Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 12. Frank Hille. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Hille
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783745072525
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davon aus, dass die fast alle schon Mitte der 30iger Jahre entstandenen – und damals führenden Rüstungsprodukte – bei Weitem ausreichen würden, die potentiellen Gegner in schnellen Waffengängen zu besiegen. Dass diese Rechnung nicht aufgegangen war konnte er auch in Bezug auf die deutschen U-Boote feststellen. Haberkorn hatte sich in den furchtbar angstaufgeladenen Stunden in dem verschütteten Keller Flugzeuge gewünscht, die auch bei Nacht erfolgreich gegen die Bomber vorgehen konnten. Er wusste nicht, dass es diese Muster bereits gab. In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1943 hatte der erste Fronteinsatz einer Heinkel He 129 „Uhu“ stattgefunden. Dieser mit einem Bordradar FuG 212 Lichtenstein C-1 ausgerüstete und speziell für die Nachtjagd konzipierte zweimotorige Jäger hatte innerhalb kurzer Zeit 5 schwere britische Avro Lancaster Bomber abschießen können. Dass diese modernen Flugzeuge erst jetzt eingesetzt werden konnten war allgemein symptomatisch für den der Entwicklung nachhinkenden technischen Ausrüstungsstand aller deutschen Teilstreitkräfte.

      „Da sind wir ja gerade noch mal mit viel Glück klargeslippt“ sagte Haberkorn leise zum Obersteuermann.

      „Kann man wohl so sagen, Herr Oberleutnant. Andere haben nicht so viel Dusel wie wir gehabt.“

      Haberkorn folgte seinem Blick. Direkt auf ein von Trümmern freies Stück der Straße und neben der zerstörten Häuserzeile hatten die Retter geborgene Leichen aus den freigelegten Luftschutzräumen gelegt. In den Ruinen brannten die noch erhaltenen Obergeschosse aus, durch die durch die Bombenexplosionen weggefegten Fassaden konnte man in die Zimmer hineinsehen. Haberkorn erkannte ein Schlafzimmer, in dem die Betten noch standen und auch die Kleiderschränke weitestgehend unversehrt geblieben waren. Über einer Bruchkante des Wohnungsbodens hing eine Stehlampe über dem Abgrund, an einer Wand bewegte sich ein Bild leise im Luftzug des durch die Flammen verursachten Sogs. Er stellte sich vor, wie die Bewohner sich das Geld abgespart hatten, um sich wenigstens für die knappen Stunden der Freizeit nach der langen Arbeit etwas Gemütlichkeit schaffen zu können. Aber auch diese Zeit war nicht sorgenfrei, denn die an Intensität zunehmenden Luftangriffe setzten die Menschen nach den langen und harten Schichten in den Betrieben, nach ihren ständig schwieriger werdenden Bemühungen ausreichend Nahrung und Kleidung ergattern zu können noch mehr unter Druck, und zu der körperlichen Auslaugung kam nun auch noch die permanent vorhandene Lebensbedrohung aus der Luft dazu. Keiner der Leute machte sich allzu große Illusionen über die Wirksamkeit der Schutzbauten unter den Häusern, denn die Gefahr der Luftangriffe war viel zu lange unterschätzt worden und es gab kaum ausreichend bombensichere Bauwerke.

      Auch das war für Haberkorn ein deutliches Zeichen der lange vorhandenen vollkommenen Unterschätzung des Gegners, und diese Arroganz hatten heute wieder etliche Hamburger mit ihrem Leben bezahlen müssen.

      Die kampftrainierten SS-Männer hatten sich immer nur sprungweise und unter Nutzung der Bombentrichter langsam Meter für Meter an die vier „Ferdinand“ heranarbeiten können. Die hinter ihnen stehenden eigenen Panzer und die noch weiter rückwärts postierten Nebelwerfer und Artilleriegeschütze feuerten in schneller Folge auf die russischen Stellungen, aber das war keineswegs als separate Unterstützung für die vorgehenden Infanteristen gedacht, sondern gehörte zum allgemeinen Angriffsplan. Beide Seiten hatten ohnehin erhebliche artilleristische Kräfte an diesem Abschnitt konzentriert und Günther Weber war von dem fast gar nicht pausierenden Beschuss selbst als erfahrener Frontkämpfer durchaus beeindruckt. Aus der Sicht der Russen, die in der defensiven Rolle waren und diese auch extra mit Vorbedacht eingenommen hatten, war dies ein Mittel, mit dem heftigen Beschuss dem Gegner möglichst hohe Verluste beibringen zu können, ohne die eigenen infanteristischen Einheiten der Angriffswucht der Deutschen direkt auszusetzen.

      Im Vorfeld von „Zitadelle“ hatte es zwischen Hitler und dem deutschen Generalstab erhebliche Meinungsunterschiede zum weiteren Vorgehen im Osten gegeben. Während Hitler anfangs vor allem argumentierte, die Wehrmacht und die anderen Streitkräfte erst wieder auf eine angemessene Schlagkraft bringen zu müssen und bis dahin defensiv zu bleiben, wollten die Generäle die strategisch zu einem Angriff geradezu einladende Situation um Orel, Kursk und Belgorod herum mit einen offensiven Vorgehen ausnutzen. Ursprünglich bereits für das zeitige Frühjahr 1943 geplant, scheiterte diese Vorstellung aber an den Differenzen der Befehlshaber der einzelnen Heeresgruppen und Großkampfverbände, der langanhaltenden Schlammperiode und auch an den militärischen Entwicklungen auf anderen Kriegsschauplätzen. Hitler war über die Entwicklung in Afrika äußerst besorgt gewesen und hatte richtigerweise vermutet, dass mit einem Desaster zu rechnen war, welches am 12. Mai 1943 tatsächlich mit der Kapitulation der deutschen und italienischen Truppen eingetreten war. 150.000 deutsche und 125.000 italienische Soldaten gingen in Gefangenschaft, vor allem der Weigerung Hitlers geschuldet, diese Truppen rechtzeitig nach Italien zurückzunehmen. Damit war zu befürchten, dass die Alliierten den Sprung über das Mittelmehr nach Italien wagen würden, um dort eine zweite Front in Europa zu eröffnen. Der Führer war deswegen unschlüssig, die im Osten bereits zusammengezogenen Truppen in einer größeren Operation einzusetzen und stand dem Plan, Kursk in einer Zangenbewegung zu nehmen und die im Frontvorsprung befindlichen russischen Kräfte zu vernichten, zunächst ablehnend gegenüber, da er im Falle einer breit angelegten Offensive keine Möglichkeit sah, eventuell Truppen aus der Angriffsformation herauszulösen, die dann dringend in Italien benötigt werden würden. Vielmehr favorisierte Hitler ein im Süden räumlich begrenztes Vorgehen ohne die Gefahr, die Truppen in den weiten Räumen lang auseinanderziehen zu müssen und damit auch womöglich auch wieder offene oder nur schwach gesicherte Flanken zu schaffen. Das war keineswegs der große Wurf, den die Generalität erwartet hatte, aber das fortlaufende Opponieren der Militärs hatte Hitler letztendlich doch noch umgestimmt. Diese lange Entscheidungsfindung war für die Russen günstig gewesen, sie hatten ausreichend Zeit gehabt das Verteidigungssystem weitflächig und tief gestaffelt auszubauen.

      Günther Weber lag schwer atmend bäuchlings platt auf der Erde und war blitzschnell vor einer ein Stück vor ihm hochgehenden Geschosssalve in Deckung gegangen. Das weitestgehend flache und unbewachsene Gelände war für den Panzerkampf wegen der weiten Sicht und der guten Manövriermöglichkeiten für die Fahrzeuge zwar ausgesprochen gut geeignet, für die Infanterie allerdings hochgefährlich. Neben dem Beschuss lauerten noch von den Russen vergrabene Minen, denn die Sowjets hatten vielfach ihnen in die Hand gefallene deutsche Minen vor ihren Stellungen kurzerhand wieder verwendet. Schon in den ersten Gefechten waren die Deutschen in Minenfeldern steckengeblieben, in denen sie ihre eigenen Explosivkörper ausgelöst hatten und die Pioniere waren zu Unrecht beschuldigt worden, die Einzeichnung dieser Gebiete nicht vorgenommen zu haben. Weber war durch das Pervitin hellwach, aggressiv gestimmt und vor allem trotz des Infernos um ihn herum leicht euphorisiert. Er zählte nicht zu denen, denen Töten zu einem Bedürfnis geworden war, die sich dem Rausch des Herrschens über Leben oder Tod durch die Krümmung des Zeigefingers am Abzug nicht mehr entziehen konnten, die Kerben für jedes Opfer in den Schaft ihres Karabiners schnitzten und Bilder erhängter Partisanen und von Hinrichtungen in ihren Brieftaschen mit sich trugen. Dennoch war er durch die vielen überstandenen Kämpfe ungewollt zu einem Spezialisten für staatlich sanktionierten Mord geworden und er würde auch heute voraussichtlich wieder einige Menschen töten, sofern sie ihn nicht vorher selbst umbrachten. Noch aber mühte er sich mit seinen Männern über das flache und gut einsehbare Gelände vorwärts und verfluchte erneut die Männer in den Jagdpanzern. Durch deren unbedachtes und taktisch überhaupt nicht begründetes Vorpreschen war der Flankenschutz der nahezu unbeweglichen und extrem schweren Fahrzeuge durch die leichteren und besser manövrierfähigen anderen Panzer nicht mehr gegeben. Etwas verstand er die Panzersoldaten schon, denn hinter der 200 Millimeter starken Frontpanzerung hätte er sich auch sicher gefühlt. Dazu kam noch, dass die „Ferdinand“ auch an den Seiten durch immerhin 80 Millimeter Panzerstahl geschützt waren, das entsprach der Frontpanzerung des Panzers IV in den Ausführungen G und H, die bei dieser Operation überwiegend zum Einsatz kamen. So gesehen waren die Panzerjäger gegen Artilleriebeschuss mit den üblichen russischen Waffen fast unverwundbar, aber durch Nahbekämpfer wegen der fehlenden leichten Abwehrbewaffnung äußerst gefährdet.

      Nach der nächsten krachend in den Boden gefahrenen Artilleriesalve der russischen Geschütze