Der Ehemann war in einer Sitzung. Medienkaufmann. Es sei um Filmverwertungsrechte gegangen, hatte er gesagt, und das Alibi hatte Kurt ja hoffentlich gegengecheckt… Hatte er? Felix notierte sich das. Die Töchter waren ja wohl zu jung, um es gewesen zu sein…elf und - neunzehn? Dann war die gute Margarethe aber verdammt früh unterwegs gewesen. Mit vierzehn schon Mutter? Eher war anzunehmen, dass die Ältere aus einer früheren Ehe des Vaters stammte.
Aha, Stiefmutter! In Felix´ Hinterkopf klingelte ein Glöckchen, das an allerlei Märchen gemahnte. Die mutmaßliche Täterin als Reinkarnation von Aschenputtel? Jetzt wurde er albern.
Er knallte die Akte auf den Tisch, schloss sein Büro ab und guckte bei Eichinger durch die Tür: „Kurt? Ich muss mal kurz weg. In einer Stunde bin ich zurück. Hast du das Alibi vom Ehemann überprüft?“
Eichinger blubberte entrüstet und Felix machte, dass er wegkam. So würde Kurt wenigstens nicht überlegen, wo er mitten am Vormittag hinwollte. Er fuhr zügig nach Hause, warf seine Reisetasche aufs Bett, riss sich die zerdrückten Klamotten vom Leib und stieg unter die Dusche.
Zehn Minuten später war er ein neuer Mensch. Noch etwas feucht und mit nassen Haaren, aber spürbar wacher. Und aufnahmefähiger! Er rubbelte sich die Haare trocken und schlüpfte in frische Klamotten, die aber so ähnlich aussahen wie die von vorhin – er musste Kurt ja nicht unnötig verwirren.
Noch ein Paket Kaffee aus dem Schrank geholt und das Küchenfenster gekippt, damit der Zweiwochenmief abziehen konnte – und schon war er wieder weg.
Unterwegs kam er am Kinopalast vorbei und musste wieder an Meesen und seine Filmrechte denken – ob das stimmte? Ein betrogener Ehemann hatte ja durchaus ein Motiv…
Also: Ehemann, Stieftochter. Was war denn mit dem Lover? Vielleicht hatte sie mit dem ja Schluss gemacht? Vielleicht war es ja so was wie Verhängnisvolle Affäre – aber ohne Aktenstudium sollte er sich nicht in irgendwelche Kinophantasien hineinsteigern. Das war ohnehin nur Blödsinn.
Andererseits kannte er eben Kurt, und so musste er davon ausgehen, dass er ganz von vorne anfangen musste. Mit kalten oder kontaminierten Spuren. Klasse. Glücklicherweise aber arbeiteten die KTU und die Spurensicherung auch bei Kurt ordentlich. Davon musste man doch ausgehen können? Das wollte er doch wenigstens schwer hoffen.
Er parkte hastig hinter dem hässlichen Neurenaissancebau, in dem die Leisenberger Polizei untergebracht war, und eilte in sein Büro zurück. Siebenunddreißig Minuten, nicht übel.
Als Kurt hereinkam, lümmelte Felix schon wieder in seinem Stuhl, las in der Akte, ärgerte sich insgeheim über seinen knurrenden Magen und machte sich Notizen zu den Punkten, die Kurt garantiert übersehen hatte.
„Ach, schon wieder da? Also, der Meesen war wirklich auf dieser Sitzung. Ich hab seine Kollegen befragen lassen. Die Sitzung hat von drei bis kurz vor acht gedauert, und dann waren sie noch gemeinsam essen.“
„Während seine Frau gerade abtransportiert wurde“, murmelte Felix.
„Na, das konnte er ja nun nicht wissen, oder?“
Felix brummte unzufrieden. „Wieso hältst du diese Frau für die Täterin?“
„Hast du die Akte immer noch nicht durch? Weil sie ein Motiv hat und kein Alibi. Hat der Haftrichter mir sofort abgekauft, und du weißt, wie pingelig der ist!“
Felix ließ die Akte sinken. „Soll das heißen, die sitzt seit…?“
„Seit dem zehnten. Ich sag doch, das war schnell gelöst.“
„Sie sitzt seit fünf Tagen? Was sagt ihr Anwalt dazu?“
„Hat sie nicht. Recht hat sie, wozu noch Geld ausgeben, wenn sie sowieso dran ist.“
„Kurt?“ flötete Felix und lächelte süß.
„Ja?“ Eichinger schaute misstrauisch.
„Du bist ein Idiot.“
„Ach, und du bist Mr. Oberschlau?“
„Logisch. Und jetzt beweise ich es dir, dass diese Wiesner es nicht war.“
„Gefällt die dir etwa?“
Felix maß seinen Kollegen mit verächtlichem Blick. „Ich kenne die Frau doch gar nicht. Aber dir mal wieder zu beweisen, dass du meilenweit danebenliegst
– das macht schließlich jedes Mal von neuem Spaß. Und ich bin sicher, dass Thomas und Martin mir jederzeit dabei helfen. Von Anne und Joe ganz zu schweigen.“
Kurt knurrte. „Viel Vergnügen. Du kannst den Fall haben, samt Malzahn. Die Frau ist unerträglich. Und den dämlichen Schönberger schenke ich dir auch. Ich leihe mir für den Sporer-Fall ein paar Leute von Sundermann, der ist wenigstens vernünftig.“
„Mach das“, empfahl Felix herzlich. Sundermann war genauso knurrig wie Kurt, aber weniger beschränkt. Und Felix selbst kam mit Anne und Joe glänzend aus. Außerdem war Joe Schönberger überhaupt nicht dämlich. Er war extrem lernfähig, hatte allerdings auf arg bescheidenem Niveau begonnen und sich mittlerweile auf recht ordentlichen Durchschnitt heraufgearbeitet.
„Wo sind die beiden denn?“
„Na, drüben“, war die lapidare Antwort. Felix sah Kurt resigniert an, seufzte theatralisch und erhob sich ächzend, um selbst den Gang zu überqueren und seinen Stab zusammenzurufen.
Eichinger trollte sich unbeeindruckt.
Gegenüber, in dem großen Büro, in dem Martin Spengler normalerweise residierte, hatten Anne Malzahn und Joe Schönberger ihre SoKo-Tafel aufgestellt. Das klang gut, fanden sie, obwohl die Kriminalfälle im provinziellen Leisenberg doch immer von den gleichen paar Teams gelöst wurden und von SoKos nicht die Rede sein konnte.
Also stand auf dem großen magnetischen Whiteboard „SoKo Meesen“. Besser als „Tote Tussi“, dachte sich Felix und schaute zu, wie die beiden einige miserable Fotos mit Magneten befestigten und die Namen darunter kritzelten. Ein Foto allerdings hatte Studioqualität, und er trat näher, nicht ohne anerkennend durch die Zähne zu pfeifen.
„Typisch“, kommentierte Anne Malzahn, „kaum sieht eine Frau gut aus, wird der Fall interessant. Bei den Hässlichen wäre es wohl egal, ob der Fall gelöst wird?“
„Leicht übertrieben“, fand Felix. „Aber die war wirklich nicht hässlich. Die könnte schon heftige Gefühle ausgelöst haben. Meinetwegen primitive Gefühle… Nein!“ Er hob warnend die Hand. „Wir ersparen uns im Interesse des Falls alle gender-Debatten. Wenn der Drang übermächtig wird, können Sie meinetwegen den lieben Joe ein bisschen schikanieren.“
„Na danke“, murrte der mit übertriebener Leidensmiene, „ich werde ihr also zum Fraß vorgeworfen?“
„Schnapp“, murmelte Anne und grinste. „Okay. Die Gute sah echt nicht übel aus, kann ich nicht bestreiten. Haben Sie den Bericht schon durch?“
„Nein, noch nicht ganz. Aber die Folgerungen des Kollegen Eichinger -“
„- können Sie nicht ganz nachvollziehen, hoffe ich?“, ergänzte Anne.
„Lassen wir das“, wehrte Felix mit einem letzten Rest von kollegialer Solidarität ab, „aber auf jeden Fall gehen wir alles noch einmal gründlich durch.“
„Wollen Sie mit der Verdächtigen sprechen?“
„Nicht sofort. Erst lese ich die Akte fertig. Haben Sie schon irgendwas Sinnvolles zu tun?“
„Ich wollte mir mal die Stieftochter anschauen“, sagte Anne Malzahn, und Joe erinnerte sich, dass er das Gespräch mit diesem Halbritter noch einmal durchfieseln wollte.
Felix ließ sich – immer noch mit knurrendem Magen – am Schreibtisch nieder und las die