Tod einer Minnedame. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737562966
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etwas blassen Beteiligten ein Gesicht verleihen konnten.

      Konnten sie. Das Opfer – eine Wucht, ehrlich schade drum, fand er und tadelte sich sofort selbst. Als ob es um eine weniger schöne Frau nicht genauso schade gewesen wäre! Der Ehemann wirkte recht trocken und ein bisschen vergrämt. Kein Wunder, wenn die Ehefrau (und Mutter von zwei Töchtern) deutlich jünger war und sich anderweitig amüsierte. Andererseits sah der auch nicht aus, als habe er der Konkurrenz etwas entgegenzusetzen, fand Felix. Wie einer, der Viagra brauchte und zu feige war, es sich verschreiben zu lassen. Andererseits machte Viagra alleine das Kraut ja auch nicht fett… vielleicht war er einfach ein Tölpel?

      So sah er wieder auch nicht aus. Eher durchgeistigt… Was machte der beruflich gleich wieder? Ach ja, Filmrechte. Sesselfurzer. Er tat den Ehemann ab und wandte sich den Töchtern zu. Die Kleine hatte ein harmloses rundes Gesicht, mit elf Jahren vielleicht auch kein Wunder, die ältere – Céline – sah trotzig in die Kamera. Sehr hübsch. Die erste Frau von Meesen musste auch ausgezeichnet ausgesehen haben. Sehr dunkel, sehr schwarzäugig, sehr zartgliedrig. Bei Meesen selbst fand sich jedenfalls nichts davon, der war mehr der blasse, blonde, norddeutsche Typus. Und die schöne Margarethe von Meesen hatte eher zu kräftigen Farben tendiert, rotgoldene Locken, blaugrüne Augen. Der Kontrast zwischen den beiden Fotos – zu Lebzeiten und in der Auffindesituation – war brutal.

      Auf der anderen Seite der beiden Fotos schaute ein braunhaariger, empfindsam wirkender junger Mann den Betrachter an, sozusagen mit zitternder Unterlippe.

      „Nu heul nicht gleich“, murmelte Felix und musterte Jörg Halbritter kritisch. Softie? Der sensible Dichter? Was hatte die Meesen mit diesem Hemd gewollt? So sehr war ihr Angetrauter ja nun auch nicht der große Kraftprotz und Supermacho gewesen!

      Neben diesem Weichei schaute eine weitere Frau ernst von der Tafel. Knapp dreißig, schätzte er, schmales Gesicht, graue Augen, blasse Haut, kaum geschminkt, dunkle, glatt abgeschnittene Haare. Komisch, dass sie keine Brille trug, sie sah nach Brille aus, fand er. War bestimmt Buchhalterin. Pingelig und langweilig, garantiert. Das sollte die Superverdächtige sein, die seit Mittwoch in U-Haft saß? Kaum vorstellbar. Andererseits sahen ja viele Mörder völlig harmlos aus.

      Mit der sollte er mal reden. Die Meesen hatte ihr den Freund ausgespannt, und sie hatte kein Alibi. Sie hatte angeblich ganz alleine gearbeitet. Ein Softwareproblem… Niemand hatte sie in der Firma gesehen – wieso eigentlich nicht? Montags um 18 Uhr, das war doch gar nicht so spät?

      Felix blätterte in der Akte. Keinerlei Aussagen dazu. Nur diese Wiesner selbst hatte gesagt, sie sei alleine gewesen, als sie an diesem Problem herumgebastelt habe, einer der Rechner sei immer wieder abgestürzt, und im Firmennetz sei die Ursache lange nicht zu finden gewesen. Mensch, Kurt, was war denn das für eine Art zu ermitteln?

      Felix warf die Akte auf den Tisch und stürzte über den Gang. „Kurt?“

      Kurt war nicht da. Wieso wunderte ihn das nicht?

      Na gut, dann holte er erst einmal seine Kiste aus seinem eigenen Büro. Und noch einen Kaffee. Die nächste Zeit würde er ja doch im großen Büro wohnen müssen, und da wollte er wenigstens seine eigenen Kulis haben.

      Sobald er sich eingerichtet, das Magenknurren mit einem weiteren schwarzen Kaffee unterdrückt und den Rechner hochgefahren hatte, begann er zu notieren:

       Alibi Wiesner richtig überprüfen

       Mit Wiesner reden

       Hatte es Drohungen von Wiesner gegen Meesen gegeben?

       Verhältnis Stiefmutter & Stieftochter?

       Finanzen? Wer erbt? Gibt´s was zu erben?

       Wo ist Frau von Meesen I?

       Was denkt Halbritter?

      Den hatte zwar der gute Joe schon einmal befragt, aber eher kurz und oberflächlich. Halbritter war verstört gewesen, konnte sich nicht vorstellen, wer das getan haben konnte, alle hatten die entzückende „Margie“ doch geliebt… blablabla. Und natürlich war diese Margie seine ganz große Liebe gewesen, auf den ersten Blick sei er verloren gewesen – mehr war nicht gegangen, Halbritter war in Tränen ausgebrochen und musste mühsam getröstet werden.

      Aha, die Wiesner hatte sich Kurt selbst vorgeknöpft, wahrscheinlich mit seinem üblichen gebremsten Charme. Felix las sich das Verhör noch einmal gründlich durch, in der Hoffnung, etwas zu finden, was entweder einen neuen Ansatz lieferte oder zeigte, dass Kurt doch nicht so ein völliger Idiot war.

      Die Wiesner hatte ausgesagt, dass sie kein Alibi habe, dass sie aber Margarethe von Meesen nicht getötet habe, weil ihr an der Beziehung mit dem rettungslos anderweitig verliebten Halbritter ohnehin nicht mehr viel gelegen sei. Nein, beweisen könne sie das nicht, wie denn? Ja, ihr sei auch klar, dass jeder Verdächtige so argumentiere, aber es sei nun mal die Wahrheit. Als man ihr eröffnete, dass sie als tatverdächtig gelte und vorläufig festgenommen sei, habe sie die Achseln gezuckt und darum gebeten, bei ihrer Firma anrufen zu dürfen, weil sie ja bis auf weiteres ihre Aufträge nicht wahrnehmen könne.

      Himmel, was machte diese Frau denn beruflich?

      Einen Anwalt hatte sie nicht eingeschaltet. Komisch.

      Und einem Bericht der Beamtin aus dem Untersuchungsgefängnis zufolge habe die Wiesner zuerst geglaubt, sie dürfe sich tagsüber in ihrer Zelle nicht setzen, esse von allen Mahlzeiten nur das Gemüse und das Brot, wasche sich tatsächlich mit der grauenvollen Anstaltsseife, sogar die Haare, habe sofort um irgendeine Arbeit gebeten, um sich Zahnpasta kaufen zu können, und wirke generell resigniert, aber unverdrossen.

      Merkwürdig. Wenn sie unschuldig war, warum tobte sie dann nicht? Wenn sie schuldig war, warum gestand sie nicht?

      Und was arbeitete sie bitte im Gefängnis? Software zu reparieren oder was auch immer gab´s da ja wohl nicht. Er blätterte um. Sie sortierte Schräubchen? Für zwanzig Cent die Stunde? Sie hatte bis jetzt vier Tage lang acht Stunden gearbeitet und 6,40 € verdient, ohne den heutigen Tag. Davon hatte sie sich Zahnpasta und eine Zahnbürste gekauft, außerdem einen Kamm (lila, vermerkte die Akte akribisch). Ihre Bitte um Gefängniskleidung war abschlägig beschieden worden, also wusch sie ihre Klamotten täglich und trocknete sie dann auf der Heizung. Felix verkniff es sich, darüber länger nachzudenken, er fragte sich nur, warum sie nicht wie alle anderen Leute eine Reisetasche gepackt hatte, als sie festgenommen worden war. Kurt fragen! Oder sollte er sich die Frau herbestellen und sie einmal gründlich verhören? Später, er wollte dabei nicht mit ihr alleine sein – und Anne Malzahn war ja noch mit der Stieftochter beschäftigt.

      Ob alle Beteiligten so verdreht waren wie diese Wiesner?

      Fürs erste reichte es ihm; er legte die Akte in die Schublade und verzog sich in die Kantine, wo immerhin noch ein nicht allzu ältliches Käsesandwich zu haben war. Unwesentlich gesättigt kehrte er zurück und machte sich erneut auf die Suche nach Kurt. Dieses Mal wurde er fündig.

      „Sag mal, wieso will diese Wiesner denn ihre Sachen nicht in der Zelle haben?“

      Eichinger sah seinen Kollegen konsterniert an. „Was? Welche Sachen?“

      „Na, Kulturbeutel, Ersatzwäsche, all so was? Und wieso hat sie keinen Anwalt?“

      „Mein Gott, bist du jetzt ihr Anwalt oder was? Merkwürdig, die schaut doch nach gar nichts aus. Ich habe sie hier nach einem sehr unbefriedigenden Verhör festgenommen, da hatte sie eben nichts dabei. Und wenn sie lieber ihren Chef anrufen will statt ihren Anwalt, ist das ja wohl nicht unser Problem, oder?“

      „Und warum hat sie niemanden geschickt, ihre Sachen zu holen?“

      „Frag sie doch selbst. Wahrscheinlich kennt sie niemanden, und du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich eine Beamtin losschicke, um einer Mörderin ein frisches Nachthemd zu holen?“

      „Einer mutmaßlichen Mörderin“, korrigierte Felix mit leiser, böser Stimme. „Bis jetzt hast du überhaupt noch nichts