Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844236200
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Zimmer betrat. Sie und Sara waren kurz zuvor von ihrer Wanderung zurückgekommen und dem einsetzenden Unwetter nur um Haaresbreite entgangen, doch jetzt heulte der Wind durch den Tempelhof und Donnergrollen hallte zwischen den Mauern wider. Schwerer Regen prasselte auf das Land ringsum und immer wieder wurde der Nebeltempel durch bizarre Blitze hell erleuchtet, um gleich darauf wieder in beinahe greifbarer Dunkelheit zu verschwinden. Die meisten Tempelbewohner waren in den unteren Räumen dicht zusammengerückt und versuchten, sich bei lautstarker Unterhaltung und einigen liegengebliebenen Arbeiten von den Launen der Natur abzulenken, die draußen über das Land tobten.

      Ebenso düster wie die Gewitterwolken war Menrirs Stimmung geworden und sie hatte sich mit jeder Stunde des Wartens weiter verfinstert. Erst als er sich schon sicher war, kein vernünftiger Mensch könne sich angesichts des aufziehenden Sturmes noch außerhalb der geschützten Räume aufhalten, waren plötzlich die beiden Gestalten zwischen den Hügeln aufgetaucht. Als sie Minuten später die Kräuterküche betraten, war er ihnen sogleich entgegengeeilt, doch Lennys hatte nur den Kopf geschüttelt und ihn wissen lassen, dass er frühestens in einer halben Stunde mit einem Empfang in ihrem Schlafzimmer rechnen dürfe.

      Und nun stand er genau dort und machte seinem Ärger Luft.

      „Kann es sein, dass du wütend darüber bist, dass ich dich nicht mitgenommen habe?“ fragte Lennys ungewöhnlich geduldig, während sie, wieder auf dem Bett sitzend, an einem Becher Rum nippte.

      „Unsinn, ich bin nicht wütend. Aber du hättest mir wenigstens sagen können, wo du hingehst. Es ist nicht gut, einfach zu verschwinden und erst so spät zurückzukommen... Stell dir nur vor...“ Doch Lennys hob die Hand und Menrir verstummte.

      „Das reicht, alter Mann. Ich bin nicht in der Stimmung, dich erneut darauf hinzuweisen, wo deine Grenzen sind. Und abgesehen davon dulde ich es nicht, wenn man mich anlügt.“ Sie klang nun nicht mehr geduldig, sondern kalt und geradezu herrisch.

      „Ich... ich habe dich nicht angelogen.“ antwortete Menrir verwirrt.

      „Oh doch, das hast du. Denn natürlich bist du beleidigt, weil ich ohne dich gegangen bin. Aber sei es drum. Warst du in Goriol?“

      „Ja, das war ich. Akosh freut sich sehr darauf, dich zu sehen, es ist ihm eine große Ehre. Allerdings wird er nicht mit allzu vielen Neuigkeiten aufwarten können. Abgesehen von dem Überfall an der Waldbrücke vor einer Woche ist nichts mehr geschehen und nach allem was ich gehört habe, handelte es sich hierbei tatsächlich nur um das Werk von gewöhnlichen Räubern.“ Menrir sprach in beiläufigem Ton, und begann nun, in seinen zahlreichen Umhangtaschen herumzusuchen. Er bemerkte nicht den warnenden Blick, den Lennys Sara zuwarf.

      „Hier...“ fuhr der Heiler fort. „Getrocknete Blaubuschblätter, gedrehtes Leinenseil, zwei Schleifsteine, zwei neue Proviantbeutel, eine kleine Auswahl an Kräutern und ein Bund Lederschnüre. Alles weitere sollten wir erst besorgen, wenn wir die Gegend endgültig verlassen.“ Eifrig reihte er die neuerworbenen Dinge auf dem niedrigen Tisch auf.

      „Alles weitere? Willst du dich unterwegs neu einrichten?“ fragte Lennys mit wenig überzeugtem Blick auf die Einkäufe.

      „Nun, wir brauchen noch Schlafmatten, einen Kessel, Schalen für die Mahlzeiten, möglicherweise noch Handfackeln und vielleicht auch noch ein paar andere Kleinigkeiten.“ Menrir gelang es nur mit mäßigem Erfolg, den Tonfall eines Lehrmeisters zu unterbinden.

      Lennys stand auf und nahm die kleine Dose mit den Blaubuschblättern in die Hand.

      „Und wofür sollen die sein?“

      Menrir strahlte, als hätte er genau auf diese Frage gewartet.

      „Wenn man sie anzündet, vertreibt der Qualm Stechmücken und andere lästige Insekten. Man braucht auch nur sehr wenig davon und die Wirkung hält lange an. Ein sehr nützliches Utensil, wenn du mich fragst.“

      „Ich glaube, ich sollte dir nicht so viele Freiheiten lassen. Wenn es nach dir geht, brauchen wir am Ende einen von Beemas Handkarren um alles unterzubringen. Ich hasse es, soviel Gepäck mit mir herumzuschleppen.“

      „Mach dir deshalb keine Gedanken. Du wirst sehen, dass längst nicht so viel zusammenkommt, wie du befürchtest.“

      „Das bezweifle ich. Hast du sonst noch etwas erfahren?“

      „Nein. Wie gesagt, es scheint nichts Bemerkenswertes in dieser Gegend vorgefallen zu sein, zumindest habe ich nichts gehört. Akosh meinte, er hätte alle gewarnt und die Gemeinschaft in Goriol sei sehr viel vorsichtiger als in Thau oder in den anderen Dörfern. Ich denke auch, dass sie in einer großen Stadt wie Goriol sicherer sind als in den dünn besiedelten Gegenden am Ben-Apu. Sie können hier leicht untertauchen und ihre eigentliche Identität geheimhalten.“

      „Das gilt auch für die, die wir suchen, vergiß das nicht.“ Lennys klang nicht sonderlich beeindruckt von Menrirs Argumenten. „Es ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat – der Vorfall in Thau sollte dich das eigentlich gelehrt haben.“

      Menrir hob überrascht die Brauen.

      „Aber was in Thau passiert ist, war doch zumindest für uns offensichtlich. Worauf willst du denn hinaus?“

      „Darauf, dass du dich zu schnell mit einfachen Erklärungen zufrieden geben könntest. Achte mehr auf Einzelheiten, Menrir. Ich bin nicht hierhergekommen um deine Fehler zu verhindern. Wenn du uns helfen willst, dann solltest du es gewissenhaft tun. Ich verabscheue Oberflächlichkeit.“

      Sie sprach in ruhigem, aber gleichzeitig auch hartem Ton, der jede Entschuldigung oder Nachfrage unterband.

      „Bist du dort gewesen?“ fragte sie jetzt kurz.

      „Wo?“

      „An der Brücke?“

      „...Nein... Als ich davon erfahren habe, waren bereits zwei Tage vergangen und es hat inzwischen geregnet. Dort gibt es keine Spuren mehr. Selbst, wenn der Regen etwas übrig gelassen hat, so waren doch zu viele Reisende dort unterwegs, als dass man auseinanderhalten könnte, welche Hinterlassenschaften von ihnen stammen und welche von den beiden ermordeten Cycala.“

      Lennys antwortete nicht darauf, sondern sah zum Fenster hinaus, dessen Vorhänge zurückgezogen waren, um die erfrischende Luft des Gewitters hereinzulassen. Diese Seite des Tempels wurde von einigen gewaltigen Laubbäumen geschützt und obgleich draußen die Dämonen des Untergangs die Welt zu verschlingen schienen, dröhnten in diesem Zimmer Donner und Sturm doch nicht ganz so laut wie in anderen Räumen des Gebäudes. Eigentlich wäre sie jetzt gerne dort draußen gewesen, allein mit den Kräften der Natur und den erbarmungslosen Gewalten, die durch die Hügel trieben. Dieser Tag mochte für Sara nur eine längere Wanderung bedeutet haben, für Menrir vielleicht einen netten Einkaufsbummel und für Beema sicher eine gewisse Enttäuschung über das Fernbleiben des Gastes. Und für sie selbst? Sie wollte nicht über das nachdenken, was sie gesehen hatte oben auf der Lichtung und bemühte sich, sich auf den Nachmittag an der Brücke zu konzentrieren und auf das, was dort eine Woche zuvor geschehen war. Menrir war überzeugt, es hinge nicht mit all den Vorkommnissen zusammen, die sich gerade langsam über das Land ausbreiteten, wäre nicht vergleichbar mit dem Anschlag in Thau oder dem rätselhaften Verbrechen in Fangmor, wo drei cycalanische Frauen entführt worden waren und von denen man seitdem nichts mehr gehört hatte. Man dürfe nicht in jedes Unglück gleich das Schlimmste hineininterpretieren, so der Heiler. Er war überzeugt, dass dahergelaufene Räuberbanden die reisenden Sichelländer überfallen hatten, doch vielleicht wollte der alte Mann auch einfach nicht wahrhaben, dass der Feind sich nun sogar in die bunte und weltoffene Stadt der Wanderer vorwagte. Goriol war stets auch Tummelplatz für allerlei Gesindel und Tagediebe gewesen, doch politische Machtkämpfe oder große Schlachtzüge wurden lieber in den kleineren Orten geführt, wo die Gefahr von Widerstand und Rebellion deutlich geringer waren. Wie dreist es doch wäre, in der größten Stadt Mittellands gegen ein ganzes Volk zu Felde zu ziehen. Und, das musste sich Lennys eingestehen, wie mutig. Normalerweise wurde im Hinterhalt gemeuchelt und gemordet, wurde feige in verlassenen Gegenden auf die Opfer gewartet, wo keine Hilfe nahen konnte. Und wo man nicht gesehen und erkannt wurde. Diese Anschläge jedoch zeugten