„Auch nix Neues“, brummte Felix. „Dieser unfähige Sack! Jedenfalls haben Sie uns sehr geholfen, vielen Dank!“
„Bittschön“, verabschiedete sich die Nachbarin freundlich, nachdem Anne noch rasch ihren Namen – Herlinde Niederburger – notiert hatte.
„Hui“, machte Felix draußen. „Das nennt der Bayer wohl eine Bissgur’n?“
„Nein. So böse war sie nicht. Eher eine Stiegnhausratsch´n. Aber was für Eltern nennen ein wehrloses Wurm denn Herlinde? Das müsste ja verboten werden. Und dieser Putzkittel!“
„Stimmt. Als seien ihr die Rollen irgendwie durcheinander geraten.“
„Putzteufel und Sennerin?“
„Und ein bisschen femme fatale?“, schlug Felix vor und überlegte hastig, ob er jetzt wieder mal den Kopf einziehen sollte. Aber Anne machte keine Anstalten, ihm einen strafenden Klaps zu verpassen. Vielleicht aber auch bloß, weil er so etwas wie ihr Vorgesetzter war…
„Sie gehen jetzt zu diesem Halbritter?“, fragte sie nur, anstatt eine feministische Aktion zu starten.
„Ja, langsam interessiert mich dieser Träumer. So bezeichnet ihn jedenfalls auch die Wiesner. Und Sie? Am besten kehren Sie ins Präsidium zurück…“
„Ich könnte auch zu dieser Firma fahren und fragen, wer da gefragt hat „Ham´S es bald?““, schlug Anne vor.
„Gut. Damit wäre dann nämlich das Alibi der Wiesner bestätigt. Gut“, wiederholte Felix und fand sich selbst leicht verwirrt, als er mit Anne ins Auto stieg.
IV 14.09.2008
Sobald er sie am Präsidium abgesetzt hatte, fuhr er ins Univiertel, wo dieser Halbritter leben sollte. Jörg Halbritter, 36, Lektor in einem Fachbuchverlag und offenbar ein echter Spinner, rekapitulierte er, während er die Agnesgasse entlang zuckelte und nach einem Parkplatz suchte. Zweite Reihe ging nicht, dann war die Straße komplett dicht… Da! Scheiße, Einfahrt. Und der Bürgersteig so schmal, dass er ebenfalls wegfiel… Da! Nein.
Schließlich parkte er zwei Straßen weiter und lief zurück, leicht gereizt. Dieser blöde Halbritter, wieso wohnte er so bescheuert? Wahrscheinlich war er selbst immer nur mit dem Hollandrad unterwegs. Typ ewiger Student, ausgeleierte Pullis, Gesundheitslatschen, Nickelbrille.
Ganz schön klischeehaft, tadelte er sich selbst. Ob das von den Kommentaren der Wiesner kam? Oder dachte er selbst schon dermaßen in Schubladen?
Die Agnesgasse war eng, deshalb hatte er ja so abseits parken müssen, und düster, weil die Sonne wohl nur im Hochsommer in die Straße fiel und die meisten Fassaden seit der Nachkriegszeit keinen frischen Anstrich mehr bekommen hatten. Der vorherrschende Eindruck war graubraun, und Felix fühlte sich an „Sonnenallee“ erinnert. Den könnte er eigentlich wieder mal anschauen, überlegte er. Wenn der Fall gelöst war. Vorher wurde es ja doch nichts.
Nummer 12 war auch nicht schäbiger als die Nachbarhäuser, und das Klingelschild Halbritter machte einen ganz konventionellen Eindruck – nicht etwa handschriftlich und mit vergilbendem Tesafilm befestigt, nein, ein ordentliches Metallschildchen und mit allen zwei Schrauben an der Tafel verankert.
Er läutete und drückte, als der Summer ertönte, die abscheuliche Milchglastür auf, die die Sechziger diesem Haus wohl als einziges spendiert hatten.
Drinnen roch es muffig und nach abgestandenem Essen. Nach gut bürgerlichem Essen. Irgendwas Fleischernes und viel gekochtes Kraut. Felix rümpfte die Nase und machte sich an den Aufstieg. Dem Klingelschild zufolge dritter Stock rechts. Rechts, das war ja wohl typisch, dachte er und verbot es sich sofort – allmählich wurde es albern. Außerdem sollte er objektiv ermitteln und nicht alles glauben, was die Wiesner sagte.
Außerdem hatte sie eigentlich nur Traumtänzer gesagt. Er seufzte, atmete ein paar Mal tief durch und klingelte.
Stille, dann Schritte, die Tür wurde langsam geöffnet. „Ja?“
Felix zückte seinen Ausweis. „Herr Halbritter? Guten Tag. Ich hätte noch einige Fragen im Mordfall Meesen…“
„Da war schon ein Kollege von Ihnen da“, war die mürrische Antwort.
Felix musterte Halbritter aufmerksam. Relativ groß, schlank, nicht übel aussehend, aber etwas farblos. Hellbraunes Haar, korrekt geschnitten, kein Bart, keine Brille, blaue Augen, dazu passendes Hemd, Krawatte, sandfarbene Chinos, kein Sakko. War das die einzige Konzession an den Feierabend? Unwillkürlich sah er auf die Uhr. Halb vier – verflixt früh für Feierabend.
„Sie haben Urlaub?“, fragte er also, während er sich an Halbritter vorbei drängte.
„Urlaub? Nein.“ Die Stimme war weiterhin mürrisch. Selbstmitleid, konstatierte Felix, der Halbritter auf Anhieb unsympathisch fand.
„Schließlich kann ich doch nicht arbeiten, wenn Margie…“ Die weinerliche Stimme brach ab.
„Verständlich“, log Felix. „ich bin sicher, Herr von Meesen kann sich zurzeit auch nicht auf seinen Beruf konzentrieren.“
„Der? Der hat Margie doch gar nicht verstanden! Bestimmt schachert er schon wieder um alberne Filme. Nein, ich bin der einzige, der richtig um Margie trauert. Sie war so – ach, das kann man gar nicht in Worte fassen…“
Er wischte sich theatralisch die Augen, und Felix bemerkte eine sehr teure Uhr an seinem Handgelenk.
„Hübsche Uhr“, lobte er freundlich.
Halbritter schniefte. „Ein Geschenk. Ein Liebesgeschenk. Von Margie natürlich. Sie hatte so einen guten Geschmack…“
Gleich heult er wieder, dachte Felix mäßig begeistert und schlug sein Notizbuch auf, um die Stimmung etwas weniger emotionsgeladen werden zu lassen.
„Sie haben angegeben, dass Sie Ihre Freundin? Lebensgefährtin? für die Täterin halten. Welche Gründe haben Sie dafür?“
„Gründe? Ich brauche doch keine Gründe dafür – das spürt man doch, wenn man ein bisschen sensibel ist… Emma – also, meine Lebensgefährtin ist sie eigentlich nicht, oder – naja, vielleicht doch, ich weiß nicht – Emma auf jeden Fall war so richtig kalt in den Tagen vor dem Mord. Herzlos eben. Kein Einfühlungsvermögen… ich meine“, er beugte sich eifrig vor, als habe er Angst, Felix könne ihn nicht richtig verstehen, „Margie war meine gute Fee, ja, so könnte man sagen – aber glauben Sie, Emma hatte dafür Verständnis? Sie war direkt höhnisch! Sie hat Margie gehasst, obwohl die ihr doch nie etwas getan hat – das hätte sie ja gar nicht gekonnt…sie war ein so reines, engelhaftes Wesen… und dann immer dieses spöttische Gesicht…“ Er sah Felix mit nassen Augen an und Felix starrte etwas verwirrt zurück. „Sprechen Sie jetzt von Frau Meesen oder Frau Wiesner?“
„Bitte? Aber da ist doch ein himmelweiter Unterschied! Die beiden kann man doch gar nicht vergleichen!“
„Dann drücken Sie sich gefälligst etwas klarer aus“, empfahl Felix leicht gereizt, „so geht doch alles durcheinander. Haben Sie außer unklaren Gefühlen noch irgendetwas, was für die Schuld Ihrer – also, von Frau Wiesner spricht?“
„Wozu?“
„Weil man bei der Untersuchung eines Verbrechens eben Fakten braucht und nicht nur irgendwelche Gefühle. Wo waren Sie übrigens, als Ihre, also, als Frau Meesen getötet wurde?“
„Von Meesen“, verbesserte Halbritter. „So viel Zeit muss sein.“
Das musste ja kommen, ärgerte sich Felix. Minnesänger? Eher Korinthenkacker!
„Also, haben Sie ein Alibi?“, wiederholte Felix mit steigender Ungeduld.
„Alibi? Sie wollen doch nicht etwa unterstellen, dass ich -