Cedric sah sich verwundert um und erkannte mich. »Ragnor? Oh, das ist also Walhalla! Und hier gibt es so viele bunte Bilder! Du bist doch tot, also ist das hier Walhalla! Schön, dass wir wieder zusammen sind! Ragnor, wie bin ich hier her gekommen?«, fragte der Nackte und umarmte mich.
»Hey, Cedric, hier ist nicht Walhalla, wir sind im Louvre. Ist dir kalt? Hier nimm meine Jacke!«
So gab ich Cedric mein zerfleddertes Jackett, damit er seine Blöße bedecken konnte.
»Weißt du was? Ich habe echt Hunger!«, meinte der frisch Erwachte und luhrte in die nächste Vitrine, die einen ausgestopften Polarfuchs beherbergte. Ehe ich mich versah, bearbeitete er mit seinen Klauen die Glasscheibe, und als die nicht nachgeben wollte, holte er mit der Faust aus und war kurz davor, sie zu zerschlagen. Mir wurde es zu viel. Also bekam er kurzerhand eine gepfefferte Kopfnuss und wurde ins Reich der Träume befördert, ehe er hier zum wilden Bären, oder Yeti aushonkte.
Meine Ringmitarbeiter wirkten eher unterirdisch begeistert. Blobb hatte sich hinter Dracon postiert und Barbiel machte ein leicht mitleidiges Gesicht. Doch das war mir egal. Cedric war wieder da!
»Autsch!«, meinte Barbiel. »Tut ihm das nicht weh?«
»Ach wo, das kann er ab. Besser ich lege ihn schlafen, als wenn er hier Unheil anrichtet.«
Vorsichtig hob ich den bewusstlosen Jungen vom Boden und legte ihn mir sachte wie ein Baby über die Schulter.
Zuvor hatte ich mein Handy aus der Tasche genommen und wählte die Kurzwahl von Sal, unserer aller Chef, außer dem von Cedric natürlich. Nachdem es zweimal klingelte, ertönte seine Stimme. Aufgeregt berichtete ich.
»Sal, spring in den Flieger, du glaubst nicht, wen ich gefunden habe! Cedric, er ist hier im Louvre!«
Das konnte er kaum glauben. Er versprach mir, sofort los zu jetten und Amanda würde er ebenfalls mitbringen! So tätschelte ich beruhigend Cedrics Schulter. Er war nun einmal ein sehr sensibles Wesen und schnell beunruhigt. Im Gegensatz zu mir, ich neige bei Verwirrung eher zu Pöbeleien. Nun war er weggetreten, was mir nicht gerade unpassend kam und so drehte ich mich zum Team: »Folgendes: Dracon, du konfiszierst die Videobänder und rufst die Cleaner in der Filiale an. Schildere ihnen die Situation. Sie werden dieses Chaos wieder richten. Wie bist du hier her gekommen? Mit dem Motorrad?«
»Mit dem Skateboard. Louvre bedeutet: Lange Wege, n'est-il pas?«, grinste er.
Wie recht er doch hatte, meine qualmenden Socken konnten das nur bejahen.
»Blobb, du hältst die Augen offen und wenn ich mit Barbiel den Raum verlassen habe, verriegelst du die Tür hinter uns. Alles klar?«
Blobb blubberte und nickte mit irgendetwas, das ein Kopf sein konnte. Bevor wir den Ausstellungsraum verließen, musterte ich erst einmal unsere Umgebung. Keine außergewöhnlichen Vorkommnisse. Schnell bewegten wir uns zum Wagen, öffneten die Türen und ich legte Cedric vorsichtig auf die Rückbank. Dann fuhren wir los. Mein Beifahrer streichelte Brutus und warf mir immer noch diesen fragenden Blick zu.
»Was glotzt du so blöde?«, fragte ich ihn schroff.
»Ich hätte niemals gedacht, du könntest so etwas wie einen Freund haben. Aber er muss wirklich dein Freund sein, sonst hättest du ihm sämtliche Gräten gebrochen, als er dich so umarmte«, grinste der Engel. Meine Reaktion darauf war ein kurzer, vernichtender Blick. Doch Barbarella fuhr fort, mich mit seinem Gequassel zu nerven. »Kennt ihr euch schon lange? Wenn ich überlege, dass du das letzte Mal vor über sechs Jahrhunderten aktiv warst, ist er folglich jemand aus deiner früheren Zeit.«
Natürlich hatte er recht, Cedric ist mein Schwager und Freund. Der Halbruder meiner Frau, aber das musste der Engel nicht erfahren. Außer Sal, Simon, Delia, Amanda und mein Therapeut, Dr. Dr. Gütiger, wusste niemand etwas über mein Privatleben vor dem Tag, als sich für mich alles veränderte. Aber wenn ich nichts über Cedric sagen würde, gäbe Babs nie Ruhe.
»Es ist sehr lange her, damals arbeitete ich noch für den Lord. Dieser Bursche ...«, ich zeigte auf den Rücksitz, »saß bei mir im Kerker. Die Michaeler hatten ihn eingekerkert. Der Kerker ist normalerweise ein Ort, an dem nichts außer Schreien und Stöhnen ertönt. Aber dieser Junge machte Musik, und sang fröhlich drauf los. Dadurch fühlte ich mich echt genervt und brüllte ihn an. Aber er machte so ein Theater, dass ich ihm eins aufs Maul schlug. Doch ich besann mich. Ich weiß auch nicht, irgendwie tat er mir leid. Er ist doch ein unschuldiges Kind.«
Wieder warf ich einen Blick, in den Rückspiegel, auf den besinnungslosen Cedric. »Bei seiner Wandlung zum Vampir muss mächtig was schief gegangen sein, denn er konnte sich überhaupt nicht mehr an sein vorheriges Leben erinnern. Das habe ich schon öfter erlebt, dass Vampire überhaupt keine Erinnerung an ihr menschliches Leben hatten. Und der kleine Kerl da, beschwerte sich, dass ihn die Michaeler ungerecht behandelten. Erst später klärten wir ihn auf, dass Cedric, so ist sein Name, der Sohn meines Dienstherren war. Allerdings entsprach er nicht seinen Anforderungen und so wurde vertuscht, dass der Lord überhaupt einen Sohn besaß.«
»Das ist wirklich traurig,«, meinte Barbiel mitfühlend. »Er scheint ein wirklich netter Kerl zu sein.« Nicken meinerseits.
Endlich erreichten wir das Hotel. Zum Glück hatten wir einen reservierten Parkplatz. Schnell stieg ich aus und legte mir Cedric über die Schulter. Barbiel folgte mir wie ein Schatten und warf unserem Bewusstlosen immer wieder einen besorgten Blick zu. Der Kerl an der Rezeption, warf uns eher einen verwunderten zu, als wir den Fahrstuhl betraten. Auf unserer Etage nahm ich Abschied von Barbiel und er