„Oh, oh“, machte Liz. „Sie haben sich überlegt, wenn jetzt noch jemand Cornelia und die Katzen aus dem Weg räumte, könnten Sie das Haus in den Wind schießen?“
„Der Gedanke hat sich etwas aufgedrängt“, gab Raben zu. „Und natürlich schämt man sich sofort. Jetzt kann ich nur hoffen, dass Cornelia hundert wird und zwanzig Katzen durchfüttert.“
„Ludwig hat nichts gearbeitet?“, lenkte Andi von der Gewissenserforschung ab.
„Nein. Er hat im Moment – was gleich wieder? – studiert… VWL und Kommunikationswissenschaften waren ja schon wieder passé… irgendwas Exotisches… Sinologie, glaube ich. Dabei konnte er kein Wort Chinesisch – Mandarin oder Kantonesisch, nichts. Gejobbt hat er nebenbei auch nicht.“
„Dann war er viel zu Hause?“
„Nein, das heißt, das weiß ich auch nicht, ich bin ja normalerweise selbst nicht da. Ich glaube, er war wohl mit Drogenbeschaffung beschäftigt. Hm, fast schon ein Polyptoton…“
„Was?“ Liz runzelte die Stirn.
„Germanistenscherz. Eine rhetorische Figur, zwei Wörter mit dem gleichen Wortstamm… egal. Aber woher Ludwig das Geld für sein Zeug hatte, weiß ich wirklich nicht. Meinen Sie, er hat gedealt?“
Andi Reuchlin hob die Schultern. „Schwer zu sagen. Hinweise haben wir noch keine darauf, und die meisten Dealer werden sich hüten, selbst süchtig zu werden. Wir verfolgen diesen Hinweis aber natürlich weiter. Seine Diebstähle dürften ihn schließlich nicht wirklich weitergebracht zu haben. Was würden Sie sagen, seit wann Ihr Bruder Drogen genommen hat?“
Raben zuckte die Achseln. „Merkt man denn jemals, wann so etwas anfängt? Gut zehn Jahre ist das bestimmt her. Vielleicht, als er in seinem ersten Studium erkannt hat, dass er es nicht schaffen wird…“
„Flucht aus der Realität?“, fragte Liz teilnehmend.
„Ja, möglich. Wahrscheinlich hat sich Conny als ähnlichen Gründen auf diese Existenz als Katzenmama gestürzt.“
„Und Paula?“
„Was ich bei ihr falsch gemacht habe, weiß ich auch nicht.“
„Herr von Raben, ich bitte Sie! Als Sie für die Familie mehr oder weniger verantwortlich wurden, war doch Paula auch schon achtzehn. Warum sollten Sie da noch für gewisse – äh – Merkwürdigkeiten verantwortlich sein?“ Liz schien eine regelrecht mütterliche Haltung Raben gegenüber einzunehmen.
„Wie sieht es denn mit der dritten Schwester aus?“, fragte Andi, um Selbstmitleid und Selbstvorwürfen einen Riegel vorzuschieben.
„Teresa? Ach, Teresa – wenigstens sie wohnt nicht mehr im Rabenhaus. Sie hat sehr früh geheiratet und ist Mutter einer Tochter. Larissa ist mein Patenkind. Vierzehn ist sie jetzt. Ob in Teresas Familie alles gut läuft, weiß ich allerdings auch nicht…“ Er seufzte.
Damit ging er Andi ziemlich auf die Nerven, vor allem, weil Liz schon wieder so mitfühlend dreinsah. Wenn dieser Teresa etwas nicht passte, dann sollte sie es ihrem Bruder entweder deutlich sagen oder ihren Kram selbst geregelt kriegen – man konnte es mit der Fürsorge wirklich übertreiben.
„Wie hat denn Teresa auf den Tod Ihres Bruders reagiert?“, fragte Liz behutsam. Gerade, dass sie Raben nicht eine Hand auf den Unterarm legte und ihm tief in die Augen sah!
„Leider – so ähnlich wie die anderen: nicht allzu tief getroffen. Ludwig hat es einem auch nicht leicht gemacht, ihn zu mögen. Er war meistens unfreundlich, gierig, oft etwas – äh – ungepflegt und völlig ohne Interesse an anderen. Ganz ehrlich: Dass er uns beklaut hat, hat mich nur deshalb überrascht, weil es mir noch gar nicht aufgefallen war. In diesem unübersichtlichen Haus wohl auch kein Wunder.“
„Warum sorgen Sie dann nicht mal für Ordnung?“, fragte Andi – etwas taktlos, wie er selbst zugeben musste.
„Wie meinen Sie das?“ Raben wirkte gar nicht beleidigt, eher hilflos.
„Na, wie in jeder anderen WG auch: festlegen, was jeder aufräumen muss, wer sich um was zu kümmern hat, vielleicht ein bisschen renovieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese – äh – unbefriedigende Wohnsituation Schicksal sein muss.“
„Vielleicht… und Ludwig wäre ja am ehesten der gewesen, der einen solchen Plan torpediert hätte…“, dachte Raben halblaut nach.
„Überlegen Sie´s sich“, empfahl Reuchlin und nickte Liz zu.
Sie verabschiedeten sich und steuerten doch gleich den alten Kiosk am Eingang zum Prinzenpark an.
Der Inhaber war da und lugte etwas missmutig aus seinem Verschlag, während Andi und Liz sich umsahen. Auf der handbeschrifteten Tafel neben der Verlaufsluke gab es praktisch nur zwei Sorten Bier und eine Sorte Schnaps, einen billigen Kornbrand.
„Sonst führen Sie nichts?“, fragte Liz und zeigte ihren Ausweis vor.
„Wozu? Die Penner saufen doch nix anderes“, war die unwirsche Antwort.
„Sind immer die gleichen Leute hier?“
„Mehr oder weniger. Aber jetzt haben Sie da kein Glück, die schlafen noch irgendwo ihren Rausch aus. Am Nachmittag kommen dann die ersten. Meist recht junge. Die ruinieren sich ihr Leben schon ganz schön früh – und alt werden die so auch nicht.“
Reuchlin zog ein Foto von Ludwig von Raben aus der Tasche. „War der auch öfter hier?“
Flüchtiger Blick. „Klar. Der Luggi ist das. Der ist hier aber nicht so beliebt.“
„Ach, warum das denn?“ Liz machte arglos runde Augen.
„Na, weil er immer was schnorren will. Ein Bier gratis, oder gib mal die Flasche her, wer hat ne Kippe für mich. Die anderen sitzen ordentlich in der Altstadt und beschaffen sich ihr Geld und dann kaufen sie sich Kippen und was zum Trinken. Und er ist sich anscheinend zu fein, auch mal den Hut hinzuhalten. Das nehmen die anderen ihm schon übel.“
„Also wollte er nicht betteln… verflixt, wovon hat der Kerl denn eigentlich gelebt?“, überlegte Andi ärgerlich.
„Wieso eigentlich wollte?“, fiel dem Kioskbetreiber nun auf. „Ist der Luggi tot oder was?“
„Ist er. Und wir wüssten gerne, wer das gewesen sein könnte.“
„Hm…“ Der Zeuge legte sich gemütlicher auf seinem Miniaturtresen zurecht.
„Seine Familie vielleicht?“
„Eher nicht“, ging Andi auf die Diskussion ein. „Hat ihn einer von den Gästen hier ganz besonders dick gehabt?“
Trauriges Kopfschütteln. „Nein, das war bei allen ziemlich gleich. Sie haben herumgegrummelt, Da kommt der blöde Luggi wieder und schnorrt sich durch und so. Aber sie haben nie gesagt, dass sie ihm was einbläuen wollen oder so was.“
„Hm… und er hat auch immer nur gesoffen und geraucht – also, normale Kippen? Nichts anderes?“
„Was denn anderes?“ Das klang misstrauisch.
„Na, Ludwig von Raben war ein Junkie. Hat er sich hier mal was gespritzt oder was geschluckt oder geschnupft?“
„Also, bei mir gibt´s so Zeug fei nicht, gell!“
„Das glauben wir ja auch nicht“, beruhigte Liz und lächelte vertrauenerweckend. „Er könnte sich aber was mitgebracht haben, oder?“
„Jaja, das schon. Aber mir ist da nichts aufgefallen. Schnupftabak hat er manchmal gehabt, das schon…“
„Aus so einer kleinen blausilbernen Dose?“
„Nein… er hat es in einem Stück Papier mitgebracht. Nur so ein bisschen. Und nicht geniest danach. Eigentlich komisch, oder?“
„Vielleicht war das