„Warum, gehst du etwa auch weg?“
„Ja, so ist es. Lewis erwartet von mir, dass ich die Highlander für den Kampf gegen die englischen Truppen ausbilde. Weißt du, ich soll sie drillen, damit sie lernen in Formationen zu kämpfen, wie die Engländer und auch die Franzosen hier.“
„Auch bei MacAreagh?“
„Ja, sie werden ihm Waffen liefern, Gewehre mit Bajonetten und Säbel. Lewis erklärte, die Engländer hätten viele der Waffen der Highlander beschlagnahmt.“
Cremor schmunzelte zufrieden. „Dann gehen wir also beide an den gleichen Ort. Tief in die schottischen Highlands! Oder eher hoch, meine ich, dort bei MacAreagh soll es ziemlich hügelig sein. Freust du dich?“
Humph nickte. „Ich freue mich, dass wir zusammenbleiben.“
Cremor schenkte sich ein Glas Wein ein. „Ja, hier wird es langweilig, nicht wahr? Außerdem ist mir der Wein verleidet. Ich sehne mich nach einem Schluck Whisky.“
Humph wog seinen Kopf leicht hin und her. „Wer weiß, worauf wir uns hier einlassen. Lewis nennt sich zwar Adjutant des Generals, aber in Wirklichkeit sind wohl beide Agenten der Exilregierung. Eines ist sicher: Du und ich sind bestimmt nicht die Einzigen, die Lewis losschickt.“
Einige Wochen später betraten beide wieder schottischen Boden. Lewis hatte sie gut ausgerüstet mit Pferden, Geld und einem Brief für MacAreagh.
1
Blair Mhor war groß genug, Dorf genannt zu werden, und hatte alles, was ein Dorf ausmacht: Kirche, Schenke, Mühle, Schmiede, Brunnen, Steinhäuser, Scheunen, Pferdeställe, eine Brücke und ein kleines Bordell. Der Fluss bezog seine Nahrung aus unzähligen Bächen, die die moorige Ebene bis hin zu den Hügeln mit scharfkantigen Rinnen durchzogen. Dazwischen lagen weit verstreut kleine Bauernhütten mit stroh- und schilfbedeckten Dächern, aus deren Öffnungen endloser Rauch qualmte. Auf leichten Erhöhungen grasten zottige schwarze Rinder mit weit ausholenden Hörnern, hier und dort lagerten Grüppchen kleingewachsener Schafe. Unter Bäumen trockneten aufgestapelte Torfstreifen.
In Blair Mhor wurde der Rat des Dorfältesten respektiert, der Sheriff sorgte für Ruhe, der Dorfpfarrer für den Segen und der Wirt MacLysh für das leibliche Wohl. Und trotzdem hätte etwas gefehlt in diesem Örtchen, ohne den Dorfpfeifer William.
Das Dorf gehörte zum Reich von Alan, dem Clan-Chief der MacLennoch, wodurch es seinen Schutz genoss. Man ließ niemanden verhungern, war mehr oder weniger geschützt gegen Übergriffe von feindseligen Nachbarn und konnte sich auf die Gerichtsbarkeit des Clan-Chiefs verlassen. Das Entgelt für das gepachtete Land und den Schutz wurde jährlich in Form von Vieh und Getreide erhoben, und jeder wehrfähige Mann zwischen vierzehn und fünfzig konnte zum Soldatendienst aufgeboten werden.
William war einer der Bauern. Sein Haus stand etwas abseits des Dorfes, war größer als die üblichen Bauernhütten und verfügte außerdem über Stall und Scheune. Als Dorfpfeifer war er bei den Dorfbewohnern beliebt, denn immer, wenn es etwas zu verkünden, zu feiern oder zu betrauern gab, war William zur Stelle. Kaum spielte er auf, fühlten sich die Menschen im Herzen berührt. Sie vergaßen ihre Sorgen um Pachtzinsen, schlechte Ernten und Krankheiten, schlugen mit dem Fuß den Takt und wiegten dazu ihre Körper.
William konnte daraus lesen, welche Gefühle sie beherrschten, welche Bedürfnisse sie haben könnten, und er stimmte seine Melodien auf sie ab. Gut fuhr er, das wusste er, wenn er sie zuerst in Bewegung versetzte, damit sie zueinanderfanden. Er spielte zum Tanze auf, mit schnellen und beschwingten Rhythmen, wie sie die Seeleute von Irland herübergebracht hatten. Keiner blieb dabei sitzen, alle fanden ihr Gegenüber, ob sie es mochten oder nicht, keiner wollte allein sitzen bleiben. Sobald sie ihren Atem wieder gefunden hatte, schwollen seine Töne in Liebesliedern auf und die Augen fanden einander im Begehren oder im Verständnis ihrer Erinnerungen. Er konnte sie aufheizen mit aggressivem Stakkato, damit sie ihren Unmut gegenüber Verpächtern, den englischen Rotjacken oder einander in der Musik verlieren konnten, und er ließ sie zu Tränen kommen, wenn sie an ihre Mütter oder an ihre verlorenen Lieben dachten. Und im richtigen Moment strömte die letzte Luft durch sein Instrument und er legte es zur Seite.
Im Gegensatz zu den meisten Dorfbewohnern konnte William lesen und schreiben. Auch kam er mit seinen Darbietungen viel in der Gegend herum, nicht nur in Blair Mhor, sondern auch auf den Gütern der Verpächter. Dort lernte er auch ganz andere Leute kennen, als jene, die in seinem Dorf wohnten — die Landbesitzer, Geistlichen und Offiziere. Der Umgang mit ihnen fiel ihm leicht, denn Dudelsackspieler zu sein war eine ehrenvolle Aufgabe, die allseits hohen Respekt genoss.
Es war üblich, dass der Pfeifer am Ende seiner Darbietung vom Verpächter entlohnt und verabschiedet wurde, und dazu gehörte auch ein Schluck für den Pfeifer, wobei ihm traditionell ein Glas Whisky kredenzt wurde. Im Anschluss saß er mit den Leuten zusammen, erfuhr dies und das, und immer wieder kam die Sprache darauf, wie man den Steuereintreibern der Regierung ein Schnippchen schlagen konnte, damit sie den geheimen Brennereien nicht auf die Spur kamen.
Nicht selten traf er auf MacLysh, wenn dieser mit seinem Karren unterwegs war, um die Wolle der Spinnerinnen einzusammeln. Es war das Hauptgewerbe von MacLysh, der nebenbei in seinem Haus auch die kleine Schenke betrieb. Stets nutzte er seine Kontakte auch geschickt, um den einen oder anderen Sack Gerste oder anderes Getreide aufzukaufen.
2
William hatte Hände, wie es sich für einen Bauern gehörte. Sie waren schwielig und machten es ihm schwer, jeden Ton genau zu treffen, was ihn ärgerte, denn er spielte sein Instrument mit großer Sicherheit und in unendlicher Vielfalt; fast nie musste er im Verlaufe eines langen Abends eine Melodie wiederholen. Die Musik kam aus seinem Innersten und ging von dort in seine Finger und auf das Instrument über.
Während des Spiels konnte er seinen Gedanken nachhängen, die Leute beobachten, umhergehen und jemandem zur Begrüßung oder zum Abschied zunicken. Selbst ein rascher Schluck Whisky unterbrach den Melodiefluss nicht, denn er konnte mit der rechten Hand einen Becher kurz zum Mund führen, während die linke weiterspielte, das Mundstück ließ er kurz los, und die Luftreserve im Dudelsack ließ die hohen Töne weiterhin erklingen.
Dafür wurde er bewundert, am meisten von der jungen Mary. Schon öfter war ihm aufgefallen, dass sie eine der Wenigen war, die ihm beim Spielen wirklich zuhörten. William fühlte sich sehr zu ihr hingezogen. Ihre kleine, etwas rundliche Gestalt hatte es ihm angetan, und oft suchte er den Blick ihrer warmherzigen Augen, den sie gerne erwiderte — vor allem dann, wenn MacLysh nicht gerade in der Nähe war. Sie hatte diesen in letzter Zeit häufiger zusammen mit ihrem Vater gesehen, und sie fühlte sich stets unwohl, wenn er sie mit seinen hervorstehenden Augen anstarrte.
William wartete auf eine Gelegenheit, sie allein zu sehen — was gar nicht so einfach war, denn im Dorf blieb nichts unbemerkt. Außerdem war ihr Vater stets in Sichtweite.
Marys Vater war nicht gerade ein besonders erfolgreicher Bauer. Er hatte häufiger Pech gehabt mit der Getreideernte, wie er sagte, doch seine Worte schwammen meistens im Whisky. Einmal war der Boden schuld, ein andermal die Mäuse, dann ein Gewitter, das nur sein Feld in Mitleidenschaft gezogen habe. Doch in Wirklichkeit war er stets selbst schuld. Entweder hatte er den falschen Zeitpunkt für die Ernte gewählt — zu früh oder zu spät — oder aber er ließ das geschnittene Korn so lange liegen, bis es verrottet war. Selbst die Möglichkeit seine Pachtzinsen in natura mit Vieh zu begleichen, hatte er verspielt, weil er kein Brachland vorgesehen hatte, auf dem er seine paar Kühe hätte weiden lassen können. MacLysh hatte das stets aufmerksam beobachtet und ihm mit einigen Säcken Gerste und Hafer ausgeholfen. Das erste Mal unter dem Titel nachbarschaftliche Hilfe, das zweite Mal gegen einen Schuldschein, und das zweite blieb nicht das letzte Mal.
MacLysh war nicht mehr der Jüngste und es war ihm bisher nicht gelungen, eine der jungen Frauen von