolle zur Einhaltung dieses absurden Gesetzes gegeben. Wer konnte es sich schon leisten seine Kinder von der Arbeit zu befreien und ihnen zusätzlich die nötige Schuluniform kaufen oder schneidern lassen. Besonders jene Eltern nicht, die weit entfernt von den Bewässerungsgräben ihre Felder bestellten.

      Die Entfernung zur künstlichen Bewässerung bestimmte ausschlaggebender den Armutsgrad als die Quadratmeterzahl des Besitzes. Ganz unten am Ende des Tales, dem Rand des Wüstenstreifens, wurde an die Ärmsten verpachtet. Niemand dort konnte es sich leisten, beim Busfahrer, der täglich zweimal vorbeifuhr, Medikamente zu bestellen, die er dann aus dem nächsten größeren Ort, der über eine spärlich eingerichtete Apotheke verfügte, mitbrachte. Gegen Vorauszahlung und einen kleinen Aufpreis für den Transport. Nicht selten starb hier ein Kleinkind an einer Erkältung.

      Karl hockte im Nachmittagsschatten auf einem Felsvor-sprung des östlichen Berghanges, weit oberhalb des Flusstales. Er ließ seinen Gedanken freien Lauf, sie eilten einer Lösung entgegen. Eilen, beinhaltet nicht das Ankommen, zuerst einmal musste er wieder ganz gesund werden. Mit Luz del Mar war er keinen Schritt von der Stelle gekommen, ganz zu schweigen von einem Liebesakt. Das konnte er vorerst sowieso vergessen, ganz gleich mit wem, zumindest nicht, wenn er sich aktiv mit den üblichen Bewegungen daran hätte beteiligen müssen.

      Er wollte sich dem ärztlichen Rat widersetzen und früher als empfohlen wieder zurück an seine Arbeit gehen. Man brauchte ihn jetzt auf der Baustelle, schließlich war er verantwortlich für die Schüttung und fachgerechte Verdichtung des Staudamms, die dringend von ihm beaufsichtigt werden mussten. Ein nächster Bauabschnitt und die Hauptumleitung des Flusses sollten morgen beginnen. Er war während seines Aufenthaltes im Hospital, unzählige Male am Tag, per Telefon um Rat gebeten worden. Er musste sich unbedingt wieder ein eigenes Bild von der Lage verschaffen. Vielleicht wäre es auch besser, er würde nicht den ganzen Tag in ihrer Nähe herumschleichen, nach ihr und jedem ihrer Worte schmachten.

      Nach seinem neugierigen Drängen, woher sie medizinische Fachkenntnisse habe, hatte er von ihr erfahren, dass sie von Milzrissen, Rippenbrüchen oder ähnlichen Diagnosen keine Ahnung hatte, nicht einen Funken Ahnung.

      Vor einigen Jahren sei ihr Onkel, beim Aufhängen einer Lampe in der Kirche, von einer Leiter gefallen. Dass es sich dabei um den Pfarrer ihres Dorfes handelte, hatte sie nicht erwähnt. Dieser Mann, den sie Onkel nannte, hatte stöhnend auf dem Boden gelegen und konnte kaum atmen. Luz del Mar war noch ein Kind gewesen, sie hatte Angst um ihn gehabt und um Hilfe geschrien. Kurz darauf kam ihre Mutter angerannt, die Menschen sammelten sich vor der Kirche und trauten sich nicht in die Nähe des Kindes, da sie sicher waren, dass dieses Unglück ihr zuzuschreiben war. Ihre Mutter hatte per Telefon einen Arzt verständigt. Viele Stunden hatte der Verunglückte dort auf dem kalten Boden gelegen, bis der Arzt schließlich eintraf, sein Stereoskop herausholte und die schwerfälligen, kurzen Atemzüge des Pfarrers prüfte, er tastete besorgt seinen Leib ab und war flugs ins Pfarrhaus zum Telefon geeilt, eines der wenigen Telefone des Dorfes. Die kleine Luz war dem Arzt hinterher geschlichen und hatte gehört, wie er einen Rettungswagen anforderte und dazu in den Hörer brüllte: Zwei Rippenbrüche und wie es aussähe auch ein Milzriss, sie sollten sich beeilen, innere Blutungen seien nicht auszuschließen.

      Das sei bisher ihre einzige Begegnung mit einer ärztlichen Diagnose, hatte sie ihm lachend gestanden. Er war glücklich gewesen, dass sich danach ein richtiges Gespräch ergeben hatte.

      Während Karl seinen Blick über die sanften Terrassen der Reispflanzungen wehen ließ, wurde ihm bewusst, dass er diesen Ort und die Landschaft zu mögen begann. Vor seinem Unfall war ihm die Schönheit gar nicht aufgefallen, und erst seit er jeden Tag hier im Schneckentempo spazieren ging, nahm er auch den Reiz der Stille wahr. Weite Farbfelder in ihren leuchtenden Grüntönen, malten eine zuvor unbemerkte Lieblichkeit zwischen die angrenzende, dunkelgraue Gerölllandschaft. Die Reisfelder und Mangohaine wurden von den Geröllausläufen, des fast schwarzen Gesteins der Berge, kontrastreich gesäumt.

      Mit Hilfe von trägen Wasserbüffeln und Pfluggerät aus der Steinzeit wurden mühsam die Furchen in die noch feuchte Erde der Felder gezogen. Weiße, schlanke Reiher stelzten hinter dem Pflug her, flogen auf, flatterten schwerfällig um dieses Gespann oder zankten sich um Wurm- und Echsengetier. Hier sollte auch in dieser Saison, wie alle erdenklichen Jahre zuvor, der Reis gedeihen und etwas weiter oberhalb, auch Yucca, Mais und Hirse.

      Karl blinzelte den silbernen Flussfaden entlang und wusste, dieses mühselige Pflugergebnis dort unten, dieses Idyll zwischen Mensch und Landschaft, würde am Montagabend nächster Woche verschluckt sein. Es würde überrollt, planiert, verschoben, aufgehoben sein, unwiederbringlich, wenn die Arbeit eines einzigen Tages zahlreicher Sprengungen, Lastwagen, Caterpillars und Bagger beendet sein würde. Warum