Bald kam der nächste Anlass, zu dem William aufspielen sollte. Er hatte die Gewohnheit, sein Instrument vorher gut einzustimmen und die Leute wussten das. Er tat es jeweils etwas entfernt vom Dorf und pflegte dabei auch neue Melodien einzuüben. Diesmal blies er die Pfeife kurz in der Nähe von Marys Haus, entfernte sich langsam davon, blies wieder, diesmal absichtlich falsch und kurz, ging ein Stück weiter und ließ erneut ein paar krumme Töne erklingen. Schließlich hatte er sich ein gutes Stück von ihrem Haus entfernt und trat hinter einige Büsche. Von dort hatte er das Haus im Blickfeld, ohne selbst gesehen zu werden.
Mary hatte die Signale verstanden. Sie erschien unter dem Türrahmen, schaute sich um und ging dann raschen Schrittes in seine Richtung. William spielte zu ihrem Empfang ein Liebeslied. So standen sie sich bald im Schutz des Gebüsches gegenüber. Sie schauten einander in die Augen und hatten die Gewissheit, das Richtige zu tun. So bald würde sich keine weitere Gelegenheit mehr finden und viel Zeit hatten sie auch nicht. William brauchte nur die Arme öffnen und sie fiel ihm um den Hals. Worte waren unnötig; zwei Herzen, die zusammenwollten, hatten sich gefunden.
Dann gingen sie auf getrennten Wegen zurück ins Dorf. Das Fest hatte soeben begonnen und der Pfeifer William wurde mit Gejohle begrüßt. Diesen Abend spielte er nur für eine, und diese eine hörte aus jeder Melodie seine Liebeserklärung heraus. Sie hatte nur Augen für ihn und die Anwesenheit ihres Vaters sowie von MacLysh war ihr gleichgültig. Diese steckten die Köpfe zusammen, becherten und schienen sich gut zu verstehen.
3
Marys Vater hatte schließlich keinen anderen Ausweg mehr gewusst, als dem Vorschlag von MacLysh zuzustimmen: ihm gegen Erlass seiner Schulden und Begleichung der Pachtzinsen Mary zur Frau zu versprechen. Als er das seiner Tochter spät abends eröffnete, erbleichte diese vor Schreck, doch sie stellte sich vor ihn und rief: „Ich bin schwanger!“
Die Schläge ihres Vaters nahm sie widerstandslos hin.
„Verflucht sollst du sein! Mit wem hast du es getrieben?“ Er packte sie bei den Schultern und schüttelte sie. „Raus mit der Sprache! Ich werde das Schwein umbringen!“ Doch dann holte ihn seine Trunkenheit ein. „MacLysh wird mich ruinieren, wenn ich meine Schulden nicht bezahle.“ Er ließ sie los und griff sich an den Kopf. „Ich bin verloren“, lallte er und taumelte rückwärts. Er konnte sich nicht mehr fangen, fiel auf den Hintern, ächzte laut auf, kippte zur Seite und schlief sofort ein.
In der Dunkelheit machte sich Mary auf den Weg zu Williams Haus, wobei sie das Dorf in einem großen Bogen umging, um keine Hunde zu wecken. Als sie an die Tür klopfte, öffnete William sofort; er war noch wach gewesen. Als sie sich küssten, spürte er ihre tränennassen Wangen. Er zog sie sofort ins Haus.
„Was ist geschehen?“
Sie erzählte ihm vom Handel ihres Vaters mit MacLysh. Erst jetzt sah er, dass sie im Gesicht verletzt war. Er nahm ein Tuch, benetzte es mit Wasser und betupfte behutsam die wunden Stellen.
Noch auf dem Weg zu William waren keinerlei Zweifel in Mary aufgekommen, dass er sie wirklich liebte. Doch jetzt wagte sie kaum ihm zu sagen, mit welcher Behauptung sie sich aus der Verpflichtung ihres Vaters gegenüber MacLysh zu lösen hoffte.
William sagte bestimmt: „Ich werde mit deinem Vater sprechen! Auch mit MacLysh! Die müssen ihren Handel rückgängig machen!“
„Und wenn sie nicht darauf eingehen?“
William sah sie liebevoll an. „Ich zwinge sie dazu, ich lasse mir dich von niemandem wegnehmen!“
„Warum, William?“ Sie wollte nur eines von ihm hören.
Sanft nahm er ihr zartes Gesicht in seine großen Hände. „Weil ich dich liebe!“, flüsterte er.
„Ich liebe dich auch, von ganzem Herzen, William.“
Nach einer Weile getraute sie sich es zu sagen: „Ich habe gegenüber meinem Vater behauptet, ich ... ich sei schwanger.“
William schaute sie irritiert an: „Schwanger? Von wem?“
Sie erwiderte: „Du warst der erste Mann, mit dem ich zusammen war.“
Das Torffeuer im Herd glühte, es war angenehm warm. William streichelte ihre Hand und sie küssten sich wieder und wieder. Er hob Mary auf, trug sie zum Bett und sagte lächelnd: „Dann wollen wir doch sicherstellen, dass es wirklich so ist.“
4
William hatte sich vorgenommen, am folgenden Tag gleich zu Marys Vater zu gehen und ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Er würde einfach behaupten, Mary sei von ihm schwanger.
Er kam nicht dazu, denn am anderen Morgen stellte Marys Vater fest, dass seine Tochter verschwunden war. Er fragte bei Nachbarn nach, doch niemand hatte sie gesehen.
Wenn mir nur MacLysh nicht über den Weg läuft, dachte er. Ich werde noch William fragen, der weiß doch sonst immer Bescheid über die Leute. Als er auf dessen Haus zuging, trat William aus der niedrigen Türe.
„Ich wollte soeben zur dir“, sagte William, „wir müssen reden.“
Mary hörte die Stimmen und erkannte die ihres Vaters. Durch den Türspalt spähte sie ins Freie. Ihr Vater war ungewaschen und offensichtlich immer noch betrunken.
„Ich wüsste nicht, was wir zu bereden hätten. Ich suche meine Tochter. Hast du sie gesehen?“
Williams Stimme war ruhig. „Mary ist bei mir. Wir werden heiraten.“
Ihr Vater sah ihn zuerst erschrocken, dann zornig an. „Ich werde das verhindern! Sie ist MacLysh versprochen.“ Er ging auf die Tür zu. „Ich werde sie mir zurückholen. Mary, komm sofort heraus!“
William stellte sich ihm in den Weg. „Mary ist schwanger. Das ändert wohl alles.“
„Und ihr habt es hinter meinem Rücken getrieben. Ich werde dich umbringen!“, rief er, nicht ganz überzeugend. Wenn er sich MacLysh und Mary vorstellte, da gefiel ihm der stattliche William schon besser. Aber wie sollte er sein Schuldenproblem lösen? Er sackte resigniert in sich zusammen und setzte sich auf die Bank vor dem Haus.
Mary lauschte angespannt und hörte William sagen: „Ich übernehme deine Schulden. Ich werde mit MacLysh sprechen. Du überschreibst mir dein Haus. Wir werden unsere Felder und unser Vieh zusammenlegen.“
Marys Vater schaute ihn mürrisch an. Er wusste, dass er keine andere Wahl hatte, als das Angebot anzunehmen.
William ergänzte: „Du wirst für mich arbeiten und tun, was ich dir sage. Ich regele das mit dem Verpächter.“
Inzwischen war auch Mary aus dem Haus getreten. Ihr Vater würdigte sie keines Blickes.
„Geh jetzt!“, befahl ihm William. „Wir werden später zu MacLysh gehen. Mary wird selbstverständlich bei mir bleiben.“
Der Vertrag mit MacLysh war dadurch hinfällig geworden. Doch die Schulden waren festgeschrieben, und William blieb nach der Hochzeit mit Mary nichts anderes übrig, als diese zu übernehmen. Er wusste noch nicht, wie er diese begleichen sollte. MacLysh fraß seinen Ärger in sich hinein. Man sah ihn daraufhin nicht mehr bei den Anlässen, an denen William und Mary gemeinsam teilnahmen. William stellte einen Schuldschein aus, sein Haus war die Garantie dafür.
5
Es war gegen Mittag. William war gerade dabei, das Dach seiner Scheune auszubessern, als ein Reiter auftauchte.
Er ritt zu ihm hin, schaute hinauf und rief: „Bist du William?“
William nickte. „Was willst du?“
„Ich habe eine Botschaft für dich.“
„Botschaft? Wer schickt mir Botschaften?“
„Komm